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UN-gefähre Vorstellungen
Die Ideen für eine bessere Welt liegen auf der Straße, man muss ja nur mal zuhören. Ein sehr idealistischer Gedanke, aber wer darf so denken wenn nicht die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen. Und am vergangenen Wochenende, beim Straßenfest Corso Leopold, stellten sie sich an die Straße. Unser Autor, selbst Mitglied, war dabei und hat einen Nachtmittag protokolliert.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Hier laufen Familien, Teenager-Banden, Punks, BWL-Studenten, Attac-Mitglieder und ältere Herren mit CSU-Luftballons quasi gleichberechtigt nebeneinander her. Viele bleiben bei uns stehen, manche reden sogar mit uns. Was wir zu hören bekommen ist so exotisch, multikulturell und diffus, wie es die Vereinten Nationen selbst oft sind.
Aber so ein politischer Stand zieht eben auch Selbstdarsteller an wie ein Atomwaffenprogramm den Sicherheitsrat. So wie zum Beispiel den älteren Herrn mit dem grauen Pferdeschwanz. Lange sieht er sich unser Banner an. Wir fragen, ob er etwas wissen möchte über die UN. Er sagt: „Nein, aber es würde mich freuen, wenn die Bajuwaren aussterben würden.“
„Kann ich mitstimmen?“
Man selbst kann ja nicht weg. Das ist zwischenzeitlich sehr schade. Ein Ehepaar kommt vorbei, es entwickelt sich ein freundliches Gespräch, dann fragt der Mann: „Wenn ich bei Ihnen Mitglied werde, darf ich dann in New York in der UN auch mitstimmen?“ Wir lassen den Stand dann doch kurz alleine und holen uns etwas zu essen.
Der vielleicht interessanteste Gast an diesem Nachmittag ist einer, der nicht viele Worte verliert. Bevor wir ihn überhaupt ansprechen können, haben wir seine Visitenkarten in der Hand. Volksnav.de steht darauf. Die Idee ist so einfach wie kompliziert. Wenn wir das richtig verstanden haben, will er ein weltweit neues Koordinatensystem kreieren, in dem sich jeder Mensch ohne Landkarte oder GPS zurechtfindet. Er habe „Beweise“ dafür, dass die UN Interesse an seiner Idee habe. „Man könnte das UN-Hauptgebäude in New York als Zentrum nehmen“, schwärmt er. Von dort gehen dann gedachte zwölf Blütenblätter ab, als Ersatz für Längen- und Breitengrade. Wer weiß, vielleicht haben wir ja eines Tages sein Faltblatt auch bei uns auf dem Tisch liegen.
Über der nördlichen Leopoldstraße liegt gerade die Melodie von Emiliana Torrinis „jungle drum“, als eine junge Frau vor uns stehen bleibt. An ihrem Fahrradlenker hängen viele Luftballons, in ihrem Korb hat sie schon allerlei Infobroschüren eingesammelt. Sie fragt: „Wo studiere ich in Europa denn am besten Medizin?“ Eine Weltorganisation muss eben alle Fragen dieser Welt beantworten können, so einfach ist das.
Dann kommt ein junger Mann, er stellt sich vor mit: „Ich bin von den Bösen.“ Ein 25-jähriger Unternehmensberater, der nach eigener Aussage sein Geld damit verdient, andere Leute zu entlassen. Er meint, dass ja nicht alle Länder der Erde Mitglied seien in der UN. „Da fehlen doch total viele! Da kann ich mich doch auch Weltregierung nennen, oder?“ Sein Handy klingelt. „Schatz, ich diskutiere immer noch.“ Naja, es ist eher ein Monolog.
Ideen gäbe es genug
Als die Sonne tiefer steht, interessieren sich die Menschen eher für Alkohol als für Politik. Gegen 19 Uhr baut die Dependance der Weltregierung nach 500 verschenkten Kugelschreibern ihren Stand ab. Wie immer wenn man mit Menschen redet, mit denen man normalerweise nie redet, war es ein interessanter Tag. Es ist unglaublich, was es so für Ideen und Vorstellungen gibt. Das Problem ist nicht, dass Ideen fehlen, sondern dass jeder meint, seine Idee sei die Wahrheit.
Würde man alle unsere Besucher für einen Tag in einen Raum sperren und ihnen sagen: Bis heute Abend müsst ihr eine Resolution zum Thema Menschenrechte formulieren – es käme genau das heraus: Eine Verhandlung der Vereinten Nationen. Und alle, die draußen warten, verstehen nicht, warum schon wieder nichts Vernünftiges um die Ecke gekommen ist.
Text: christoph-leischwitz - Foto: www.streetlife-festival.de