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Rebellion nach der sechsten Stunde
Alles fing mit einem ganz normalen Artikel an, den Niklas Wuchenauer für seine Schülerzeitung „Dürer!“ schrieb. Darin beschwerte er sich darüber, wie chaotisch die letzte Schülersprecherwahl gelaufen war. Doch der Artikel sollte nie gedruckt werden – zumindest nicht in Niklas’ Fassung. Zwei Ausgaben ihrer Zeitung hatten der 17-jährige und die „Dürer!“-Redaktion bereits erfolgreich herausgebracht. Bevor sie die traditionelle Schülerzeitung der Albrecht-Dürer-Oberschule in Berlin-Neukölln übernehmen durften, mussten sie allerdings einen Kompromiss mit Direktorin Urte Schoenwälder eingehen. Sie wollte die Texte vor der Veröffentlichung sehen. Doch dann präsentierte er seinen kritischen Bericht über die Schülersprecherwahlen beim obligatorischen Treffen mit der Schulleiterin. „Aus unserer Sicht war der sehr neutral geschrieben“, erinnert er sich. „Aber Frau Schoenwälder hat ihn so nicht akzeptiert.“ Rektorin Urte Schoenwälder denkt heute „mit Zähneknirschen“ an diese Tage zurück. „Dieser Streit, wo ganze Schülerscharen durch die Flure marschierten und Unterschriften sammelten, war das Härteste, was ich je erlebt habe“, sagt sie. Ihr einziges Bestreben sei gewesen, den Schulfrieden zu wahren: „Wir sind eine typische Brennpunktschule in Neukölln. Hier finden sich zig Nationalitäten und alle nur denkbaren politischen Einstellungen.“ Auch Niklas Wuchenauer ist nicht unpolitisch. So engagiert er sich zum Beispiel für die Schülerinitiative „Bildungsblockaden einreißen“, die im vergangenen November einen Aufsehen erregenden Schulstreik in Berlin organisierte. Das bereitete der Schulleiterin Sorgen. „Aus meiner Sicht hätte Niklas den „Dürer!“ gern instrumentalisiert“, sagt sie. „Wenn man da Frieden halten will, muss man sehr gut aufpassen.“ Was Urte Schoenwälder Aufpassen nennt, ist für Niklas und seine Freunde ganz klar Zensur. Doch wehren, sagen sie, konnten sie sich nicht. „Unsere Möglichkeiten waren an dem Punkt ausgeschöpft, an dem wir die Schulleitung mit den rechtlichen Vorgaben konfrontierten“, sagt Niklas. Die Schülerzeitungsmacher hatten alles versucht – und mussten am Ende doch nachgeben. Die Wut in ihrem Bauch blieb. Und das Unverständnis darüber, dass ihre Zeitung, wie Niklas sagt, „nicht als wichtiger Teil des Schullebens, sondern als Privatveranstaltung einiger weniger“ angesehen wurde. Als das Schuljahr zu Ende ging, machten vier der sechs rebellischen Redakteure deshalb einen Schnitt und wechselten die Schule.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Solche Resignation ist eine typische Folge, weiß Klaus Farin. Er ist Leiter des Archivs der Jugendkulturen und erforscht seit vielen Jahren Jugendbewegungen und ihre Publikationen. Die Schülerzeitung sei ein wichtiges Experimentierfeld, sagt er. „Es ist oft der erste Versuch, mit Medien umzugehen und Demokratie zu erleben. Umso schlimmer ist es, wenn man dafür abgestraft wird, anstatt Anerkennung zu bekommen.“ Viele Jugendliche würden ihr Engagement dann einstellen, weil sie lernen: Engagement schadet mir.
Ähnlich empfinden Niklas und seine Freunde. Sie planen zwar, an ihrer neuen Schule wieder eine Zeitung zu machen – die Motivation ist aber gesunken. „Die Ohnmacht, die wir während des Streits mit der Schulleitung gefühlt haben, gab uns einen Dämpfer“, sagt Niklas. Gleichzeitig trieb ihn das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, dazu an, einer Projektgruppe der Jungen Presse Berlin beizutreten. Dort hilft er nun anderen Schülerredaktionen bei Zensurproblemen.
„Natürlich haben wir das damals als ungerecht empfunden“, erinnert sich Florian Siebeck, 19, der wie Niklas Mitglied der „Dürer!“-Redaktion war. „Rückblickend erkenne ich aber, dass vieles, was wir da brachten, in den Bereich der Beleidigung fiel und einige andere medienrechtliche Straftatbestände abdeckte.“ Wegen solcher Fälle fordert Urte Schoenwälder: „Es muss einen betreuenden Lehrer geben, der einem jungen Menschen erklärt, wann er entgleist.“ In den letzten 25 Jahren sei an ihrer Schule keine Zeitung erschienen, ohne dass man sich geeinigt habe. „Es kam immer zu Arrangements und Kompromissen.“
Eine solche Kuschelzensur ist offiziell aber verboten. Seit 2004 besagt Paragraf 48 des Berliner Schulgesetzes: „Eine Zensur findet nicht statt.“ Florian findet sie im Nachhinein allerdings legitim. Er studiert inzwischen Online-Journalismus in Darmstadt und weiß jetzt vieles über Medienrecht, an das er und seine Mitschüler damals nie gedacht hätten.
Trotzdem möchte er seine Zeit bei der Schülerzeitung nicht missen. „Das muss man mal erlebt haben, am besten mit eigenem Redaktionsraum und Briefkasten und so weiter“, sagt er. „Das gibt einem einen gewissen Status, denn als Schülerzeitungsredakteur vertritt man die Schüler und hat ein ganz anderes Verhältnis zu Lehrern.“
Der Job bei der Schülerzeitung als Statussymbol – ist das angebracht und sinnvoll, oder schlichtweg Quatsch? „Sinnvoll!“, sagt Klaus Farin. „Da lernt man, dass sich Einmischen Spaß macht.“ Dabei gilt die junge Generation heute einigermaßen konservativ und spießig – und Eltern müssen ihre Kinder fragen, warum sie nicht mal demonstrieren gehen.
Das ist allerdings kein völlig neues Phänomen, weiß Farin: „Bereits in den 50er und 60er Jahren spielte Politik keine große Rolle im Leben der Jugendlichen. In den 70ern und frühen 80ern dagegen schon.“ In Zeiten von Atomkraftdemos und Berufsverboten hätten viele Schüler wirklich noch daran geglaubt, etwas verändern zu können. Zumal es der deutschen Wirtschaft damals ziemlich gut ging. Die Angst vor schlechten Noten, die heute viele Schülerzeitungsmacher umtreibt, konnte der rebellischen Jugend von damals egal sein. „Da bekam man auch mit einem schlechten Abischnitt immer noch einen Job“, sagt Farin. Er ist sich sicher, dass es die 68er in so harten wirtschaftlichen Zeiten wie heute nicht gegeben hätte. „Rebellion bedarf immer auch Freiräume und Sicherheiten“, sagt er.
Zudem seien die Parteien für Jugendliche heute nicht mehr offen. Dadurch verlagert sich deren politische Aktivität auf den kleinen Bereich, aus dem sie eine Rückmeldung bekommen – ihren Freundeskreis. Denn die Jugend von heute ist trotz allem nicht unpolitischer als frühere Generationen. „Sie hat nur nicht mehr den Anspruch, es dem Rest der Welt mitzuteilen“, sagt Farin. Das beobachtet auch Fabian Triphan, 20. Er weiß, dass es an seinem Gymnasium in Weil am Rhein in den 80er-Jahren eine Schülerzeitung gab, die wegen ihres Protests gegen die Zustände an der Schule immer wieder Ärger bekam. „Heute wären es wahrscheinlich noch die gleichen Themen“, sagt Fabian, „aber die werden nicht mehr von der Schülerzeitung behandelt, sondern in einer Anti-Gruppe im SchülerVZ, wo alle ihren Frust ablassen können.“
Das Internet und seine Netzwerke werden so zu Schauplätzen virtueller Demonstrationen. Und die müssen nicht mal angemeldet werden. Der Nachteil: Sie bewirken auch oft nichts, denn sie sind geheim, intern, nur mit Passwort zugänglich. Doch selbst im öffentlichen Teil des Internets könne man Kritik besser platzieren als in der Schülerzeitung, sagt Fabian, der an seiner Schule Chefredakteur eines Magazins ist. Das heißt ausgerechnet „Provokant“. Die jungen Redakteure produzieren neben einer regelmäßig erscheinenden Printausgabe auch Inhalte für ihre Website. Dort im Netz landen die provokanteren Artikel, denn „die meisten Lehrer kennen die Seite überhaupt nicht“. Und solange die nicht mitlesen, drohen auch keine schlechten Noten oder anderer Ärger. „Ich habe schon das Gefühl, dass wir uns manchmal selbst zensieren“, sagt Fabian.
Das sei zu seinen Zeiten aber anders gewesen, sagt Matthias Matussek. Der Spiegel-Journalist, Jahrgang 1954, ist für seine provokanten Artikel bekannt. Diese zu schreiben, habe er schon bei der Schülerzeitung gelernt. „Rebellion war der Sound der Zeit“, sagt er. „Es war aber eher das Spiel von Protest als ein ernsthaftes Unternehmen.“ Die Jugend von heute sei da besonnener – und klüger. Gleichzeitig habe er Mitleid: „Waghalsigkeiten sind ein Anrecht der Jugend, aber heute darf man als junger Mensch viele Dinge nicht mehr ausprobieren.“ Stattdessen herrsche eine resigniert-zynische Stimmung. „Genau dagegen muss die Jugend rebellieren!“, fordert Matussek.
Aber wie viel Rebellion darf man verlangen von einer Jugend, der eingeimpft wird, dass harte Zeiten auf sie zukommt? Um sich von diesem fremdverschuldeten Druck zu befreien, reicht es nicht mehr, wenn die junge Generation nur die eigene Einstellung ändert. Tatsächlich müssen dafür auch Eltern, Lehrer, Politiker mitziehen. Rebellion braucht Freiräume – die müssen der Jugend erst wieder geschaffen werden.
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Text: eva-schulz - Illustration: Katharina Bitzl