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Nur verbal radikal: Der neue Umweltschutz ist selbstgerecht und löst kein Problem

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Umfragen zufolge zeigt sich ein nicht unerheblicher Prozentsatz von Jugendlichen bereit, gegen den Klimawandel notfalls auch militant einzuschreiten: In Berlin hatten im Dezember 2007 Läden, die nicht an der so genannten „Licht aus“-Aktion teilnahmen, Schmähzettel an der Scheibe kleben. Was ist da im Gange?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ganze Gesellschaften auf Nachhaltigkeit umzusteuern, also auf mehr Generationengerechtigkeit und globale Gerechtigkeit etwa im Klimaschutz, ist ein Pa-radigmenwechsel. Sind Pranger-Methoden wie Schmähzettel oder auch angedrohte Militanz ein Zeichen, dass gerade junge Menschen diesen großen Wertewandel gerade vollziehen? Oder wird hier schlicht von unserer fortbestehenden Untätigkeit im Klimaschutz abgelenkt – verbunden mit einer Attacke auf das, was es gerade zu erhalten gilt, nämlich eine Gesellschaft, in der ein selbstbestimmtes Leben möglich ist? Die Lage in puncto Klimawandel ist zweifellos dramatisch. Die Industrieländer verursachen immer noch den Löwenanteil der weltweiten Treibhausgasemissionen, obwohl dort nur 15 bis 20 Prozent der Weltbevölkerung leben. Diese Länder wollten gemäß dem Kyoto-Protokoll, dem Grundgesetz des globalen Klimaschutzes, ihre Klimagasemissionen von 1990 bis 2012 um fünf Prozent reduzieren – bisher ist davon nichts geschafft. Schwellenländer wie China oder Indien unterliegen nach dem Kyoto-Protokoll erst gar keinen Reduktionsverpflichtungen. Und die von den Klimaforschern des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) bis 2050 geforderten Emissionsreduktionen von welweit 50 Prozent sind wohl zu gering angesetzt: Allein seit 1990 stiegen die Emissionen weltweit um 40 Prozent. Zudem vertritt das IPCC nur das, was auch der letzte Klimaskeptiker unter den Wissenschaftlern weltweit akzeptieren kann; und er wird auch politisch kontrolliert. Es kann also alles noch schlimmer kommen als befürchtet. Etwa mit einer so noch nie dagewesenen Eiszeit in Europa und Nordamerika, weil die Kraft des Golfstroms versagt, der mitverantwortlich für unser mildes Klima ist. Symbole wie „Licht aus“ ändern daran aber wenig bis gar nichts, wenn gleichzeitig unser reales Klima-Verhalten zu wünschen übrig läßt. Junge Grüne sind kurioserweise sogar die größten Vielflieger – die sparsame Oma hingegen, die mit einem Begriff wie Nachhaltigkeit nichts anfangen kann, hat oft die bessere Klimabilanz. Warum aber diese Begeisterung für symbolischen Klimaschutz? Unser Problem ist wohl kaum mangelndes Wissen, sondern eher unser Drang nach immer mehr Wohlstand und Selbstentfaltung. Natürlich unterliegen wir alle auch ökonomischen Zwängen und falschen Anreizen: Energie ist immer noch billig, warum also verzichten oder effizienter werden? Klima hat keinen Marktpreis Doch zu einer Wirtschaftsform, zu bestimmten Produkten und Angeboten gehören immer auch Kunden, denen Energiesparbirnen, Radfahren und saisonal-regionales Essen zu unbequem, zu unwichtig, zu ungewohnt oder zu teuer erscheinen. So fliege ich auch als junger, ökologisch aufgeschlossener Mensch ungeachtet meiner „Licht aus“-Empörung mit dem Billigflieger nach Mallorca, wenn meine Freundin im lausig kalten Februar mal richtig entspannen will. Schon aus Konformität: Lasse ich den Urlaub sein, mache ich mich zum sozialen Sonderling – aller Klimarhetorik zum Trotz. Zudem geht es hier um menschliche Gefühle: Zu raumzeitlich fernliegenden (unsichtbaren, in hochkomplexen Kausalitäten verursachten) Klimaschäden in Bangladesh oder in 100 Jahren haben wir eben doch nur schwer einen emotionalen Zugang. Außerdem hegen (auch ökologisch interessierte) Menschen eine Neigung zum Verweilen beim Gewohnten und zur Verdrängung unliebsamer Zusammenhänge. Zumal kein Handlungsdruck zu bestehen scheint: Die konkreten Lebensbedingungen haben sich trotz Klimawandel nicht geändert. Dazu kommen problematische Werte wie Selbstentfaltung und Eigennutzen: Wenn ich die Reise ablehne, verpasse ich etwas Schönes, und der ökologisch-regionale Bahnurlaub in Österreich ist mir vielleicht zu teuer und zu langweilig. Außerdem weiß jeder, dass er mit privatem Klimaschutz womöglich empfindliche Verzichte erleidet und damit am Klimawandel trotzdem als Einzelner wenig ändert. Zudem hat das Klima am Markt keinen Preis, erscheint also beliebig nutzbar. Dagegen ist das Bekenntnis, per „Licht aus“ zu den Guten zu gehören, kostenlos. Es vermittelt sogar noch persönliche Identität und ein Gruppengefühl unter den Empörten. Anders gesagt: Moralische Forderungen werden (das lehrt die Geschichte) oft gerade dann populär, wenn sie sich mit eher banalen Eigennutzenerwägungen verbinden können. Klima-Empörung ist eine entsprechend beliebte Regung. Mit realem Klima-Handeln sieht es schon anders aus. Ein Kampf für deutlich höhere Energiesteuern wäre zum Beispiel klimapolitisch sinnvoll und würde den Energieverbrauch senken. Aber er träfe unsere Selbstentfaltung, unter der auch relativ Aufgeschlossene oft „billiges Autofahren“ zu verstehen scheinen. Und die Motivationslage von Politikern, Bürgern und Kunden und Unternehmern ist teufelskreisartig gekoppelt: Auch Politiker und Unternehmen suchen Konformitäten, sie wollen wiedergewählt werden, weshalb es fast zwangsläufig bei Symbolen und Sonntagsreden bleibt. Eigennutzen, Identitätsstiftung, der Wunsch nach Gruppengefühl, die Fähigkeit zur Verdrängung eigener Fehler, Nichtwissenwollen: Es sind seltsamerweise triviale Motive, die einen Klima-Verbalradikalismus begünstigen und zugleich das Klimaschutz-Handeln schwierig machen – selbst wenn der gute Wille vorhanden sein sollte. Ohne den Wunsch nach kleinen Vorteilen, Ruhe und Bequemlichkeit, nach Gruppengefühl und Zugehörigkeit zum Mainstream, und ohne das Verdrängen eigenen Fehlverhaltens wäre das Leben sicher oft auch ungemütlicher und unübersichtlicher. Ohne diese Antriebe wären freilich auch manch schlimmere Phänomene kaum zu erklären. Diktaturen etwa, die ohne solcherart motivierte „latente Billigung“ durch ihre Bürger nicht funktionieren könnten. Sind nun mittelalterlich anmutende Pranger-Zettel bei „Licht aus“-Aktionen erste Vorboten einer „Ökodiktatur“, die wie alle Diktaturen vor ihr Sündenböcke sucht, die eigene Verantwortlichkeit der Bürger negiert und all das mit einem lauschig-warmen Gruppengefühl prämiert? Angenehmer wäre die Hoffnung, dass wir unsere Wünsche nach Identität, Zugehörigkeit undsoweiter wirklich in den Dienst des Klima-Verhaltens stellen und damit neue, nachhaltigere Lebensstile erschaffen. Und noch viel faszinierender wäre freilich eine andere, zunächst fast schon abwegig klingende Vision: Dass wir auch ohne Gruppendruck und Pranger zunehmend zu der verhaltenswirksamen Einsicht gelangen, dass nicht nur unsere Autonomie hier und heute kostbar ist, sondern auch die Autonomie künftiger Generationen und der Menschen in anderen Ländern. Denn: Wir gefährden gerade eine zentrale physische Voraussetzung für deren Leben - ein einigermaßen stabiles Klima.

Text: felix-ekardt - Illustration: Katharina Bitzl

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