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Leben in der Warteschleife
Sewdas Mutter hat Tee gemacht. Auf dem Tisch stehen Teller mit Nüssen, Plätzchen und Knabbersachen. Gastfreundschaft ist wichtig – selbst wenn man selber nicht willkommen ist. Sewda setzt sich auf das lila Sofa im Wohnzimmer und fängt an zu erzählen: Seit sieben Jahren lebt die 19-jährige Irakerin mit ihrer Familie in Deutschland. Viermal musste sie seitdem umziehen. Jetzt, seit zwei Jahren, wohnen sie in einem Heim für Flüchtlinge und Asylbewerber im Westen von München, einem tristen, grauen Betonklotz, verloren, irgendwo zwischen Bürogebäuden, Fast Food Restaurants und Waschanlagen. Drei Zimmer für sechs Personen, eines für die Eltern, eines für Sewda und ihre kleinen Geschwister. „Es ist schön hier“, sagt Sewda. Doch wenn sie Pech hat, muss sie im Dezember schon wieder weg.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Das Deutsche Ausländerrecht ist kompliziert. Es gibt Aufenthaltsgenehmigungen und Abschiebungen, Ausnahmen und Aufschiebungen. Wenn man sich das Ausländerrecht als Treppe vorstellt, dann stehen Sewda und ihre Familie gerade ganz unten, eine Stufe über der Abschiebung. Sie haben eine Duldung, eine zeitlich begrenzte Aufenthaltserlaubnis. Flüchtlingsverbände schätzen, dass derzeit 90 000 solcher „Geduldeter“ in Deutschland leben, 55 000 von ihnen seit mindestens sechs Jahren. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt, abgeschoben werden sie aber auch nicht, meistens aus humanitären Gründen oder weil ihr Pass fehlt. Also dürfen sie erstmal bleiben, wie lange, ist aber nie sicher. Manchmal sind es Monate, oft aber auch Jahre. Anspruch auf Sprachunterricht oder Integrationskurse haben die Geduldeten trotzdem nicht. Sie sollen nicht ankommen, sich nicht integrieren. Sewda sitzt immer noch auf der Couch im Wohnzimmer, vor ihr die Plätzchen. „Ich muss was machen“, sagt Sewda. Sie hat lange schwarze Haare und dunkle Augen, ihr Akzent ist weich. „Zu Hause sitzen kann ich nicht“. Seit einem Jahr macht die 19-Jährige eine Ausbildung zur Arzthelferin. Nicht schlecht, denn vor sieben Jahren konnte sie noch kein Wort Deutsch. Damals steckte man sie in eine Übergangsklasse, sie lernte fleißig, schaffte es auf die Hauptschule und machte ihren Abschluss. In einem Jahr bist du mit deiner Ausbildung fertig. Was passiert dann? Keine Ahnung. Ich weiß schon, dass die meisten in meinem Alter wissen, was sie mal machen wollen. Ich weiß aber nicht einmal, was nächstes Jahr passiert, ob ich dann nicht vielleicht wieder zurück muss, in den Irak. Kannst du dich noch daran erinnern, wie es dort war? Nein, nicht wirklich. Der Irak, das ist heute ein fremdes Land für mich. Sewda war 12, als der Krieg im Irak ausbrach. Ihre Eltern beschlossen, ihr Haus und ihr Leben in Kirkuk, einer Stadt im Norden des Landes, zurückzulassen. Versteckt in einem Kohlecontainer kamen sie nach Deutschland. Der Norden des Irak gilt bei deutschen Asylbehörden aber als relativ sicher, wer nicht individuelle Verfolgung nachweisen kann, bekommt kein Asyl. Auch Sewda und ihre Familie bekamen nur eine Duldung, die Eltern klagten dagegen, ohne Erfolg. Noch sind sie relativ sicher, Abschiebungen in den Irak gibt es derzeit kaum, allein schon deshalb, weil es nur sporadische Flugverbindungen gibt. Länder wie Schweden schieben aber bereits wieder in den Irak ab, für Sewdas Familie heißt es deshalb: Bangen und warten. Vor allem für Jugendliche ist das schlimm. Sie gehen zur Schule, machen eine Ausbildung, bauen sich ein Leben auf. Doch all das ändert nichts daran, dass sie abgeschoben werden können, sobald sie 18 sind oder ein Zeugnis in der Hand haben. Wie schnell so etwas gehen kann, hat vor ein paar Monate der Fall von Kate Amayo gezeigt. Illegal kam die 20-jährige Ghanaerin vor fünf Jahren zu ihrer Mutter nach Hamburg. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Kate blieb mit einer Duldung, lernte Deutsch, schaffte es aufs Gymnasium. Diesen Sommer hat sie ihr Abi gemacht, Note: 1,8. Kurz danach kam der Abschiebungsbescheid. Ein Aufschrei ging durch die Presse, eine Härtefallkommission nahm sich deshalb die Akte nochmal vor. Seit kurzem ist klar: Kate darf bleiben. Eine gnädige Ausnahme. Toan sitzt in seiner kleinen Wohnung in einem Vorort von München und trinkt ein Glas Milch. Hinter ihm, auf der Heizung liegt eine Vuvuzuela in Deutschlandfarben. Vor einem Jahr ist Toan hier eingezogen. Vielleicht darf er die Wohnung noch ein Jahr behalten. Vor fünf Jahren kam Toan nach Deutschland. Wie, das will er nicht sagen. Weil in seiner Heimat Vietnam kein Krieg herrscht, wurde sein Asylantrag abgelehnt. Trotzdem durfte Toan bleiben, aus humanitären Gründen, denn ein halbes Kind zurückschicken, das wäre unmenschlich. Stattdessen lässt man Toan seit fünf Jahren in einer Warteschleife leben. Toan, wovon hängt es denn ab, wie lange du noch hierbleiben kannst? Das kommt immer drauf an, wie viel die Sachbearbeiter in einem Monat zu tun haben. Die schauen, dass nicht alle im gleichem Monat kommen müssen, um ihre Duldung zu verlängern. Was heißt das für dich? Unsicherheit. Und wegen der kann ich mich nicht entfalten. Mit 12 kam Toan in ein Waisenhaus. Auch er kam in eine Übergangsklasse, er lernte wie verrückt, schaffte es direkt auf Gymnasium, in einem Jahr macht er sein Abitur. Bis dahin, hat die Sachbearbeiterin gesagt, darf er noch bleiben. Dann droht ihm wieder die Abschiebung. Motivierte und gut ausgebildete Jugendliche – eigentlich genau das, was die deutsche Wirtschaft gerade händeringend sucht. Auch im Ausland. Das ist so paradox, dass selbst die Politik ein Einsehen hat. Seit Donnerstag tagt in Hamburg die Innenministerkonferenz, ein Punkt auf der Tagesordnung: Das Bleiberecht von jugendlichen Flüchtlingen. Im Vorfeld haben Unions-Politiker gefordert, dass Jugendliche, die gut integriert sind, seit mehr als acht Jahren in Deutschland leben und seit sechs zur Schule gehen, bleiben dürfen. Was dann mit ihren Familien passiert, dazu hat sich noch niemand geäußert. Sewda sagt: „Ich würde gerne hierbleiben, im Irak habe ich keine Zukunft, überhaupt nichts.“ Was wäre denn dein Größter Wunsch? „Ich will kein Geld oder irgendwas anderes, ich will einfach nur eine Aufenthaltserlaubnis. Und dann will ich das Abitur nachmachen und studieren.“ Auch Toan will nach dem Abi am liebsten in Deutschland studieren. In seiner Freizeit gibt er Nachhilfe an seiner Schule, in Chemie und Physik. Vielleicht würde er eines der beiden Fächer auch studieren – vorausgesetzt, man lässt ihn. Zwar dürfen Geduldete in Bayern theoretisch studieren, in der Praxis ist das aber oft unmöglich, weil sie kein Recht auf Sozialhilfe oder Bafög haben. Toan will es trotzdem probieren. „Das würde ja auch dem Staat nützen, ich könnte Deutschland dann irgendwann auch etwas zurückgeben.“ Was machst du denn, wenn du nicht hierbleiben darfst? Würdest du nach Vietnam zurückgehen? „Nein, bestimmt nicht. Dann würde ich in ein Land gehen, in dem ich willkommen bin.“