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„It’s everybody’s business“
Die Einrichtung im Haus beschränkt sich auf ein paar Holztische, die Mitarbeiter tragen Chucks und sitzen auf Gymnastikbällen, der Chef Till Behnke ist keine 30, war aber schon Berater bei Daimler in den USA und das Größte im Raum ist das Firmenlogo an der Wand – kein Zweifel, das sind die Räume eines Berliner Internet Start-Ups. Allerdings eines ganz speziellen: auf betterplace.org werden Spenden von Nutzern an Nutzer zu 100 Prozent weitergeleitet. Das ganze Unternehmen ist eine Non-Profit-Angelegenheit. Als gemeinnützige Stiftungs-GmbH stellt man die digitale Plattform für soziale Kleinstprojekte aus aller Welt. Die Wirkung der Investition können die User auf von den Spendenempfängern hochgeladenen Bildern oder Videos überprüfen. In Kürze dürfte die monatlich gespendete Summe den fünfstelligen Bereich erreichen. Und hin und wieder, wenn ein Projekt besonderer Hilfe bedarf, greifen die Macher es aus der Seite heraus und helfen offline noch mal ordentlich nach: mit einer Pressekonferenz und guten Kontakten in der deutschen Hauptstadt zum Beispiel. Fische aus verkoteten Flüssen In dieser Woche durfte sich in Berlin in den Räumen von betterplace ein besonderer Projektinitiator vorstellen: Jack Sim (Foto). Außerhalb Deutschland ist der einstige Unternehmer bereits ziemlich bekannt, obwohl er ein Problem hat – vieles von dem, was der Mann sagt, klingt zum Lachen. Sim spricht von einer „Global Toilet Community“ und davon, dass in Singapur im Jahr 2005 doppelt so umfangreiche Damen- wie Männer-Toiletten eingeführt wurden – „das hat die Warteschlangen halbiert.“ Sim ist Gründer und Chef der WTO, der World Toilet Organisation (nicht zu verwechseln mit der World Trade Organisation).
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Klar, jeder muss mal, aber warum sollte man auch noch außerhalb postpubertärer Jungs-WGs dauernd darüber reden? Wer so denkt, bekommt von Jack Sim ein paar Bilder gezeigt. Aufnahmen von Fischern, die ihre Fänge aus verkoteten Flüssen ziehen, Bilder von als Toilette genutzten Löchern unmittelbar neben identisch aussehenden Brunnen. Sim hat Bilder aus den Slums von Nairobi und von kleinen Kindern, die an diversen Krankheiten leiden. Das Problem, sagt Sim, sei folgendes: 2,6 Milliarden Menschen hätten keinen Zugang zu hygienischen Toiletten. Krass ausgedrückt heißt das, dass viele dieser Menschen in ihren eigenen Exkrementen leben. 400 Millionen Schulkinder leiden laut WTO deshalb weltweit unter Wurminfektionen. 5000 Kinder sterben täglich an Durchfall.
Sim hat eine Strategie gefunden, um seinen Kampf für bessere sanitäre Einrichtungen zu kämpfen: er nutzt die vermeintliche Lächerlichkeit des Themas. Er bildet sich selbst als Kloputzer ab und zeigt sich als jemanden, der das Problem aus eigener Erfahrung kennt: Ein Bild von 1960 zeigt ihn als kleines Kind in der Hocke, gleichzeitig nägelkauend und sich erleichternd. Eine Aufnahme, die er 2008 in einem Slum der indischen Millionenstadt Bangalore gemacht hat, zeigt ein anderes Kind bei derselben Beschäftigung. So bricht Sim das Tabu, über die Sache zu reden. Gleichzeitig bringt er seinem Publikum bei, dass auch das indische Kind einst ein Manager mit Macbook Air sein könnte, ganz wie Jack Sim. Wenn es nur eine saubere Toilette hätte.
Gemeinsamer Stuhlgang
Sim macht im Prinzip eine große Imagekampagne für funktionale Toiletten. Bei Kondomen habe der Wandel vom ungeliebten Thema zum allseits als wichtig anerkannten Aufklärungsobjekt auch geklappt, so Sim. Dabei stößt er in ärmeren Gegenden der Welt auf Probleme: Dort gilt der gemeinsame Stuhlgang im Freien oft als soziales Get-Together.
Sim träumt dennoch von einer Welt, in der Kinder nur noch in FamiIien einheiraten, die Toiletten haben.
In den reicheren Teilen der Welt läuft seine Kampagne ganz gut: Seit Gründung im Jahr 2001 haben Sim und sein Team Ausstellungen und Meetings in Taiwan, Peking, Moskau, Belfast und Neu Delhi organisiert, seine WT-Organisation dürfte selbst bereits ein paar Millionen Dollar wert sein. Präsidenten und Minister eröffnen die von ihr initiierten Konferenzen und der National Geographic Channel hat Sim drei Jahre für eine Dokumentation begleitet; Sims Leute arbeiten mit Malern und Sängern, mit einer international agierenden Kanzlei und Werbeagenturen zusammen. Nur wenige stellen ihm Rechnungen.
Dank der Hilfe von betterplace arbeitet Sim in Deutschland jetzt mit Werner Aisslinger, einem Designprofessor der Hochschule für Design in Karlsruhe, zusammen. Dessen Studenten haben zwei Semester Zeit, um einen Prototypen für günstige, einfach zu produzierende und technisch sinnvolle Toiletten zu entwerfen. Dass sich die Sache lohnen wird, bezweifelt vor allem Sim überhaupt nicht: 2,6 Milliarden Menschen seien, wenn auch arm, eine große Zielgruppe. Denn: „It’s everybody’s business.“
Text: johannes-boie - Foto: WTO