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Isargrillen: Wo München glüht
Im Gegensatz zum Isarflimmern und zur Isarlust ist das Isargrillen kein Münchner Gefühl sondern eine Münchner Tätlichkeit. Es ist somit auch für Zugereiste erlebbar und sie waren es, die das Isargrillen überhaupt erst en vogue gemacht haben. Alte Münchner nämlich wären nie auf die Idee gekommen, mit der Isar etwas anderes zu veranstalten, als gelegentlich drüber zu fahren oder anlässlich eines Starkbier-Rausches in ihr zu ertrinken. Nein, es waren die Kölner, Hamburger und Istanbuler, die die Isarauen als Grillgrund entdeckten – dank ihres Heimwehs nach Städten, in denen der Fluss nicht zum Fischtransporter degradiert wurde. Diese Neu-Münchner lagerten irgendwann mit ihren Steaks in so großer Zahl neben den alteingesessenen Nackerten an den Kiesbänken der Isar, dass sich die Stadtverwaltung gezwungen sah, das wilde Grillen mit einer sehr grantigen Grillzonen-Regelung zu zähmen. Diese wiederum hatte zur Folge, dass auch die Ur-Münchner ihr Interesse am Isargrillen geweckt sahen und sich fortan mit den anderen in den amtlichen Grillabschnitten drängten. Denn sobald etwas limitiert und damit exklusiv wird, möchten die Münchner auch dabei sein, das ist das alte Türsteher-Gen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Was man also heute erlebt, wenn man an sonnigen Samstagen zwischen Mai und September zum Beispiel die Thalkirchner Brücke überquert, dürfte einem Waldbrand-Erlebnis ziemlich nahe kommen. Mit der Ausnahme freilich, dass ein durchschnittlicher Waldbrand nicht nach Käsekrainer riecht. Dieser Einzug des Isargrillens in das Münchner Brauchtum hat den hiesigen Freizeitkalender um eine quälende Verpflichtung bereichert. Im selben Maße wie man im Winter auf dem Nymphenburger Kanal Schlittschuhfahren müsste, müsste man nun wenigstens einmal im Sommer an der Stadtisar grillen. Für beides kann man sich nicht gut im Voraus verabreden, denn sobald eine Verabredung steht, spielt das sonst gutmütige Wetter verrückt, schmilzt das Eis z’sam oder schickt Sturmregen über den Flaucher. Deswegen folgt das Isargrillen meistens einem spontanen Verlangen und zieht gerade daraus seinen besonderen Reiz: Wann kauft man sonst schon mit so gutem Gewissen auf die Schnelle Einweggrill und Einwegkartoffelsalat und zelebriert das Zeug später noch dazu in aller Öffentlichkeit? Denn Öffentlichkeit herrscht beim Isargrillen, das weiß jeder, der aus Versehen schon mal die Bierflaschen des Nachbarn aus dem Fluss gefischt hat. Man schaut einander beim Auspacken und Abfackeln zu. Das kennt der Münchner teilweise schon, schließlich bringt er auch im Biergarten sein Essen von Daheim mit. Und wie im Biergarten schaut’s auch an der Isar beim Nachbarn immer irgendwie besser aus, nur lässt sich das am Fluss leider nicht durch den Ankauf zweier Steckerlfische kompensieren.
Das Bierkühlen im Fluss ist eigentlich sowieso das Schönste bei der ganzen Sache, auch wenn es nicht viel bringt. Der Fluss ist zwar nicht bacherlwarm, aber eben auch nicht bierkalt. Vielleicht könnte die Stadtverwaltung das bei der nächsten Isarsanierung berücksichtigen und spezielle, eiskalte Biergumpen einrichten. Das Zweitschönste ist es, mit dem lauwarmen Bier neben den züngelnden Flammen des Einweggrills zu stehen. Da kann die Profigrillgemeinschaft nebenan noch so viele Spanferkel am Spieß drehen – wer sein eigenes Feuer angemacht hat, ist sein eigener Feuerkönig. Alles, was danach kommt, leidet, wenn man ehrlich ist, ein wenig unter den Umständen. Das ungemütliche Hocken auf den Steinen, die seitlich vom Rost gerollten Würstl, der halbgare Halsgrat, die Scherben, Mücken und der Rauch, der sein Fähnlein nicht nach dem Wind, sondern nach den Augen der Umsitzenden hängt. Das alles ist eher die unvermeidliche Durststrecke, die es zu überwinden gilt, bzw. eben zu kauen und zu schlucken.
Danach, wenn der Einwegmüll entsorgt ist, wenn die städtischen Grillwächter zweimal vorbei patroulliert und die Ketchupflaschen so im Rucksack verstaut sind, dass sie ein bleibendes Andenken lassen werden, dann wird es dunkel und ruhig. Die Grillnachbarn verschwinden in der Dämmerung, die Glutnester gluten und das andere Ufer wird zum originalen Herz der Finsternis – weil auch noch die Lemuren aus Hellabrunn in die Nacht kreischen. Da ist die gemütliche Stadt dann auf einmal sehr wild und schön, und die Autoscheinwerfer auf der Brücke ein annehmbarer Ersatz für die Sternschnuppen. Und noch später, wenn einfach kein Feuerholz mehr zu ertasten war und alle verfügbaren Pullover angezogen sind, dann steht man in nur zwei Minuten im hellen Licht der U-Bahnstation und hat diese typischen Abenteuer-Look: Augenringe, kalten Rauch im Haar, ein Brandloch und eine klamme Hose und es ist, als wäre man doch von recht weit her gekommen.
Text: max-scharnigg - Fotos: Juri Gottschall