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Eine Insel mit drei Rädern

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Aus einer Fahrradwerkstatt, die früher einmal eine Garage war, kommt ein Mann mit strammen Wadeln, einer Zange in seiner Arbeiterhand und wirft mir einen skeptischen Blick zu. Er hat einen Stoppelbart und begrüßt mich auf bairisch – ich befinde mich in der Zentrale von „Rikscha-Mobil“, einem Hinterhof in der Münchner Innenstadt. Außer der Garage sieht man hier ein Zelt – der Rikscha-Parkplatz – und einen Containerturm, das Büro. Und eben diesen Mann. Thomas Silmbroth ist sein Name, er ist der Projektleiter von „Rikscha-Mobil“. Ich verrate ihm den Grund meines Besuchs: Ich will Rikscha-Fahrer werden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Tag für Tag stehen Rikschas auf dem Marienplatz, ihre Fahrer in gelben T-Shirts warten darauf, Passanten durch München radeln zu dürfen. Los ging es damit vor elf Jahren, als Dominic Staat, bis heute Geschäftsführer von „Rikscha-Mobil“, einen Hauch von Asien nach München holen wollte. Seine Idee war, die Rikscha als öffentliches und umweltfreundliches Nahverkehrsmittel in München zu etablieren. Mit einer einzigen Rikscha begonnen, gehören heute knapp 50 speziell angefertigte Fahrräder zu seinem Unternehmen und etwa 90 freiberufliche Mitarbeiter. „Die ganze Sache ist stetig gewachsen, weil die Passanten bereit waren, die Rikscha zu nutzen“, erzählt Thomas Silmbroth. Erster Test bestanden Er gibt sich Mühe, mir meine Rikscha näher zu bringen und fragt erstmal, ob ich viel Fahrrad fahre. „Das ist am Anfang nämlich eher ein Nachteil“, sagt er. Beim Fahrrad ist man es gewohnt, mit dem ganzen Körper in die Kurven zu gehen, bei der Rikscha muss man relativ steif sitzen bleiben und nur am Lenker ziehen. Ich drehe einige Runden auf dem Hof und komme mir doof vor. Dann geht es raus auf die Straße. Thomas ist mein erster Fahrgast. Es ist ein komisches Gefühl, jemanden im Fahrrad „hinten drin“ zu haben. Ich lege einen kleinen Gang ein – mit Fahrgast fährt es sich spürbar schwerer. Als ich Thomas durch die umliegenden Straßen fahre und seine Anweisungen befolge, fühle ich mich wie bei einer Prüfung. Als es leicht bergauf geht und ich an einer roten Ampel stehenbleibe, vergesse ich vor lauter Aufregung in einen kleinen Gang zu schalten – als es grün wird, komme ich nicht mehr vorwärts. Trotzdem: Test bestanden! Ziemlich stolz fahre ich anschließend mit meiner Rikscha zum Marienplatz, wo bereits acht Kollegen stehen. Ohne die Rikscha-Regeln genauer zu kennen, reihe ich mich schüchtern hinten ein. Das Völkchen der Rikscha-Fahrer besteht vor allem aus Studenten, aber auch aus alten Hasen, die zum Teil schon viele Jahre dabei sind, manche sogar hauptberuflich. Rund ein Viertel der Radl-Taxler sind Frauen. Der Umgang zwischen den Rikscha-Fahrern ist unbeschwert. „Einen Konkurrenzkampf gibt es bei uns eigentlich nicht“, erzählt der Politik-Student Phillip Stern, 24. „Jeder ist hier zwar quasi sein eigenes kleines Unternehmen, da man sich seine Rikscha für eine Tagespauschale bei ,Rikscha-Mobil‘ mietet, aber die Fahrgäste kommen ja dann sowieso auf einen zu.“ Bei den Rikschas ist es also anders als bei den Taxis: Alle stehen gleichberechtigt in einer Reihe und die Passanten suchen sich selbst aus, bei wem sie mitfahren möchten. Ich stehe schon seit einer halben Stunde in dieser Reihe. Es kommen zwar viele Leute auf mich zu, die wollen aber nur wissen, wo der nächste Supermarkt ist. Bei den anderen Rikschas wird derweil munter ein- und ausgestiegen. Ich ergreife die Initiative, spreche Passanten an und werbe mit meinen Fahrkünsten, bis sich eine ältere Dame erbarmt. Sie muss zu einem Arzt in der Sendlinger Straße. Meine erste Fahrt als Rikscha-Fahrer! Die Angst, mich zu verfahren oder gar einen Unfall zu bauen, versuche ich zu überspielen und unterhalte mich mit meinem Gast, der die Fahrt sichtlich genießt.


„Ich fahre immer mit der Rikscha, wenn ich zum Arzt muss“, sagt die Dame und lacht. „Ich finde das so schön, manchmal komme ich auch einfach mit einer Freundin und dann fahren wir eine Runde.“ Währenddessen merke ich, dass man als Rikscha-Fahrer nicht so genau weiß, ob man sich eher als Fahrrad oder doch als Auto fühlen soll und dementsprechend unsicher reagiere ich auf Fahrradflitzer, die links und rechts an mir vorbeisausen, und auf Autos, die mich überholen. Zurück am Marienplatz dauert es keine zehn Minuten, bis meine richtige Reifeprüfung folgt. Ein kanadischer Tourist will zum Hauptbahnhof – zehn Euro würde das normalerweise kosten. Ich bin aber froh, dass ich ihn umsonst fahre, weil ich gleich zweimal auf eine Einbahnstraße treffe und umdrehen muss. So kommen wir ins Gespräch, und wie sich herausstellt, ist mein Fahrgast Journalist und von meiner Geschichte begeistert. Ziemlich abgekämpft liefere ich ihn am Bahnhof ab, eine halbe Stunde später bin ich zurück am Marienplatz. Den gestandenen Rikscha-Fahrern ringt mein erschöpftes Aussehen nur ein müdes Lächeln ab. „Man ist mit seiner Rikscha und seinen Kollegen wie in einem eigenen kleinen Kosmos“, erzählt Phillip von seiner Arbeit. „Freude am Radeln muss man natürlich sowieso haben. Mir jedenfalls macht es mehr Spaß, draußen zu sein und mich zu bewegen. Außerdem kann man den Leuten ja was zeigen und mitgeben.“ Denn bei den Rikscha-Fahrten handelt es sich nicht unbedingt um klassische Taxi-Dienste. Touristen sind noch immer die besten Kunden, und die wollen in erster Linie etwas von München sehen. Die große Englische-Garten-Tour für zwei Personen etwa dauert eine Stunde und kostet 57 Euro. Saisonhöhepunkt Wiesn Eine kleine Stadtrundfahrt soll auch ich jetzt fahren, zumindest hätten das vier Touristen gerne. Spätestens jetzt wird mir endgültig klar, dass von den Rikscha-Fahrern viel verlangt wird. Gute Fitness, einen Stadtplan im Kopf und jetzt auch noch historisches Wissen. Da wir mit zwei Rikschas unterwegs sind, übernimmt Phillip glücklicherweise den Job des Kommentators. Vom Marienplatz geht’s zum Chinesischen Turm. Unterwegs erfahre auch ich neue Details über die Residenz, die Theatinerkirche oder die Surfer am Eisbach. Den beiden Pärchen aus Bad Nauheim scheint es zu gefallen. Ich persönlich konzentriere mich darauf, Phillips Tempo mitzuhalten, denn schließlich ist das meine erste Fahrt mit zwei Leuten, und der Unterschied ist deutlich zu spüren. Am Chinesischen Turm warten wir auf Fahrgäste, die wir wieder mit zurück nehmen können. 17 Euro beträgt der Preis für zwei Personen. Aber als Rikscha-Fahrer sollte man gut verhandeln können, weil man sonst zu lange warten müsste. Wir fahren für zwölf Euro. Der Saisonhöhepunkt ist natürlich die Wiesn. Dann muss man als Rikscha-Fahrer ziemlich belastbar sein, wie mir Philipp Einhäuser erzählt. Der 24-jährige Ethnologie-Student hat auch die unangenehmen Seiten des Jobs erleben müssen. „Da haben sie mir schon zwei Mal die Rikscha auseinandergenommen. Und verprügelt wurde ich auch. Aber finanziell ist die Wiesn natürlich lukrativ“, sagt er, und weiter: „Die arabischen Touristen sind ab und zu spendabel. Ein Pärchen hat mich mal drei Stunden lang die Maximilianstraße rauf und runter fahren lassen. Alle zehn Meter wurde zum Shoppen angehalten und ich zum Kaffee trinken eingeladen. Und am Ende gab’s dann 150 Euro“. Zwei weitere Stunden sind vergangen. Für mich steht nach fünf Fahrten eine kleine Verschnaufpause an. Bei meiner letzten Fahrt fährt mir fast ein Fahrradfahrer in die Rikscha und ich spüre auf einmal die Verantwortung, die man für seine Fahrgäste übernimmt. Ich habe Hunger und Durst und außerdem das Bedürfnis, mich auszuruhen. Zum Glück kann man sich als Rikscha-Fahrer seine Zeit einteilen, wie man will, und zum Glück ist es in der Rikscha ziemlich gemütlich. Phillip besucht mich in meiner Rikscha und wir bestellen uns zusammen eine Pizza. Einige der Fahrer haben sich selbständig gemacht und sich ihre eigene Rikscha zugelegt. Da gibt es dann auch besonders ausgefallene Modelle. Zum Beispiel eine Variante ganz traditionell im chinesischen Stil, mit den entsprechenden Sitzstoffen und roten Lampions. Billig ist es allerdings nicht, sich eine eigene Rikscha zuzulegen: Der Neuwert der Fahrzeuge liegt etwa bei 6 000 Euro. Am Marienplatz ist es 18 Uhr und es beginnt zu regnen. Zum Glück, denn ich bin nach einem halben Dutzend Fahrten mit meinen Kräften ziemlich am Ende. Nach über sechs Stunden als Rikscha-Fahrer weiß ich: Rikscha fahren macht zwar total Spaß, aber auch müde. Aber es wird sich sicher jemand finden, der mich jetzt heimfährt.

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