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Die Sprache der Wahrheit

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Wenn die Lebensgeschichte eines Mathe-Nerds voller Brüche ist, dann erscheint das im ersten Moment sehr logisch. Wer Felix Donhöfner auf Youtube dabei beobachtet, wie er voller Begeisterung Formeln auf ein Flipchart malt, der könnte den Mann mit dem beigefarbendem Hemd und der unauffälligen Brille tatsächlich für eine Art Zahlengenie aus dem Bilderbuch halten. Felix könnte einer dieser klassischen Strebertypen sein, deren Lebensweg auf einer steilen Gerade von der Früheinschulung übers Einserabitur zum Physikdiplom führt. Ist er aber nicht. Der 31-Jährige formuliert es so: „Hätte mir vor 15 Jahren jemand erzählt, dass ich heute vor einer Kamera stehe und Mathenachhilfe gebe, hätte ich ihm kein Wort geglaubt.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Schon seit mehreren Jahren gibt der Physikstudent Felix Mathenachhilfe für Schüler und Erstsemester. Anfang diesen Monats hat er zusammen mit seinem Freund Christian Grün das Mathenachhilfe-Portal Mathehilfe.tv gegründet. Christian kümmert sich um alle technischen Details wie das Design der Seite und die Gründung von Gruppen auf Facebook und StudiVZ. Felix ist das Gesicht des Unternehmens, der Nachhilfelehrer. Er gibt Kurse in Mathe, Physik und Latein. Als „spontane Idee“ bezeichnet Felix den Plan, als Werbemaßnahme für seinen Privatunterricht eine Art Erklär-Video zu drehen. Das Rechnen vor laufender Kamera machte ihm dann so viel Spaß, dass die beiden drei Wochen später 54 Erklär-Clips produziert und einen eigenen Mathe-Kanal auf Youtube gegründet haben. Die Folgen dauern zwischen zwei und zehn Minuten und behandeln Unterrichtsstoff, der für leidende Matheschüler ab der 8. Klasse interessant sein dürfte. Die „Einführung in die Ableitung“ wurde bislang 500 Mal angeklickt, die „Partialbruchzerlegung Teil 3“ erst zehn Mal. Beide Folgen haben volle fünf Sterne in der Bewertung. Marktlücke Netz-Nachhilfe „Ich glaube, wir stehen am Anfang eines Trends“, sagt Felix. Noch sei Nachhilfe im Netz ein Nischen-Angebot. „Aber an den begeisterten Kommentaren sehen wir, dass wir in eine Marktlücke stoßen.“ Tatsächlich sparen die Kommentatoren unter den Videos nicht mir Lob. „Danke. Danke. Danke. Du hast meine Matheklausur gerettet!“, steht da. „Meine Lehrerin erklärt das viel schlechter“, schreibt ein anderer Mathekanal-Abonnent. Mittlerweile haben die User begonnen, sich von Felix’ Erklärvideos zum Thema der nächsten Klassenarbeit zu wünschen. Meist noch am selben Abend stellt sich Felix dann vor die Kamera und legt los. „Analysis kann ich im Schlaf“, sagt er. „Da muss ich mir kein langes Konzept überlegen.“ Pro Tag produziert er zwei bis drei Clips. Wenn Schüler im Matheunterricht fehlen, nicht aufpassen und mit Youtube Videos die Wissenslücken vor der Klausur aufarbeiten, dann kann Felix das gut verstehen. In der 10. Klasse schmiss er die Schule hin, ging lieber auf Partys, wollte vom Leben lernen. Eigentlich war er kein schlechter Schüler. Aber: „Ich konnte keine Regeln akzeptieren.“ Dass er ausgerechnet in der Mathematik eine Art Heimat gefunden hat, erscheint ihm eigentlich logisch. Mit 20 entschließt sich Felix, das Abitur nachzuholen. Vier Jahre lernt er an der Abendschule während er tagsüber als Kundenberater bei den Stadtwerken seinen Lebensunterhalt verdient. Als eine Art Schlüsselerlebnis bezeichnet Felix den ersten Besuch seit langem in einer Buchhandlung. „Die Cover der Bücher über Astronomie mit ihren Sternenbildern, Planeten und fernen Galaxien haben mich magisch angezogen.“ Felix entschließt sich, Physik zu studieren. „Es hat mich schon immer gereizt, die Grenzen des Wissens zu erreichen.“ Physik ist für Felix die Suche nach Wahrheit. Mathematik die Sprache, mit der sich Wahrheit beschreiben lässt. Es sind große Worte, die Felix da formuliert. „Ich neige zu Extremen“, sagt er und grinst. Dieses Jahr möchte er mit Christians Hilfe noch 1 000 weitere Mathevideos produzieren, damit die beiden mit dem Mathe–Kanal Partner von Youtube werden können. „Auf diese Weise würde vielleicht eine Art Taschengeld für uns rumkommen“, sagt er. Als Geschäftsmodell waren die Nachhilfe-Videos nämlich nie gedacht. Klar wäre es toll, wenn über Werbung eines Tages so viel Geld in die Kassen der beiden Kanal-Betreibern fließen würde, dass beide ihr Hobby zum Beruf machen könnten. Aber: „Unser Antrieb ist der Gedanke, Wissen auf verständliche Art und Weise kostenlos zur Verfügung zu stellen.“ Felix ist sich sicher, dass die meisten Menschen viel mehr Mathe-Können besitzen, als sie sich selbst zutrauen. Die Fähigkeit, mathematische Zusammenhänge zu verstehen, ist ein Talent, das sich jeder erarbeiten kann. Felix hat während seiner Zeit am Abendgymnasium dafür zwei ganze Ferienwochen geopfert. Vierzehn Tage, in denen er stundenlang bis tief in die Nacht hinein nur Formeln paukte. „Mathematik erscheint am Anfang kryptisch“, sagt er. Die rätselhaften Zeichen und Linien würden auf viele Menschen wie eine Fremdsprache wirken. „Sobald man aber einmal die Angst, diese natürliche Barriere, überwunden hat, ist Mathe plötzlich gar nicht mehr schwierig.“ Lesch lässt grüßen Wenn Felix heute ein Mathematik-Schulbuch in die Hand nimmt, kann er sich die Matheverdrossenheit vieler seiner Nachhilfeschüler leicht erklären: umständliche Formulierungen, dröges Layout. Vergleiche zwischen seinen Mathekanal-Clips und den Telekollegsendungen der 80er Jahre lässt er deshalb auch nicht gelten: Felix ist es wichtig, ganz normale Umgangssprache zu benutzen. Anstatt „Zwischen den beiden Geraden besteht eine Orthogonalität“ sagt Felix, dass der Winkel zwischen den Geraden 90 Grad beträgt. Wenn er seinen ruhigen, klaren Worten dann noch mit den Bewegungen seiner Hände Nachdruck verleiht, wenn er hin und wieder aufmunternd in Richtung Kameraobjektiv nickt, dann schafft er es tatsächlich, dass sich ein Teil seiner eigenen Mathe-Begeisterung auf den Betrachter überträgt. „Dass man auch als Mathe-Fachmann als Sympathieträger fungieren kann, beweisen Sie mir vorzüglich“, schreibt einer der Kommentatoren hochachtungsvoll im Youtube Kanal. Sein Vorbild ist der als „Alpha Centauri“-Moderator bekannt gewordene Astrophysiker Harald Lesch, der an der Münchner Uni lehrt. Er ist Meister in der fröhlichen Vermittlung kompliziertester Zusammenhänge. Bei ihm hat Felix seine Prüfung in theoretischer Physik abgelegt und dutzende Vorlesungen besucht. Als größten Erfolg in der dreiwöchigen Geschichte des Mathe-Kanals auf Youtube bezeichnet Felix deshalb auch die Mail von Harald Lesch. Sein Idol hatte geschrieben: „Das ist eine ganz prima Idee.“ Als mathematische Wahrheit wird der Satz wohl keinen Bestand haben. In der rechten oberen Ecke auf der Homepage des Mathe-Kanals macht er sich aber ganz gut.

Text: anna-kistner - Foto: Autor

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