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Die Herren der Ringe
Vor knapp drei Jahren lag diese schwer romantische Postkarte im Briefkasten. Sie zeigte ein Foto von zwei übereinanderliegenden Händen, an zwei Fingern steckten glitzernde Verlobungsringe. Es war meine erste Einladung zu einer Hochzeit, auf der ich nicht Reis als Blumenmädchen werfen sollte oder auf der das Ehepaar in spe nicht in irgendeiner Weise mit meiner Verwandtschaft zu tun hatte. Olga aus meinem Abiturjahrgang hatte in ihrem Au-Pair-Jahr in den USA den Mann für’s Leben gefunden. Ich war überrascht, weil es die Olga war, mit der ich während der Schulzeit Zettel hin und her geschrieben hatte. Ich war auch überrascht, weil auf der imaginären Abhak-Liste für mein Leben zu dem Zeitpunkt andere Dinge vermerkt waren. Reisen zum Beispiel, Studieren, neue Leute treffen, neue Erfahrungen sammeln, das ganze Blabla also, das die meisten Menschen Anfang 20 ziemlich reizvoll finden. Heiraten gehörte für mich nicht in diese Liste. Eine Hochzeit mit mir als Hauptdarstellerin war mir damals so fern wie eine Reihenhaushälfte in Bad Bederkesa oder ein Pärchenleben in Multifunktions-Jacken. Ehe war für mich so etwas wie das untrügliche Signal dafür, dass man in die Spießigkeit driftet. Nun aber sind seit meinem Abitur genau fünf Jahre vergangen und Olga ist nicht mehr die einzige. Mindestens sieben meiner 98 Mitabiturienten haben sich bereits das Ja-Wort gegeben. Gäbe es jetzt ein Klassentreffen, könnten zu dieser Gelegenheit fünf Kinder um die Wette schreien. Ich frage mich, warum es den nun Verheirateten nicht reichte, sich für’s Erste einfach ein „Ich liebe dich“ ins Ohr zu flüstern? Ich finde das sehr verbindlich. Warum haben sie sich gleich mit dem Motto „Bis dass der Tod euch scheidet“ trauen lassen? Warum schon jetzt der Schwur für die Dauer eines kurzen Lebens? Ich mache mich auf die Suche nach den Verheirateten meines Jahrgangs. Ich kontaktiere Eltern, erkundige mich nach den Nummern der Kinder, suche auf Facebook und fange an zu fragen, warum meine ehemaligen Mitschüler so schnell in den Hafen der Ehe geschippert sind. „Wir sind eine Familie. Das möchte ich auch nach außen zeigen“, sagt mir David. Er saß in der Mittelstufe meist gelangweilt in der hinteren Ecke des Klassenraums und war einer der Jungs, die immer versuchen, ihre sympathische Art mit Coolness zu übertünchen. Über ein paar Ecken hatte ich gehört, dass er nach der Schule eine Banklehre gemacht und, wie Olga, zwei Jahre nach dem Abitur geheiratet hatte. Wir beginnen unser Telefonat mit dem üblichen Wie-geht’s-dir-was-machst-du-so, dann fängt David an, von dem Anfang seiner Beziehung zu erzählen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
„Bei meiner vorherigen Freundin war klar, dass ich nie mein Leben mit ihr verbringen wollte. Aber mit Sarah wusste ich irgendwie gleich, dass es etwas Ernstes werden könnte.“ David ist jetzt wie ich 24 Jahre alt. Erst war er in einer Wohngemeinschaft nur der Mitbewohner seiner Frau. Dann wurde er ihr Freund und eineinhalb Monate nach Davids Einzug war sie von ihm schwanger. Die Familie reagierte entspannt, erinnert sich David. „Alle sagten uns ihre Unterstützung zu.“ Und trotzdem wollte David eine richtige Familie sein. Er wollte den gleichen Nachnamen und wünschte sich auch das offizielle Versprechen, dass sich seine Freundin und er, auch wenn es mal schlecht laufen sollte, treu bleiben würden.
Die Reaktionen auf Davids Entscheidung waren gemischt. Freunde fragten: ,Warum willst du dich jetzt schon festlegen? Vielleicht kommt ja noch eine andere!‘ David ließ sich nicht umstimmen und nahm die Funkstille, die nach seiner Ankündigung in manchen Freundschaften entstand in Kauf. „Ich kann es verstehen, wenn Menschen eine andere Meinung haben. Aber ich war mir sicher, dass ich sie heiraten wollte – auch wenn ich damals erst 22 war. Das muss man dann auch akzeptieren.“ Im Oktober 2007 heirateten die beiden standesamtlich. Er sagt, dass der Tag sein Leben verändert hat. „Du weißt ja noch, dass ich früher echt faul war, oder? Inzwischen habe ich aber Verantwortung übernommen. Für meine Familie. Ich weiß, wofür ich lerne und warum ich mein BWL-Studium jetzt schnell durchziehe. In dem Punkt würdest du mich wahrscheinlich nicht mehr wiedererkennen“, sagt er. Wir verabschieden uns und David lässt mich lächelnd und nachdenklich zugleich zurück. Schließlich suche ich nach Imke.
Sie war im Mädchen-Fußballkurs und ich habe sie das letzte Mal auf unserem Abiturball gesehen. Die Mutter gibt mir Imkes Nummer. Eine fröhliche Ansage auf dem Anrufbeantworter springt an und sagt: „Hier wohnen Imke, Florian, Eddy und Henry.“ Wow, denke ich. Noch mehr Kinder. Als ich Imke dann selbst am Apparat habe, frage ich direkt: „Warum hast du schon mit 23 geheiratet?“ Sie fragt sofort zurück: „Warum soll ich warten, wenn ich weiß, dass ich mit meinem Mann für immer zusammenbleiben will?“
Seit der 12. Klasse ist Imke mit ihrem Freund zusammen. Sie studierte Politikwissenschaft und zog bereits im ersten Semester mit ihm in eine Wohnung. Kurz danach kam die Verlobung, im vergangenen Jahr schließlich die Heirat. Eigentlich, erinnert sich Imke, seien Freunde und Familie nicht besonders überrascht gewesen. Allein der Opa habe gefragt, ob die Heirat nicht doch etwas zu früh käme.
Nun bin ich die, die nach der vermeintlich zu früh verlorenen Freiheit fragt: „Hast du nicht manchmal das Gefühl, etwas zu verpassen? Oder das Gefühl, dass du Chancen nicht nutzen kannst, weil du schon so fest gebunden bist?“
„Nö“, sagt Imke ziemlich knapp. „Natürlich kann ich keine Entscheidung alleine treffen. Aus dem Ich ist ein Wir geworden. Wir müssen beide lernen, Kompromisse zu machen.“ Imke weiß mein Was-wäre-wenn-Gegrübel zu deuten, die ewige Suche nach dem Superlativ in der Liebe und im Leben. Ihre Antwort ist einfach: „Ich kenne diese Zweifel nicht“, sagt sie. Kurz vor dem Auflegen fallen mir die Kinder ein. Eddy und Henry. Ich spreche Imke auf die beiden an und sie lacht auf. „Das sind doch nur unsere Katzen.“
Als ihre beiden Kinder Mittagsschlaf halten, hat Olga Zeit zum Telefonieren. Sie ist jetzt Fulltime-Mom in Amerika und eigentlich hat sie mit Imke und David nicht besonders viel gemeinsam. Doch mindestens im Entschluss zur Ehe gibt es eine Gemeinsamkeit: Allen war es einfach nicht mehr genug, „nur“ zusammen zu sein. Sie wollten noch mehr voneinander. Sie wollten einfach das offizelle Bekenntnis des Zusammengehörens. Und das für immer.
Für Olga allerdings hat Heirat noch eine andere Bedeutung. Für sie ist die Ehe heilig und dass sie ihren Mann kennengelernt hat, ist für sie ein Zeichen Gottes.
Olga ist gläubige Christin. In Amerika traf sie Menschen, die ihren Glauben verstärkten. Sie setzte sich intensiver mit der Bibel auseinander. Als sie mit 19 Jahren ihren jetzigen Mann kennenlernt, auch er sehr gläubig, ist für beide klar: ,Entweder das zwischen uns ist was Ernstes, also wir heiraten, oder es ist nichts.‘ Erst sind die beiden lange nur befreundet. „Gemeinde, Kaffeetrinken mit anderen, Kino – alles, was man mit einem guten Freund macht“, erinnert sich Olga. Sie habe sich gefragt, ob das nun der Mann sei, den Gott für sie ausgewählt hat. Nach ein paar Monaten war Olga klar, dass da viel Gefühl war. Ihm ging es ähnlich. Er rief bei Olgas Vater in Deutschland an und fragte in rostigem High School-Deutsch, ob er Olga daten dürfe. Der Vater sagte ja, die Gemeinde wurde eingeweiht und Olga und Bo, so heißt ihr Freund, waren Boyfriend und Girlfriend. Als Olga 20 war, hielt er um ihre Hand an. Erst vor dem Traualtar küsste Olga Bo zum ersten Mal. Die beiden hatten sich entschlossen, sich körperlich nicht näher zu kommen, obwohl die Bibel Küsse vor der Ehe nicht verbietet. „Das war echt schwer zwischendrin“, sagt Olga. „Ich war in ihn verliebt und wollte ihm nah sein.“ Nun sind die beiden verheiratet.
Aus meinem letzten Gespräch wird dann nichts mehr. Leider, muss man sagen. Als ich nämlich die Eltern eines einstigen Klassenkameraden um seine Telefonnummer frage, stutzen sie. „Das Heiratsthema – hmm, das ist bei ihm gerade schwierig. Der lässt sich nämlich scheiden.“ Nach dem Gespräch muss ich an Imkes Worte denken. Sie sagte: „Früh heiraten, spät heiraten oder gar nicht – ob es wirklich für immer klappt, weiß man dann doch nie. Egal ob man mit 30 oder 22 heiratet.“ Vielleicht ist die Erkenntnis nicht neu. Aber zu stimmen scheint sie.
Text: fiona-webersteinhaus - Foto: DWerner/photocase.com