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Der reichste Einwohner von Selfoss - ein Interview mit dem isländischen Maler Hallur Karl Hinrikson
Man hat den Eindruck, in Island sei jeder Pleite ist. Wie hast du deine Reise nach München finanziert? Hallur: Ich hatte auch kein Geld, war total blank. Doch ich musste unbedingt zur Richter-Ausstellung. Also hatte ich eine Idee: Ein Farmer in unserem Kaff hatte 60sten Geburtstag und ich konnte die Familie solange bearbeiten und überzeugen bis sie endlich ein Bild bei mir in Auftrag gaben: Sie wollten, dass ich den Bauernhof von ihrem Onkel male, damit sie ihm das Ölbild dann zu seinem Ehrentag schenken. Ich habe sofort losgelegt, wurde aber nicht fertig. Wenn ich heimkomme, muss ich es noch zuende malen - und so habe ich nur vom Vorschuss meine Tickets nach München gezahlt. Für uns ist es gerade sehr billig nach Island zu fahren. Hallur: Und für uns unglaublich teuer zu reisen. Die isländische Krone ist so schwach, dass es Unsummen kostet, sie in Euros umzutauschen. Mein Flug war auch unglaublich teuer. Den genauen Preis habe ich verdrängt. Und wie sind die Preise in Island? Hallur: Auch das Leben ist bei uns durch die Krise sehr teuer geworden. Es ändert sich jeden Tag etwas. Unsere Wirtschafts-Experten sagen voraus, dass dieses Jahr täglich neun Firmen bankrott gehen werden. Und das in einem Land, in dem nur 314 000 Menschen leben.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Kannst du erklären, wie es zu so einer massiven Krise kam? Hallur: Was für eine komplexe Frage! Es gibt ganz viele Gründe, warum alles schief gegangen ist. Wirtschaftlicher Liberalismus wurde gepredigt. Einfach jeder hat Kredite aufgenommen, denn alle gierten auf einmal nach einem hohen Lebensstandard: Jeder wollte getunte Superjeeps fahren und Faltscreen-Fernseher haben. Als die Krise losging, fingen aber die Leute bei uns an, über den Tod des Kapitalismus zu reden. Ich fürchte aber er ist nicht tot, und die Leute werden auch nach der Krise mit einem schlechten System weiterleben. Und dann gibt es noch die weltweite Finanzkrise. Das ist in Island übrigens ein ganz schlechtes Gesprächsthema, weil die Leute so superwütend sind - auf die Banken, auf die ganze Situation. Wie sehen denn deine Finanzen gerade aus, wenn ich fragen darf? Hallur: Als ich das letzte Mal auf der Bank war, erlebte ich eine Überraschung: Mein Berater steckte mir, dass ich der reichste Mann in meiner Stadt bin. Denn ich habe nie einen Kredit aufgenommen oder auf Pump gelebt. So, sagte er mir, sei ich nun der einzige Mensch in Selfoss ohne Schulden. Früher hat man in Island den Reichtum eines Bauern daran gemessen, wie viele Pferde er hat. Und heute? Hallur: Niemand ist mehr reich. Jeder scheint bankrott. Reich ist, wer noch etwas besitzt. Aber viele Leute besitzen wirklich nur noch Schulden. Na gut, ein paar Leute haben schon mehr. Wir Isländer haben die Schulden gemacht, die noch zwei, drei Generationen nach uns zahlen werden müssen. Auf der nächsten Seite erläutert Hallur, was die Krise mit Alkohol zu tun hat und warum er es als Privileg empfindet, diese Krise zu erleben.
Wie gehen die Leute damit um? Hallur: Sie trinken mehr Alkohol. Wenn eine neue Regierung Maßnahmen ergreift, wird sich das hoffentlich positiv auswirken. Ich glaube es gibt Hoffnung in und für Island. Wir haben gerade auch Schiss, dass es auch noch die Farör-Inseln massiv trifft, und alle jungen Leute das Land verlassen. Weil inzwischen wegen der letzten Krise dort eine ganze Generation fehlt! Und wenn das gleiche in Island passiert, endet das in einer Katastrophe! Es gab viele Demonstationen. Hallur: Im Januar gab es richtige Riots, aber statt Gewalt anzuwenden, wurden Küchen-Utensilien wie Töpfe und Pfannen herausgeholt, um vor dem Parlament soviel Krach wie möglich zu machen. Mit dem Ergebnis, dass die Regierung stürzte. Hallur: Bald gibt es Neuwahlen. Das ganze wurde bei uns "Büsähaldabyltingin" genannt, das heißt "Küchenutensilien"-Revolution. Fast alle Isländer waren friedlich und gegen Gewalt. Um diese Haltung zu manifestieren, trugen sie orangefarbene Binden um den Arm, um der Polizei zu kommunizieren, dass sie gegen brutale Ausschreitungen sind und friedlich bleiben. Bei uns sind übrigens Polizisten nicht einmal mit Pistolen bewaffnet, nur die Einsatztruppe "Wiking Squad" trägt Waffen. Als ich hier in Deutschland zum ersten Mal gewöhnliche Polizisten mit Waffen sah, wurde mir ganz mulmig! Gab es noch mehr, was dich überrascht hat? Hallur: Das erste was mich wirklich erstaunt hat, ist, wie sauber hier alles ist. Aber ich will auf keinem Stereotyp herumreiten! Mir fällt auf, wie freundlich die Leute sind und wie gut der Service ist. Alle scheinen so fit und die Strassen sind voller glücklicher Leute, das Gegenteil zu gloomy Iceland. Es ist für mich eine Bildungsreise. Ich schaue mich nach neuen Märkten und Möglichkeiten für meine Arbeit als Maler um. Und dabei wandelst du auf auf den Spuren deiner Idole. Hallur: Als Maler wollte ich unbedingt nach Deutschland, denn ich habe zwei deutsche Helden: Baselitz und Richter. Ich male abstrakt. Und mich reizt die Spannung zwischen Mensch und Natur, dieser Spannung spüre ich in meinen Bildern nach. Und im Münchner "Haus der Kunst" hat gerade eine Ausstellung mit Werken von Gerhard Richter begonnen. Und? Hallur: Es ist die schönste Ausstellung, die ich je gesehen habe! Weil Richters abstrakte Arbeit so zum Reflektieren einlädt. Außerdem frage ich mich, wie ein so kleiner Mann dermaßen große Bilder malen kann. Ein Phänomen! Nochmal zurück zur Krise. Wie hat eigentlich die berühmteste Isländerin Björk reagiert? Hallur: Björk wird politisch immer aktiver. Aber am meisten setzt sie sich zur Zeit für die Umwelt ein und hilft, grüne Kleinunternehmen aufzubauen. Mit welchen Gefühlen wirst du zurück nach Island fliegen? Hallur: Wir leben in turbulenten Zeiten. Und ich glaube, in diesem Kontext Künstler zu sein verleiht einem eine besondere Rolle und Aufgabe: Es gibt so viel Inspiration, auch und vor allem in der Krise. Ich plane eine Ausstellung mit Bildern, die diese Krise reflektieren. Es ist ein Privileg für einen Künstler, eine solche Krise zu erleben und die Fragen, die alle beschäftigen, in seinen Bildern auszudrücken.