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Der Anti-Konsument

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„Um viertel vor sieben habe ich einen Pressetermin, danach kommen sicherlich tausend Leute – aber wir finden schon Zeit für ein kleines Interview“. Sebastians Stimme klingt am Telefon freundlich und professionell – vor allem aber so, als ob gerade sehr viele Menschen etwas über ihn erfahren wollen. Um 20 Uhr haben sich dann drei Leute in dem kleinen, ehemaligen Verkaufsatelier in der Baaderstraße um den 26-Jährigen und seine Bilder versammelt. Der studierte Grafikdesigner trägt enge Röhrenjeans mit zwei Gürteln, einer nietenbesetzt, der andere mit Leopardenfell bezogen. Auf seinem Kopf sitzt eine dunkle Kappe unter der schnell flackernde Augen hervorblicken. Begeistert erklärt Sebastian den stumm nickenden Gesichtern, was er sich bei seinen Werken gedacht hat. Es sind Fotos von alten Fabrikwänden oder Brückenpfeilern, auf denen Worte wie „In greed we trust“ oder das bekannte „Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom“ stehen. Einen klaren Kopf behalten Letzteres ist eines der Graffitis, das in den letzten Monaten auf Street-Art-Ausstellungen unter anderem in Berlin, Hamburg und Frankfurt gezeigt wurden. Es prangte einst gegenüber des alten Café King auf einer alten Hauswand, bevor sie schließlich abgerissen wurde. Sebastian hat gezielt das Glockenbachviertel für seine aktuelle Ausstellung ausgewählt. „Eine extrem von Konsum und Kommerz geprägter Gegend, der ich den Spiegel vorhalten will“, sagt er, während er zwischen den ausgestellten Bildern hin- und herblickt. Seine Bilder sind stets mit vollem Namen signiert – eigentlich untypisch für einen Graffitikünstler. „Ich tue doch nichts Illegales“, sagt Sebastian. „Es geht mir nicht darum, heimlich Gebäude zu beschmieren. Ich begreife den öffentlichen Raum als die beste Möglichkeit, Menschen auf etwas aufmerksam zu machen, vor dem sie oftmals die Augen verschließen.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein weiterer Besucher betritt die Galerie, Sebastian grüßt freudig und eilt dann auf einen großen Straßenstromkasten zu, der als einziges Objekt auf dem Boden des Raums steht. Darin lagern Getränke: Wasser, Limonade und Kombucha – bloß kein Alkohol, denn das ist Teil von Sebastians Philosophie. Drogen sind tabu, er raucht und trinkt nicht. „Drogen trüben die Wahrnehmung. Der eigene Verstand ist das Wichtigste, was wir haben“, findet Sebastian. Und: „Wir müssen hinterfragen, was in der Welt geschieht. Wir müssen neue Ideale schaffen und uns für sie einsetzen.“ „The sinking ship of greed“ heißt das Graffiti, das Sebastian direkt am Altstadtring auf eine Hauswand gesprüht hat und von dem er behauptet, es sei mittlerweile das wohl meistgesehene Graffiti Münchens: Eine riesige aus dem Meer auftauchende Krake schlingt ihre Tentakel um eine große Segelflotte – bereit, sie jeden Moment in den Abgrund zu ziehen. „Das Bild symbolisiert, was wir dringend vermeiden müssen: dass unsere Gesellschaft und ihre Werte von unserer grenzenlosen Habgier ins Verderben getrieben werden“, sagt Sebastian. Aus der Ecke hinter dem Stromkasten läuft Musik der antikapitalistischen Band „Anti-Flag“. Während des Gesprächs springt Sebastian mehrere Male auf, um die Lautstärke hoch– und wieder herunter zu drehen. Er ist stolz darauf, dass der Sänger der Band, Justin Sane, ein begeisterter Anhänger seiner Kunst ist. Kürzlich stand er bei einer Ausstellung eine halbe Stunde lang an, bloß um Sebastian persönlich kennenzulernen. Langsam wird es auch in dem kleinen Atelier merklich voller. Fortlaufend betreten Grüppchen von zwei, drei Besuchern die Galerie. Es sind Bekannte, Freunde oder jemand vom Kulturreferat. Nur kurz „Hallo“ sagen wollen sie. Sebastian pendelt zwischen Eingangstüre und antialkoholischem Limonadenschrank hin und her. Alles soll perfekt sein heute Abend. Es ist ihm ernst. „Bei nur wenigen Street-Art-Künstlern findest du noch gesellschaftskritischen Hintergrund“, sagt er. „Da sind beispielsweise Banksy und der spanische BluBlu. Den meisten anderen geht es nur um Selbstvermarktung.“ Sebastian sieht sich „als Teil unserer bequemen Generation dafür verantwortlich, die Kids durch Kunst auf die Probleme unserer Welt aufmerksam zu machen.“ Er spricht von „Maden in dem durch harte Arbeit angereicherten Speck unserer Eltern“ und von Leuten, die „viel reden und wenig sagen“. Dabei erzählt er selbst ganz schön viel. Es wirkt, als wolle sich Sebastian seine ganze Wut auf die Gesellschaft vom Herzen reden. Moral und Marke Je länger er spricht, desto mehr drängt sich die Frage auf, wieso da ein von ihm gestaltetes Werbeplakat an der Wand hängt. Sebastian hat es exklusiv für einen großen Uhrenhersteller gemalt, mit dem er sogar eine eigens entworfene Kollektion plant. „Gute Frage“, sagt er und lächelt. Sebastian wird als Street-Art-Figur oft von Großkonzernen angefragt, die mit seiner Kunst ihr Werbeimage aufhübschen wollen. „Ich habe Summen abgelehnt, für die andere Leute ihre Moral vergessen würden. Und das, obwohl ich ein Kind aus einer Arbeiterfamilie bin und wirklich sehen muss, wie ich mich über Wasser halte“, sagt er. Dieses Mal sei es aber etwas anderes gewesen. „Ich weiß, dass die Marke ohne Ausbeutereien produziert. Außerdem kam sie wegen der Inhalte meiner Bilder auf mich zu.“ Sebastian sieht die Kollaboration als Möglichkeit, seine Botschaften an eine noch viel größere Öffentlichkeit zu bringen. „Ich bleibe, wer ich bin“, sagt er dann noch und schnappt sich ein Wasser aus dem Stromkasten. Die Ausstellung „Subversive“ von Sebastian aka „skore183“ ist bis zum 27.2. in der Baaderstraße 74 zu sehen.

Text: mercedes-lauenstein - Fotos: www.skore183.com

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