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Das Lieben der anderen

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Allein unter Schwulen Der Riese in Ledermontur fixiert mich mit seinen roten Stieraugen. Seine Blicke sind wie kleine, harte Faustschläge. Seit zwei Stunden fürchte ich mich vor diesem Augenblick. Ich muss. Ich steige die dunkle Kellertreppe hinab. Hinter mir stapfen Stiefel. Es wird finster. Ein Körper streift den meinen. Ich gehe weiter und öffne die Türe zur dunkelsten Toilette der Welt. Mein Kopf knallt gegen die Fliesen. Schmerz, Entwürdigung, irreparable seelische Schäden – ich hatte befürchtet, es würde hart werden. Aber so war es nicht. So waren nur meine eigenen diffusen, homophoben Ängste. Es war ganz anders. Den BAU in der Müllerstraße gibt es seit 13 Jahren. Ich bin unzählige Male daran vorbei gegangen an den Außenwänden in Regenbogenfarben, die zusammen mit den drei Großbuchstaben einen Kontrast bilden, wie eine Tüte Gummibären neben einem Vorschlaghammer. B-A-U, das klingt nach harter, aber ehrlicher Arbeit, nach Metzgerei und der schrecklichsten Szene in Pulp Fiction. Es ist 22 Uhr, als ich die Tür zum BAU öffne.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Gleich am Eingang steht die Bar. Hinter dem Tresen arbeiten Monti und sein Kollege. Monti hat sanfte Augen, die in einem runden, gemütlichen Gesicht ruhen. Er ist 29 und arbeitet hier seit vier Jahren. „Zu uns kommen eigentlich alle möglichen Männer“, sagt er. „Jeder kriegt hier, was er sucht.“ Alte, junge, besoffene, nüchterne, große, kleine, attraktive, hässliche Männer. Nur Männer in allen ihren Erscheinungsformen. Schulterklopfen, Biergläserklirren, Kumpelei. Eine Leichtigkeit breitet sich in mir aus. Das ganze Alphamännchengehabe fällt ab. Das latent schlechte Gewissen, das entsteht, wenn man eine Frau zu lange anblickt, weil man sich bei einem Gedanken erwischt, den sie gerade überhaupt nicht denkt, verschwindet. Wir sind alle gleich. Ein kräftiger Glatzkopf bestellt in tiefsten Bayerisch ein Glas „Milli“. Seien wir mal ehrlich: Warum schleppen wir Heteros uns jedes Wochenende aufgebrezelt in Bars, trinken zu viel Alkohol und strapazieren dann in einem Club unseren Biorhythmus? Gut, es gibt ein paar Tanzwütige, die sich selbst genügen. Der Rest sucht etwas und verkompliziert sich in einem Wirrwarr aus gesellschaftlichen Konventionen, Eitelkeit und übertriebener Vorsicht. Lächeln, zurücklächeln, ansprechen, weiter sprechen, nach der Telefonnummer fragen, zwei Tage später eine SMS schicken oder anrufen und sich zum Kaffee verabreden. Wieder sprechen. Nochmals ausgehen, sich küssen und. . . Bis Mann und Frau bei dem angekommen sind, was sie beide wollen, ist das Lebenschon längst woanders. Es ist hier, im BAU. Hier kann man dieses Balzbrimborium auf fünf Minuten reduzieren. Zwei Mittdreißiger kommen herein, grüßen kurz und verschwinden dann ein Stockwerk tiefer. Effizienter, ökonomischer und ehrlicher kann Liebe, die körperliche, nicht sein. Wer will, legt los, sofort, unten im Keller. Die Blicke sind aufmerksam, höflich und eindeutig. Das Gefühl der Knappheit, das ein männliches Heteroleben schmerzend begleitet, wie eine angeborene Krankheit, löst sich auf. Erleichterung. Plötzlich sind wir nur noch Männer. Wie eine erschöpfte Fußballmannschaft oder eine Einheit Soldaten nach dem Kampf: Niemand, sagt, wir sollen weniger trinken. Niemand verlangt von uns, diesen unbezwingbaren Spagat von Stärke und Schwäche zu meistern. Niemand behauptet, es gäbe einen Widerspruch von Freiheit und Liebe. Monti hat seit zwei Jahren einen Freund. Sie führen noch eine offene Beziehung: „Mit einer treuen Partnerschaft wollen wir noch etwas warten, bis die Beziehung sich gefestigt hat“, sagt er. Wie ein verkrampfter Pudding Jonas fällt auf, weil er jünger ist und besser aussieht, als der Durchschnitt. Er trägt ein V-Neck und darüber eine Lederjacke. Auf dem Kopf hat er eine Baskenmütze. Seine schwarzen Augen sind so groß wie kleine Seen. Er nimmt mich mit ins New York. Hier sind die jüngeren, hübschen, weicheren Schwulen, die immer ein Gruppe von Mädchen im Schlepptau haben. Mädchen, die es genießen, nicht die ganze Zeit angegraben zu werden. Ein Kreis von ihnen bewegt behäbig ihre Hinterteile zum „Small Town Boy“ von Bronski Beat. Um sie herum tanzen lachende Männer expressiv. Ein Radiomoderator mit Irokesenschnitt sagt zu mir, dass im

Text: philipp-mattheis - Illustration: Jakob Wakobinger

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