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Bis zur letzten Jacke
Wir sehen sie am Anfang jeder Nacht und an deren Ende. Immer nur kurz – wir drücken ihnen eine schwere Jacke und einen Euro in die Hand und erhalten dafür einen kleinen Zettel (- den wir besser nicht verlieren). Erst Stunden später kehren wir zu ihnen zurück, doch sind wir nun nicht mehr diesselben. Verschwitzt, verliebt, glücklich, enttäuscht oder einfach nur betrunken tauschen wir wieder Zettel gegen Jacke und verschwinden zurück in die andere, die normale Welt. Sie dagegen bleiben, bis auch die letzte Jacke abgeholt worden ist. jetzt.muenchen hat mit fünf Gaderoben-Mädchen und -Jungs gesprochen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Alex, 29, Registratur „Ich sehe die Leute ganz am Anfang der Nacht und ganz am Ende der Nacht. Dazwischen kann ziemlich viel passiert sein. Was das wettmacht, ist, wenn man den Leuten ansieht, dass sie einen netten, fröhlichen Abend hatten. Die Garderobe hier ist meistens der abgeschiedenste Ort des Clubs. Wer sich mal ein bisschen ausklinken will und jemanden zum Reden braucht, landet ganz gerne bei mir. Das ist meistens witzig, manchmal seltsam, niemals unangenehm. In meinen drei Jahren hier habe ich nämlich eines gelernt: Man darf die Leute in einer Freitag- oder Samstagnacht einfach nicht ernst nehmen. Das betrifft vor allem auch die Leute, die meinen, einen blöden Spruch loslassen zu müssen, wenn viel los ist und sie kurz warten müssen oder wenn sie ihren Garderobenzettel verloren haben. Dann kommt gern mal so was wie: „Mach mal deinen Ein-Euro-Job schneller.“ Sowieso denke ich, dass sich an der Garderobe entscheidet, wer einen guten Abend haben wird und wer nicht. Wer cool ist, grüßt nett, gibt mir zwei Euro, und sagt: Passt schon. Wer uncool ist, wirft mir Jacke und Geld hin, und tut so, als würde er mich gar nicht sehen. Ich erwarte gar nicht viel: Hallo und Danke sagen reicht mir schon vollkommen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Max, 22, Nachtgalerie „Mein Trick ist mein Biene-Maja-T-Shirt. Nachtleben und Alkohol versetzen Menschen gerne in einen kindischen Zustand, und das Willi-Shirt ruft dann ziemlich lustige Reaktionen hervor. Hartgesottene Kerle mit breitem Kreuz fangen an zu tanzen und rufen: „Maja, wo bist du?“ Sehr süß war das Mädchen, das gefragt hat: „Darf ich deine Maja werden?“ Natürlich ist es auch anstrengend mit den Betrunkenen am Ende der Nacht. Manche Leute schießen sich ja vollkommen aus dem Leben und checken einfach gar nichts mehr. Entweder sie werden fröhlich und nett, und freuen sich immer so schön, wenn man ihnen ihre Jacke wiedergibt, oder sie werden eben aggressiv. Bei uns kann man zum Beispiel Geld abheben, wir haben ein tragbares Gerät, in das die Leute ihre EC-Karte stecken, wie im Restaurant. Kommt im Restaurant da Geld raus? Natürlich nicht. Das wird abgebucht und das Geld nehmen wir aus der Garderobenkasse. Das sorgt regelmäßig für Verwunderung. Dann denke ich mir immer: Junge, deinen Kopf möchte ich morgen früh auch nicht haben.“
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Steffi, 22, Palais „Ich habe vor zwei Jahren hier angefangen, und seitdem vielleicht an acht oder neun Wochenenden nicht gearbeitet. Ich liebe diesen Club einfach, das Feeling, die Leute, die Musik – Las Vegas in München. An der Garderobe bin ich Teil des Ganzen. Wir sind ein After-Hour-Laden, was heißt, dass es auch schon mal bis in den Nachmittag am nächsten Tag gehen kann. Da hilft nur eins: nüchtern bleiben. Gelernt habe ich hier: Es gibt nichts, was es nicht gibt, nichts, was nicht passieren kann. Es ist einfach schön, den Leuten zuzuschauen, wie sie mit leuchtenden Augen glücklich durch den Club laufen, auch wenn jeder Dritte seine Garderobenmarke verliert. Oder meinen, sie hätten ihre Jacke abgegeben, dabei liegt sie irgendwo auf dem Boden. Dann nehme ich die Leute an der Hand, und wir suchen gemeinsam. Natürlich gibt es auch Typen, die Ärger machen. Ich habe einen SOS-Knopf in der Garderobe, damit die Türsteher notfalls schnell da sind. Dieser Job macht einen stärker. Mein Selbstbewusstsein ist gewachsen, ich bin extrovertierter geworden durch die Arbeit hier. Das hilft mir auch im richtigen Leben weiter."
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Zuzzi, 35, Atomic Cafe „Ich arbeite hier, seit es das Atomic gibt – seit zwölf Jahren, zurzeit dreimal die Woche. Für mich ist das, wie wenn ich selbst ausgehe: Musik hören, Konzerte anschauen und immer mal wieder ein nettes Gespräch mit den Gästen. Mit manchen habe ich mich auch im richtigen Leben angefreundet, sogar meinen Lebensgefährten habe ich beim Arbeiten kennen gelernt. Ich weiß noch, dass er seinen Fahrradkorb abgegeben hat. Überhaupt, was die Leute hier alles vorbeibringen: Fahrradreifen, Katzenkratzbäume – natürlich nehme ich alles an, ohne mit der Wimper zu zucken, aber manchmal wundere ich mich schon, was die Leute dabeihaben. Was auch sehr viel abgegeben wird: Musikinstrumente. Als ich einmal den großen Wunsch hatte, Posaune zu lernen, hat tatsächlich jemand eine Posaune abgegeben und wurde gleich mein erster Posaunenlehrer.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Alex, 22, Crash
„Ein großer Vorteil, wenn man am Wochenende nachts arbeitet, ist, dass man in der Zeit Geld verdient, in der man ansonsten selbst ausgehen und Geld ausgeben würde. Es lohnt sich also doppelt. Wir haben am Abend ungefähr 150 jüngere Gäste zwischen 16 und 18. Im Grunde sind viele noch Kinder und es ist witzig, wenn sie mich anfangen zu siezen. Was definitiv nicht mehr witzig ist, ist wenn 16-Jährige, die noch keine Erfahrung mit Alkohol haben, über die Stränge schlagen. Die werden dann gerne mal frech und pampig, aber für so etwas habe ich meine Türsteher. Manche haben auch fantastische Ideen: Einmal haben welche ihre eigenen Kleiderbügel mitgebracht, sind einfach an der Schlange vorbeigelaufen, und haben dann gemeint, das kostet jetzt nichts, weil sie doch ihre eigenen Bügel dabeihätten. Ich war so amüsiert, dass ich einfach nicht nein sagen konnte.“
Text: adrian-renner - Fotos: Autor