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Allein unter Frauen
Unten in Betzdorf ist es grau. Es nieselt, die Wolken hängen tief über der Fußgängerzone: dunkle Bierstuben, leere Straßencafés, graue Pflastersteine. Oben bei Felix ist es bunt, er wohnt am Hang, hoch über der Stadt. Die Farben an der Hauswand verraten viel über sein Leben: Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Violett. Es geht steil bergauf, die letzten Schritte sind beschwerlich. Dann endlich ist man angekommen. Bei Felix unterm Regenbogen. „Ich bin stolz darauf, zwei Mütter zu haben“, sagt Felix, rutscht näher an den Küchentisch und wirkt gleich noch ein paar Zentimeter größer. Er ist Sportler, hat kräftige Hände und breite Schultern. Eigentlich keiner, um den man sich sorgen muss. Politik und Gesellschaft tun es bisweilen trotzdem: Der 17-Jährige ist einer von 7 000 Kindern und Jugendlichen, die in Deutschland in einer sogenannten Regenbogenfamilie leben. Felix ist sieben, als sich seine Mutter Anne in eine Frau verliebt. In Sabine, die Kollegin aus der Klinik. Vier Monate später schläft Sabine im Bett seiner Mutter, sitzt neben ihr am Küchentisch. Dort, wo bisher der Platz seines Vaters war. „Die Familie von früher gibt es für mich nicht mehr. Ich habe die Erinnerungen irgendwann gelöscht“, sagt Felix heute. Schöne Erinnerungen waren es nicht: Sein Vater war psychisch labil, die Ehe seiner Eltern eine Zweckgemeinschaft. Viel Streit, wenig Gemeinsamkeiten, eine vielleicht typische Scheidungsgeschichte. Mit einem Unterschied: Wer eine alleinerziehende Mutter hat, ist ein gewöhnliches Scheidungskind; wer, wie Felix, zwei Mütter hat, taugt zum Sorgenkind einer ganzen Gesellschaft. Als Ex-Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) im Sommer das volle Adoptionsrecht für homosexuelle Paare fordert, winkt Bayerns Sozialministerin Christine Haderthauer (CSU) ab – „im Sinne des Kindeswohls“, wie sie sagt. Auch andere Unionspolitiker sind dagegen, christliche Initiativen sammeln gar Unterschriften gegen ein entsprechendes Gesetz. Ein häufiges Argument: Zur Identitätsfindung seien sowohl männliche als auch weibliche Rollenvorbilder nötig.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Regenbogenfamilie von Betzdorf: Felix und seine Mutter Anne (links), seine Schwester Antonia und Sabine, die Partnerin seiner Mutter. Felix hört das nicht zum ersten Mal, schüttelt sich das semmelblonde Haar aus dem Gesicht und kommentiert trotzig: „Ich habe zwei Mütter und eine kleine Schwester, klar färbt das ab. In meinem Verhalten bin ich schon femininer als andere.“ Felix lacht jetzt, als sei er selbst überrascht, wie selbstverständlich sein Leben heute für ihn ist. In der Grundschule war das anders, die Mitschüler nannten ihn „Schwuli“. Wenn Felix von damals erzählt, spricht er mit ernster Stimme, der Blick versinkt in seiner Kaffeetasse: „Obwohl ich wusste, dass Homosexualität nichts Falsches ist, hatte ich oft ein komisches Gefühl. Ich war eben unsicher, wie andere auf meine Familie reagieren.“ Nicht einmal guten Freunden erzählt er von seiner zweiten Mutter Sabine, die damals selbst mit Ablehnung kämpft: Als die Kollegen in der Klinik von der Beziehung zu Hebamme Anne erfahren, sprechen sie nicht mehr mit ihr. Der Arbeitsvertrag als Gynäkologin läuft aus, wird nicht verlängert. Die junge Familie ist frustriert und plant den Abschied: raus aus der grauen Provinz, rein in die große Stadt. Dorthin, wo die Menschen toleranter sind, wo das Leben bunter ist. Aber es kommt anders. Felix und seine Schwester Antonia wollen unbedingt im rheinland-pfälzischen Betzdorf bleiben, ihre Herzen hängen an der Heimat, an den Freunden, am Sportverein, am Häuschen hoch über der Stadt. Doch die Mütter wissen: Ein friedliches Leben ist hier nur möglich, wenn sie ihre Situation öffentlich machen, wenn sie ihre Liebe nicht länger verschweigen. Die Familie trifft eine Entscheidung und tritt die Flucht nach vorne an. Sie macht so etwas wie „Öffentlichkeitsarbeit“: An der Hauswand und am Auto leuchten fortan die Regenbogenfarben, die Farben der Schwulen und Lesben. Felix’ Lehrer und Mitschüler werden informiert, ebenso die Patienten von Anne und Sabine - die beiden eröffnen eine gemeinsame Praxis im Ort. Eine Anzeige in der Lokalzeitung weiht schließlich ganz Betzdorf in das Geheimnis der lesbischen Liebe ein. So viel Öffentlichkeit macht verletzlich. Das spürt auch Felix, als die Hänseleien in der Schule zunehmen, als ihn ein Klassenkamerad auslacht, weil er nun mit zwei Müttern an der Schlittenbahn steht. Heute weiß er, dass der Weg in die Öffentlichkeit richtig war, dass das Outing für Felix ein unangenehmes Versteckspiel beendet hat: „Wenn die Eltern sich nicht outen, müssen die Kinder immer etwas verbergen. Für mich war das ein großes Problem.“ Felix beginnt sich zu wehren gegen die spottenden Mitschüler, kritisiert im Religionsunterricht traditionelle Rollenvorstellungen und verschafft sich so Respekt durch Offenheit. „Ich gehe inzwischen sehr viel lockerer mit dem Thema Homosexualität um, als andere in meinem Alter. Wenn mich jemand deshalb als schwul bezeichnet, ist mir das egal“, sagt er. Er spüre noch immer eine Benachteiligung Homosexueller. Er kritisiert das Vorurteil, dass lesbische Mütter oder schwule Väter schlechte Vorbilder für ein Kind seien. Er erzählt von den Vätern seiner Freunde, die selten daheim seien und sagt, dass er nie solch ein Vater werden wolle. Jetzt spricht Felix sehr langsam. Er macht viele Pausen. Er ist bemüht, die richtigen Worte zu finden. Am liebsten, sagt er, würde er in den Lesben- und Schwulenverband in Deutschland eintreten und sich stärker für die Rechte Homosexueller einsetzen. „Aber ich weiß nicht, ob ich da einfach so rein kann. Ich bin ja selbst gar nicht schwul“, sagt er und grinst, als habe er seinem Gegenüber gerade eine Überraschung anvertraut.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Felix
Seit zehn Jahren lebt Felix inzwischen mit zwei Müttern. Das Verhältnis zum Vater ist nach wie vor schwierig, er trifft ihn selten. „Manchmal denke ich auch, dass es für Felix nicht ganz einfach ist, so allein unter Frauen“, sagt Mutter Anne, die neben ihrem Sohn am Küchentisch sitzt. Sie blickt Felix fragend an, dann hellt ihre Miene auf: „Aber wir haben ja den Kater angeschafft, damit wenigstens ein weiteres männliches Wesen im Haus ist.“ Felix lächelt kühl und sagt: „Ich kann den Kater nicht leiden.“
Was für Felix seit einem Jahrzehnt Alltag ist, war für die Öffentlichkeit lange unerforschtes Gelände. Vor allem eine Frage stellen konservative Politiker immer wieder: Entsprechen Kinder aus Regenbogenfamilien ihren natürlichen Geschlechterrollen? Das Ergebnis eines aktuellen Forschungsprojekts aus dem Sommer dieses Jahres sagt: Es gibt in der Entwicklung keine Unterschiede im Vergleich mit Kindern, die in klassischen Familien aufwachsen. Im Gegenteil, heißt es in der Studie, die im Auftrag des Bundesjustizministeriums am Bayerischen Staatsinstitut für Familienforschung an der Uni Bamberg entstand: Kinder aus Regenbogenfamilien sind zuweilen besonders selbstbewusst und gefestigt, weil sie früh lernen müssen, Widerstände zu überwinden. Für Felix indes stellt sich die Frage nach der Geschlechteridentität gar nicht erst: „Die typische Rolle des Mannes gibt es für mich genauso wenig wie die der Frau. Das ist von der Natur sowieso nicht festgelegt.“
Auch an sich selbst bestreitet Felix jeden Charakterzug, der gemeinhin als typisch männlich gilt. Seine Mutter sieht das ein wenig anders: Ein Macho sei er ja manchmal schon, sagt Anne und verdreht die Augen hinter den Brillengläsern: „Überall lässt er seine Klamotten liegen, weil er glaubt, dass eine von uns Frauen die Sachen schon aufheben wird.“ Der Kater schleicht unterm Küchentisch hindurch, Felix ignoriert ihn und widerspricht seiner Mutter entschieden: „Das hat nichts damit zu tun, dass ihr Frauen seid. Ich nehme es eben nicht so genau, wenn es ums Aufräumen geht.“ Erst als Anne erzählt, dass Felix früher auch mit Puppen gespielt, jahrelang seinen Teddy gestillt habe, werden seine Wangen doch ein wenig rot, sinkt sein Blick wieder tief in die Kaffeetasse.
Der Teddy liegt auch heute noch auf seinem Bett, daneben eine E-Gitarre. Viele Medaillen säumen die Wände seines Zimmers, Felix zeigt in seinem Zimmer stolz auf einen großen Pokal: Seit kurzem ist er nordrhein-westfälischer Landesmeister im Mountainbiking. Mit seiner Freude darüber fühlt er sich manchmal allein: „Es nervt mich schon ein wenig, dass meine Mütter sich nicht besonders für meinen Sport begeistern können. Mein Vater ist da ganz anders: Er fährt auch Rad. Manchmal gehe ich mit ihm schwimmen.“
Es herrscht kurz Stille, dann zeigt Felix auf ein Foto: „Um ehrlich zu sein: Das ist nicht meine einzige Ex-Freundin, da gab es schon mehrere.“ Er lächelt jetzt schelmisch, wie 17-jährige Jungs eben lächeln, wenn sie über Mädchen reden. Gegenüber seinen Müttern erwähnt er die häufig wechselnden Freundinnen selten: „Die finden das natürlich nicht so gut.“
Felix erklärt beinahe entschuldigend, dass er ja auch deshalb leicht mit Mädchen ins Gespräch komme, weil er von seinem etwas anderen Leben erzählen könne, von seinem Leben mit zwei Müttern. „Es ist hier inzwischen fast schon schick, uns zu kennen. Das liegt aber auch daran, dass Sabine Ärztin und Anne Hebamme ist. Wäre das anders oder hätte ich zwei schwule Väter, wäre es vermutlich viel schwieriger“, sagt er.
Während Felix erzählt, dass er später Grundschullehrer werden will, hellt der Himmel über Betzdorf auf. Felix will das gute Wetter nutzen und gleich eine Runde mit dem Mountainbike drehen. Er verabschiedet sich an der Haustür. Dort stehen im Eingangsbereich gut zehn Paar Schuhe der Marke „Converse“. Ordentlich aufgereiht. „Das sind alles meine“, sagt Felix mit einem Blick auf den Boden. „Ich habe einen kleinen Schuhtick.“ Jedes Paar Schuhe hat eine andere Farbe. Rot, Gelb, Grün – Regenbogenfarben.
Text: andreas-glas - Fotos: Dominik Asbach