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Wer hat das geschrieben? Der Genderanalyzer durchsucht das Netz

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Klar, im Netz sind alle anonym und ob ein Kommentar nun von einer Frau oder ein Blog von einem Mann geschrieben ist, tut eigentlich nichts zur Sache. Wer trotzdem wissen will, ob die Inhalte von Männern oder Frauen verfasst wurden, der kann jetzt die betreffende Seite von einem Gender Analyzer durchleuchten lassen. Wie das funktioniert, erklärt der schwedische Programmierer Jon Kågström, der das Programm entwickelt hat:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

jetzt.de: Wie funktioniert euer Genderanalyzer? Jon: Wir haben ein Computerprogramm mit 1.000 Blogs trainiert, die von Frauen geschrieben wurden und mit 1.000, die von Männern geschrieben waren. Das heißt, wir haben dem Programm 1000 „männliche“ Texte gezeigt und gesagt „die sind alle von Männern geschrieben“. Dasselbe haben wir mit den Texten von Frauen gemacht und der Computer hat sich auch das gemerkt. Durch diese Informationen, mit denen wir den Computer gefüttert haben, ist er nun fähig, Schlussfolgerungen zu ziehen, wie zum Beispiel Wörter, die Männer von Frauen unterscheiden. Das Prozedere nennt sich „machine learning“. Wenn nun ein User einen Blog auf der Website eingibt, um ihn analysieren zu lassen, dann berechnet das Programm die Wahrscheinlichkeit, ob der Text von einer Frau oder einem Mann geschrieben wurde. Und das tut er, indem er den Wortgebrauch untersucht und diesen mit seiner vorherigen Trainingserfahrung vergleicht. Gibt es denn Phrasen oder Schlüsselwörter, die du als typisch männlich oder weiblich bezeichnen würdest? Auf jeden Fall, ja. Für unsere Trainings-Daten haben wir sehr viele stereotype Unterschiede gefunden: Männer neigen dazu, eher in einer objektiven Art zu schreiben, Blogs von Frauen gleichen eher Tagebucheinträgen. Wobei man auf jeden Fall sagen muss, dass unsere Trainingsdaten möglicherweise tendenziös sind, da sie alle bei blogspot.com gesammelt wurden ... Bei den Wörtern gibt es starke geschlechtsbezogene Unterschiede. Um mal ein plattes Beispiel zu nennen: Gibt man „Bier“ ein, dann erfährt man, dass dieses Wort zu 82,7 Prozent von Männern und nur zu 17,3 Prozent von Frauen verwendet wird. Gibt man dagegen 'Shopping' ein, kann man sehen, dass dieses Wort zu 89,7 von Frauen verwendet wurde und nur zu 10,3 Prozent von Männern.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Jon Wie seid ihr auf die Idee gekommen, diese Website zu erstellen? Meine Kollegen Roger Karlsson und Emil Kågström und ich haben einen Service namens uclassify.com gebaut, auf dem jedermann seine eigene Klassifiziermaschine bauen kann, egal ob man das Netz nach Geschlecht, nach frohen oder traurigen Texten durchsucht oder was auch immer. Während wir diese Seite entwickelt haben, haben wir auch diskutiert, ob es möglich sein könnte, Texte nach dem Geschlecht ihres Verfassers unterscheiden könnten – und haben es ausprobiert. Daraus ist dann der Genderanalyzer entstanden. Die Entwicklung des Programms hat ungefähr zwei Wochen gedauert. Und wie unterscheiden sich nun Blogeinträge von Männern von denen von Frauen? Durch die Themen oder die Wortwahl? Gute Frage. Wie schon gesagt scheint es, als würden Frauen bevorzugt in einer Tagebuchform schreiben, während Männer dazu neigen, eher von einer externalen Perspektive zu schreiben. Das alles könnte sich auch in der Wortwahl reflektieren. Allerdings denke ich, dass die Themenwahl ein größerer Indikator für das Geschlecht des Verfassers ist als die Sprache. In Deutschland wird die große Mehrheit der erfolgreichen Blogs von Männern verfasst. Siehst du da einen Zusammenhang? Wenn es wirklich wahr ist, dass Frauen eher tagebuchartige Einträge verfassen, könnte es genau daran liegen. Dass eben Männer die objektiveren und auch informativeren Blogs haben und daher eine größere Leserschaft. Hat sich deine Sicht auf die Blogosphäre verändert? Bevor ich mit dem Projekt Genderanalyzer begonnen habe, hatte ich überhaupt keine Ahnung, wie viele Menschen überhaupt bloggen. Ich war überrascht, dass es so viele tapfere Menschen da draußen gibt, die sich übers Netz ausdrücken. Und das ist meiner Meinung nach eine gute Sache. Ich bin auch überzeugt davon, dass das Internet uns dabei hilft, Grenzen oder Beschränkungen zu überwinden. Und ich glaube auch, dass es uns dabei helfen kann, unsere Identität zu finden - ganz abgesehen von unserem Geschlecht.

Text: christina-waechter - Fotos: privat

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