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"Meine Pornos sind ein künstlerischer Akt"

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Der Film beginnt mit einer scheinbar klassischen Beziehungsszene: Ein attraktives Paar unterhält sich im schummrigen Licht eines edlen Nachtclubs. Dann folgt ein Ortswechsel ins gemeinsame Schlafzimmer. Das Paar spricht über seine Geldsorgen, trinkt ein Glas Rotwein, irgendwann küsst der leicht schmierige Mitt-vierziger seine deutlich jüngere Freundin. Was danach geschieht, erzählt der Film ohne es zu zeigen: Das Paar hat Sex. So weit, so normal. Doch als die zierliche Frau tags darauf das Haus mit einem dicken Bündel Dollarscheinen verlässt, wird klar: „The Girlfriend Experience“ will keine Beziehungsgeschichte im klassischen Sinne sein. Der Film ist das Portrait einer jungen Frau, deren Job es ist, vertraute Zweisamkeit bloß zu inszenieren. Es ist das Portrait eines Escortgirls. Zwar ist das Filmmotiv „Sex gegen Geld“ nicht neu, doch gewinnt es in „The Girlfriend Experience“ einen neuen Reiz. Der Grund: Mit der 20-jährigen Sasha Grey hat Regisseur Steven Soderbergh einen Pornostar für die Rolle des Escortgirls Chelsea engagiert – die Grenze zwischen Filmrolle und echtem Leben verschwimmt dadurch.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sasha, siehst du Parallelen zwischen deiner Filmrolle als Escortgirl Chelsea und deinem eigenen Leben als Pornodarstellerin? Sasha Grey: Ich denke, dass es eine ganz eindeutige Parallele gibt: Chelsea und ich verkaufen Sex für Geld. Außerdem sind wir beide unabhängige, junge Frauen und arbeiten daran, unseren Marktwert zu steigern. Gibt es auch Unterschiede? Es gibt sogar sehr große Unterschiede. Chelsea hat zum Beispiel keinerlei Sinn für Kunst, ich aber sehe die Schauspielerei, auch meine Pornos, als künstlerischen Akt. Die Kunst ist mein Leben. Chelsea dagegen ist eine eingebildete und oberflächliche junge Frau, die nur vom Geld getrieben ist. Warum ist das Geld so wichtig für Chelsea? Chelsea stammt aus einer reichen Familie und strebt nach Unabhängigkeit von ihren Eltern. Sie möchte ihr eigenes Geld verdienen. Weil ihr Denken aber sehr materiell geprägt ist, kann sie gleichzeitig nicht auf den gewohnten Reichtum verzichten. Sie braucht also einen Job, der möglichst schnell viel Geld einbringt. Der Escortservice bietet sich da natürlich an. Sie hätte auch Pornostar werden können. Ich weiß, worauf du anspielst, aber im Gegensatz zu Chelsea bin ich kein habgieriger Mensch. Es ist nicht mein Ziel irgendwann stinkreich zu sein, aber die Menschen sollten schon verstehen, dass ich als Pornodarstellerin auch eine Geschäftsfrau sein muss. Schließlich muss ich, wie jeder andere Mensch auch, an meine Altersvorsorge denken. Eine staatliche Rente gibt es in der Unterhaltungsindustrie leider nicht. Ist Geld mächtiger als Sex? Ich glaube ja, denn immerhin war Sex nie ein Grund für Kriege, Geld dagegen schon. Geld und Sex stehen in keinem ausgeglichenen Verhältnis. In „The Girlfriend Experience“ entsteht bisweilen der Eindruck, als sei Geld heutzutage auch sehr viel wichtiger als Sex. Wie siehst du das? Das ist eine sehr schwierige Frage, denn es gibt viele Menschen, deren Beruf so zeitintensiv ist, dass sie höchstens einmal die Woche Sex haben. Man könnte also daraus schließen, dass ihnen Geld wichtiger sei als Sex, aber ich denke, das wäre zu pauschal. Im Film ist die Sachlage dagegen klar: Reiche, viel beschäftigte Männer heuern eine junge Frau an, um mit ihr zu schlafen. Geld ist hier die Voraussetzung für Sex und hat damit eine höhere Wichtigkeit. Haben Kapitalismus und Prostitution einen Zusammenhang? Ich denke, dass Kapitalismus und Prostitution zusammen gehören. Der Film zeigt ja, dass im Grunde alle Vorgänge des Lebens Geschäftsvorgänge sind. Nach dem Prinzip: Du musst etwas geben, um etwas zu bekommen – egal, ob du Burger bei McDonalds verkaufst, oder deinen Körper. Demnach würde sich jeder, der in der Dienstleistungsbranche arbeitet, prostituieren. Ja, denn wenn du etwas verkaufst, gibst du immer auch einen Teil von dir selbst. Du auch? Ich fühle mich nicht dazu gezwungen, mich in meiner Grundpersönlichkeit zu ändern, nur weil ich in meinem Leben verschiedene Rollen erfüllen muss. Ich sehe mich als ganzheitliche, offene und authentische Person. Jeder kann sofort sehen, wer ich bin. In deinen Pornofilmen kommst du definitiv anders rüber, als in diesem Gespräch. Natürlich, aber die Fokussierung auf bestimmte Marketingstrategien ist doch auch ein Teil meines Lebens. Ich glaube, dass Schauspielkunst immer Hand in Hand mit dem Geschäftlichen geht. Trotzdem würde ich lügen, wenn ich sagen würde, dass ich rein geschäftlich handle. Was ich tue, ist für mich auch Kunst. Du scheinst ein sehr abgeklärtes Verhältnis zu deinem Beruf als Pornodarstellerin zu haben. Warum gelingt Chelsea dieser emotionale Spagat zwischen Privatleben und Escort-Job nicht? Weil sie versucht, zwei verschiedene Menschen zu sein – das kann ja nicht funktionieren. Sie ist nicht fähig dazu, ihr eigenes Leben, ihr Handeln und ihre Persönlichkeit zu reflektieren. Für mich hingegen ist es wichtig, darüber nachzudenken, warum ich bestimmte Dinge im Leben tue. Leider gibt es viel zu viele Menschen, die nicht einmal versuchen, zu reflektieren. Auch unter den Pornodarstellern? Weißt du, die Industrie interessiert sich nicht dafür, wer du bist und warum du Pornos drehst. Das einzige, was von Interesse ist, ist das dumme, kleine Mädchen, das sich in den Arsch ficken lässt. Die wollen nicht, dass du eine Meinung oder eine Stimme hast. Aber es wäre falsch, zu denken, dass sich alle Darstellerinnen fügen. Es gibt jede Menge junge, weibliche Darsteller, die sehr wohl eine intellektuelle Grundhaltung gegenüber ihrem Beruf haben. Die wissen genau was sie tun. Trotzdem muss es doch frustrierend sein, immer nur als naives Sexobjekt gesehen zu werden. Ganz so ist es ja nicht. Natürlich gibt es die einen, denen es nur darum geht, sich einen runter zu holen, aber ich habe auch Fans, die keinen einzigen meiner Pornofilme gesehen haben. Die sind einfach nur Fans von mir und meiner Person, die ich bin. Mich interessiert nicht, was andere aus mir machen wollen. Mich interessiert nur, wie ich selbst sein will.

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