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"Man darf nicht bitter werden" Die Shout Out Louds im Interview
Bebban Stenborg, Keyboarderin und Sängerin der Shout Out Louds, liegt auf einer Bodenöffnung, aus der warme Heizungsluft strömt. Sie hat ein Bein angewinkelt, das andere ausgestreckt, die Augen geschlossen. Ihr Kollege Adam Olenius sitzt etwa zwei Meter entfernt davon an einem für Interviews eigentlich viel zu großen Konferenztisch, auf dem man die Spuren des Interviewtags gut sehen kann. Gläser, leer und halbleer. Flaschen, Tassen. Ein bisschen Essenskleinkram, an einem Eck dezente Zettelwirtschaft. Bebban sieht müde aus, Adam hält sich verblüffend gut dafür, dass sich der Interviewmarathon schon dem Ende zuneigt und die Band nicht besonders viel geschlafen hat: Am Abend zuvor stellten die Schweden die Songs ihres dritten Albums "Work" dem Berliner Publikum vor.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
jetzt.de: Nach eurem Debüt "Howl Howl Gaff Gaff" wurdet ihr von Capitol Records im Zuge weitreichender Umstrukturierungsmaßnahmen fallen gelassen. Eure letzte Platte wurde auf einem Indie-Label veröffentlicht, zumindest in Deutschland habt ihr jetzt erneut bei einem Major angeheuert. Kein doofes Gefühl? Adam: Nein. Einerseits klar, das hier ist eine große Plattenfirma, was alleine dieser Raum zeigt. Wenn ich hier durch die Gänge gehe, besitze ich keinerlei Orientierung. Auf jedem Stockwerk kann man sich verlaufen. Andererseits ist es aber so, dass wir damals einen weltweiten Plattenvertrag hatten. Das hatte schon eine andere Qualität. Heute suchen wir uns die Firmen, mit denen wir zusammenarbeiten, von Land zu Land einzeln aus. Es kann also gar nicht mehr passieren, dass wir plötzlich ohne Deal dastehen. Bebban: Man darf auch nicht bitter werden. Und vor allem darf man solche Dinge nicht persönlich nehmen. Die Entscheidung, uns rauszuwerfen, hatte nichts mit uns zu tun. Es war eine wirtschaftliche Entscheidung, eine, die aus der Sicht der Verantwortlichen vermutlich logisch oder gar zwingend erschien. Es waren traurige Tage, weil die Mitteilung mitten in den Aufnahmeprozess des zweiten Albums platzte. Aber mehr nicht. Ich mache mir über solche Dinge keinen Kopf. Wenn du als Band bei einem Label unterschreibst, musst du damit rechnen, dass sie dich irgendwann nicht mehr wollen. Der ganze Markt wackelt, und zwar bereits seit einer ganzen Weile. Wir sind es gewohnt. Adam: We're the Record Label Gypsies! Das letzte Album "Our Ill Wills" erschien 2007, danach wart ihr ausführlich auf Tour - was passierte seitdem? Adam: Wir waren vor allem müde. Schon während der Tour reichte es uns. Wir beschlossen also, danach eine Pause einzulegen, und zwar eine etwas längere, mindestens sechs Monate. Wir spielten die letzten Konzerte in Brasilien - ja, und dann war erst einmal Schluss. Wir mussten uns erholen. Und vielleicht brauchten wir auch etwas Abstand voneinander. Bebban: Nicht, weil wir uns nicht mehr sehen wollten. Eher brauchten wir das Gefühl, endlich einmal für eine längere Zeit an einer Stelle zu sein. Und die örtliche Trennung und die sehr bewusste Entscheidung dafür sorgte dafür, dass wir die Pause auch einhielten. Das war uns wichtig: Dass wir keine Ausnahmen machten. Nicht mal schnell irgendwo hin flogen, zu einem Festival oder einem Fernsehauftritt oder so. Was habt ihr in der Pause gemacht? Bebban: Wir haben uns um unser Leben gekümmert. Adam hat seine Freundin in Australien, mein Freund wohnt in Los Angeles. Wir flogen also jeweils dorthin und kümmerten uns endlich einmal ausführlich um Privatangelegenheiten. Das ist enorm wichtig, wenn die meiste Zeit des Jahres die Leute in der Band deine Hauptansprechpartner sind. Eigentlich sollten es die Partner sein, nicht? Adam: Ich habe, als ich in Melbourne ankam, sofort mit dem Songwriting angefangen. Aber eben unter anderen Vorzeichen. Und in einer Situation, die emotional etwas angenehmer war. Was tat der Rest der Band? Adam: Erik ging wieder zur Schule, Ted kümmerte sich um seine Filmprojekte. Carl war deprimiert, weil er nicht wusste, was er tun sollte. Mann, der war in einem schlechten Zustand. "Work" entstand gemeinsam mit dem US-Produzenten Phil Ek. Wie kam diese Zusammenarbeit zustande? Adam: Ein paar Bands hatten erzählt, wie angenehm die Zusammenarbeit mit ihm wäre. Und es gibt einige von ihm produzierte Platten, die ich liebe. Alle Built-To-Spill-Alben, die letzten Shins-Platten - ein bisschen von von deren Klang in unsere Stücke zu bringen, erschien mir enorm reizvoll. Ich schickte ihm einige unserer Proberaumaufnahmen, er mochte sie - und so telefonierten wir schließlich. Er ist ein ganz guter und sehr bodenständiger Typ, das Ganze lief ohne Management ab. Und so flogen wir nach Amerika. Beban: Wir googelten sein Gesicht, um ihn auch wirklich zu erkennen. Er sieht übrigens recht schwedisch aus! Wo hat er sein Studio? Adam: In der Nähe von Seattle. In einer großen Scheune, in der früher einmal Pferde gehalten wurden. Außenrum ist alles Natur. Wenn du gerade nichts zu tun hast, kannst du dir ein Buch schnappen und dich raussetzen. In den Pausen spielten wir oft gemeinsam Fußball, wir haben regelrechte Turniere ausgerichtet. Wir haben auch immer draußen zu Mittag gegessen - das dauerte dann oft drei, vier Stunden. Bebban: So eine Umgebung war für uns neu. Normalerweise hast du dein kleines, muffiges Studio in irgendeinem Keller. Und wenn du da rausgehst, bist du eben in irgendeiner Stadt. Gehsteig, Straße, Autos. Das Essen holst du bei einem Schnellimbiss. Nichts, was dich wirklich runterholt.
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Adam: Über dem Studio war ein kleines Loft, in dem wir die ersten Tage wohnen konnten. Danach fanden wir Haus in einem Stadtteil von Seattle, der tatsächlich eine alte skandinavische Siedlung war. Das wussten wir nicht, aber es sprang einem an allen Ecken und Enden entgegen. Svensson, Anderson's Gas - das war wirkich witzig. Und das Ausgehviertel war nicht allzu weit weg. Das alles klingt sehr schön, aber nicht unbedingt nach einer klassischen Arbeitssituation ... Adam: Wir waren zunächst etwas faul, das stimmt. Aber nur die ersten zehn Tage. Bebban: Nein, wir waren nicht faul, wir waren langsam. Und Phil war auch langsam. Er ist wirklich extrem anspruchsvoll. Außerdem ist er sehr diplomatisch. Er würde dir nie sagen, dass etwas scheiße klingt. Er sagte immer: "Probiere das noch einmal, irgendwas passte daran noch nicht so richtig. Ich denke, dass wir da mehr rausholen könnten." Das war am Anfang tatsächlich nicht einfach, weil wir auch so diplomatisch sind. Es dauerte, bis wir eine gemeinsame Kommunikationsebene gefunden hatten. Adam: Björn Yttling, der unsere zweite Platte produzierte, ging wesentlich härter an den Produktionsprozess ran, und bestimmte viel mehr. Er war ein... Bebban: Ach, er war manchmal ein richtiges Arschloch. Warum? Bebban: Vermutlich, weil er uns so gut kannte. Und weil sich das auf den gegenseitigen Respekt auswirkte. Wir sind Freunde. Und das bringt in eine Arbeitssituation oft genug eine hässliche Schlagseite. Er traute sich, gemein zu uns zu sein. Er machte böse Witze und wusste genau, wie er wen von uns treffen kann. Das ist unter Freunden ganz normal. Aber es ist nicht immer ideal, wenn du eine Platte aufnimmst. Glaubt ihr, dass die Platte amerikanisch klingt? Schlägt der Aufnahmeort bei Musik irgendwie durch? Adam: Ich denke schon. Wir haben Ballast abgeworfen. Und wir hatten einen amerikanischen Produzenten, der eine gewisse Dichte in unseren Sound brachte. Bebban: Es finden sich auch sehr direkte amerikanische Einflüsse. Adam: Was uns vorschwebte, war eine Verbindung des abenteuerlichen Rocksounds, den Bruce Springsteen auf den ersten Alben mit der E-Street-Band hatte und dieser kalten, statischen Wave-Stimmung von Joy Division. ...was sich beispielsweise in "Victoria" niederschlägt, ein Lehrstück in Sachen Verzweiflung. Ist es so schwierig, einen glücklichen Popsong zu schreiben? Adam: Für mich ist es das. Ich glaube auch nicht, dass ich daran besonders viel Spaß haben würde. Ich glaube, gute Popsongs müssen ein bisschen Melancholie in sich tragen. Das ist das, was sie erdet. Im Übrigen neigen glückliche Lieder auch dazu, Richtung Einfältigkeit abzudriften. Melancholie ist ein wesentlich vielschichtigeres und undefinierbareres Gefühl als Glück, was es wiederum viel reizvoller als Basis für einen Popsong macht. "Victoria" handelt von einer Provinz in Australien - Du warst dort, um deine Freundin zu besuchen. Das ist doch eigentlich total schön! Adam: Du hast natürlich recht. Und du hast auch recht, wenn du sagst, dass ich ein Problem mit absolut positiven Songs habe. Aber andererseits glaube ich nicht einmal, dass "Victoria" so traurig ist. Sicher, die Ausgangsposition des Songs ist unglücklich. Und natürlich geht es ums Kämpfen, ums Freischwimmen. Aber andererseits ist es auch ein Lied über Stärke, und ein Lied, dem man ein erreichtes Ziel, ein Happy End unterstellen kann. Der Song ist also nicht traurig, sondern besitzt lediglich melancholische Substanz.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
"Work" von den Shout Out Louds ist heute bei Universal erschienen.
Text: jochen-overbeck - Foto: Christian Haag