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„Lässt du es schmelzen oder nicht?"
Ein bisschen sei es wie mit der Berliner Mauer. Die ist durch die vielen kleinen Mauerteilchen auch noch nicht ganz verschwunden", sagen Coralie Vogelaar und Teun Castelein, 29 und 30 Jahre alt und Künstler in den Niederlanden. Am Samstag beginnt ihr Projekt: Tausend Stückchen des Sermeq Kujalleq Gletschers in Grönland verkaufen sie in Amsterdam. Reliquien" jenes Gletschers, dessen Eisberg bereits die Titanic zum Sinken brachte.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
jetzt.de: Habt ihr kein schlechtes Gewissen, mit dem Klimawandel Geld zu verdienen oder das letzte verbliebene Eis auch noch zu verkaufen?
Coralie und Teun: Wir machen das ja nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Wir halten damit der Gesellschaft einen Spiegel vor: Der Ausverkauf von allen möglichen Dingen ist Realität. Außerdem retten wir damit auch ein Stück Eis - eine andere Möglichkeit haben wir noch nicht gefunden. Großartig wäre es natürlich, wenn die Menschen das Eis, wenn das Klimaproblem unter Kontrolle ist, wieder zurückbringen. Dann hätte es in den Gefriertruhen überwintert" - verteilt über das ganze Land, und jeder hätte etwas zur Rettung beigetragen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Nordpol-Eis zu verkaufen?
Wir haben uns ein Atelier geteilt und fast täglich im Fernsehen und Radio vom Schmelzen der Polkappen gehört. Aber die Berichte waren längst nicht so groß aufgemacht wie die neuesten Ausfälle von Lady Gaga und Paris Hilton. Wir haben uns gefragt: Warum? Und: Welchen Wert hat das Thema für uns als Gesellschaft?
Wie lautet eure Antwort?
Der Wert des Eises ist so unglaublich, die ganze Problematik ist so unglaublich und unbegreiflich. Deshalb ist die Diskussion darüber ungeheuer abstrakt, sodass die meisten Menschen - wir beiden auch - das Ganze gar nicht fassen können. Deshalb wollen wir es konkreter machen: Durch den Eisverkauf hat jeder die Möglichkeit, ein Stückchen der letzten Eiszeit in seinem Gefrierfach zu bewahren. Eine Pol-Reliquie.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wie kommt ihr auf den monetären Wert von 24,95 Euro für ein Stück?
Wir haben bei Null begonnen. Wir wollten es kostenlos verteilen und jeder sollte entscheiden, ob er es schmelzen lässt. Das baut aber nur einen moralischen Druck auf, außerdem macht es das Eis wertlos, weil gratis. Wir haben eine kleine Marktuntersuchung gemacht und heraus kam der Wert 24,95 Euro. Das ist nicht zu viel und nicht zu wenig. Aber ob das der tatsächliche Wert ist, wissen wir natürlich nicht.
Ihr rechnet mit steigendem Wert?
Natürlich, je mehr verkauft ist und je mehr Eis schmilzt, desto wertvoller wird das Eis. Vielleicht müssen wir den Preis auch anheben, wenn der Ansturm groß ist. Wir stellen uns vor, dass es für viele Käufer auch eine Investition ist. Jetzt ist es noch bezahlbar, aber bald vielleicht schon fünf- oder zehnmal soviel wert.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Darf man es schmelzen lassen?
Eine philosophische Frage - die Antwort muss jeder selber finden. Wir wollen den Menschen das globale Problem des Klimawandels in die Hand geben - und fragen damit: Lässt du es schmelzen oder nicht? Man zwingt die Menschen damit, Position zu beziehen. Über die Entscheidung wird dann diskutiert. Damit wird auch die Komplexität fühlbar". Und wenn wir es schaffen, auf ein kleines Stückchen Eis aufzupassen, tun wir das vielleicht auch mit der Welt.
Der Verkauf findet zwischen dem 27. November und dem 5. Dezember auf dem Museumsplein in Amsterdam statt.
Text: benjamin-duerr - Fotos: privat