Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

"Europa ist im Prinzip die Mozartkugel der Welt"

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Der nächste Journalist, bitte. Ein paar Momente lang ist Diehl alleine. Er raucht, schaut aus dem Fenster. Draußen steht der zerbombte Turm der Gedächtniskirche, Touristen strömen über den Breitscheidplatz, Sonnenschein. „Wenn ich in der Luke erscheine“, sagt die Pressefrau durch die Öffnung in der Glaswand zum Interviewer, „haben Sie noch fünf Minuten.“ „Soso, in der Luke“, lacht August Diehl über das seltene Wort. Gute Laune, und los! Für Deinen Film „Dr Alemán“ hast Du in der Hauptrolle in einem der gefährlichsten Stadtviertel Kolumbiens gedreht, in Siloé in der Stadt Cali. Gesund zurück? Ja. Und irgendwann habe ich mich da unten tatsächlich sicher gefühlt. Unser Schutz bestand aus Militärpolizei und Polizisten. Das Wichtigste aber waren die Gangster, die andere Gangster weggehalten haben. Denen war es wichtig, dass wir dort drehen. Warum? Die Leute leiden selber unter den Umständen dort. Die wollen, dass die Welt Bescheid weiß, wie schlecht es ihnen geht. Die haben sich gefreut, dass wir den Film gemacht haben. Das sind sehr kreative Leute, viele unserer Darsteller waren Theaterschauspieler. Du warst in Kolumbien ein reicher Europäer, der in einem Film ausgerechnet einen reichen Europäer spielt, der – nach dem er das große Chaos angerichtet hat – zurück nach Europa verschwindet... Klar, meine eigene Situation war genau wie die im Film. Aber die Kolumbianer haben eine unglaubliche Lebensenergie und haben versucht, das alles mit Humor zu nehmen. Andererseits waren auch Vorwürfe zu spüren: „Ihr haut ja hier wieder ab,“ hieß es dann. „Genau wie in eurem Film. Und wir müssen hier leben.“ Mit einigen, wenigen Kollegen habe ich noch Kontakt. Die Jungs aus dem Armenviertel Siloé haben aber jede Woche ein anderes Handy.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wie schnell hast du dich an das Leben in so einer gefährlichen Stadt gewöhnt? Zu schnell. Ich wurde leichtsinnig. Obwohl auch bei uns Teammitglieder die „lateinamerikanische Millionärsfahrt“ erlebten, bei der man vom Taxifahrer vollständig beraubt wird. Als ich zurück in Deutschland war, dachte ich mir beim Zurückdenken: „Wow, das hättest du mal lieber nicht gemacht.“ Alleine in der Nacht ein Taxi nehmen. Oder mit mehr oder weniger fremden Leuten aus der Stadt fahren und dann im Dschungel baden. So etwas ist natürlich vollkommen bescheuert. (kurze Denkpause) Aber auch schön. Eine romantische, aber gefährliche Schönheit. Europa ist da ganz anders, oder? Hier können wir aus der Haustüre gehen ohne Angst zu haben. Europa ist im Prinzip die Mozartkugel der Welt. Eine süße Sicherheitszone. Und hier ist es so leer! In Indien hängen Menschen in Traube an den Zügen. In Europa ist es still und leer. In dem Moment, da ein Flugzeug mit mir an Bord nach Europa fliegt, habe ich das Gefühl: schon toll, Europa. Ich glaube, ich werde hier immer gerne sein. Gründet die Liebe zu Europa nur auf deinem Sicherheitsbedürfnis, oder was gefällt dir so gut an deiner Heimat? Es ist unser Humanismus, der wunderbar ist, der aber in anderen Kulturkreisen nicht viel bringt. Dir fehlt nichts in Europa? Was wir Europäer nicht haben, ist das gesunde Verhältnis zum Geld. In Amerika ist es kein Widerspruch, viel Geld zu verdienen. In Europa hat man immer so ein leicht schlechtes Gewissen, wenn man viel Geld verdient. Aber ansonsten finde ich Europa großartig. Würdest Du diese Werte auch mit Gewalt verteidigen? Oder in die Welt tragen? Das ist natürlich ein großes Thema im Moment. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen humaner miteinander umgehen, klar. Aber es ist ja nicht geklärt, was für wen human ist. In Europa hängt unser Empfinden dessen, was human ist, mit unserem Verhältnis zum Tod zusammen. Ich wage die Behauptung, dass Teil des europäischen Humanismus’ die Angst vor dem Tod ist. In anderen Kulturkreisen stirbt man, weil man sein Handy nicht hergibt. Der Tod ist da viel alltäglicher, fast selbstverständlich. Ein Menschenleben oder ein Mensch zählt nur an wenigen Orten so viel wie in Europa? Genau. Zum Beispiel in Indien – da erlebt man als Besucher das Kastensystem. Ich war dort mit Hans-Christian Schmid und hatte viele innere Konflikte. Da steht zum Beispiel einer mit Krücken und dem Arsch voller Fliegen und versucht ein Schild zu lesen, vollkommen runtergekommen, einfach am Ende. Und ein Typ in weißem Anzug schmeißt den Typen mit einer Handbewegung einfach auf die Straße. Was passiert? Der am Boden Liegende kriecht noch schnell aus dem Schatten des Anzugträgers. Wenn das in Berlin passieren würde, würde ich eingreifen. Ich bin aber nicht so naiv, woanders einzugreifen. Obwohl ich dieses Verhalten falsch finde.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sind wir in Europa die Besseren? Vielleicht ist es auch Überheblichkeit. Aber ich würde, wenn es hart auf hart kommt unseren Humanismus auf größerer Ebene immer verteidigen. Wir besitzen da etwas ganz Wunderbares. Wenn man lange aus Europa weg ist, merkt man, wie irre das ist, was wir uns hier über Jahrhunderte aufgebaut haben. Mark, die Figur, die ich im Film spiele, versteht nicht, dass es anderswo anders ist. Der Sohn reicher deutscher Ärzte kommt im Film als Praktikant im Krankhaus nach Cali. Er hat gerade Medizin studiert und stürzt sich in Kolumbien als junger Assistenzarzt in erotische Affären, Gangster- und Drogengeschichten und stürzt dabei mehrere Leben in ein großes Chaos. Ich kann diesen Wunsch auszubrechen, nachvollziehen. Ich mache auch den Beruf meiner Eltern. Das kann einen schnell sehr rebellisch werden lassen. Im Sinne von: „Ich mache zwar den gleichen Beruf wie ihr, aber vollkommen anders.“ In Kolumbien läuft für Mark vieles schief. Woran liegt das? Man hat eine europäische Moral. Mark ist aber auch sehr naiv und romantisch. Er fühlt sich in Cali zuhause, die Leute, die er dort kennen lernt, sind eine Art Familie für ihn. Allerdings verhält er sich mehr als naiv. Ein bisschen Angst hätte in seinem Fall nicht geschadet. Spielt Angst in Deinem Leben eine große Rolle? Angst spielt für mich immer eine Rolle, vor allem Angst vor dem Tod. Ich bin aber nicht ängstlich, sondern habe Angst in bestimmten Situationen. Die Figur von Mark ist aber nicht nur nicht ängstlich, sondern vor allem total naiv. Andere Leute würde ihren Kaffee nicht in dem Armenviertel Siloé trinken, so wie Mark das macht. Er ist auch ein typischer Deutscher im Ausland, finde ich. Wenn man Deutsche im Ausland trifft, tragen die oft diese Haltung den Einheimischen gegenüber vor sich her: „Wir sind auf Augenhöhe, wir sind doch eigentlich letzten Endes alle nett.“ Diese Gutgläubigkeit nervt. Andererseits kokst sich Mark auch durch den ganzen Film... Ja, vielleicht hat er auch deshalb keine Angst. Das ist übrigens realistisch: für Ausländer, die nach Kolumbien kommen, spielen Drogen eine große Rolle. Andererseits ist die ganze Reise ein Rausch für Mark. Er begibt sich in einen rauschhaften Zustand, allein schon dadurch, dass er nach Kolumbien geht. Wie spielt man einen Kokainrausch? Ganz ehrlich: extreme Zustände sind für einen Schauspieler die einfachere Sache. Aber vorbereiten muss man sich doch? Ja, sicher habe ich persönliche Erfahrungen mit Drogen. Ich habe aber noch nie die ganz harten Sachen genommen – Heroin oder so. Allerdings kenne ich Leute, die das genommen haben und mit denen habe ich viel geredet. Letzten Endes deckt sich das mit Alkoholika. Es ist immer die Sehnsucht nach euphorischen, transzendentalen Erfahrungen. Ein Kick, wie man es nennt. Warum ist der Reiz, diese Erfahrungen zu machen, so groß? Ich glaube, dass Drogen etwas sehr, sehr Kreatives auslösen können, und dass Rausch überhaupt ein sehr, sehr wichtiger Bestandteil jeder Gesellschaft sein muss und ist. Aber wie alles was interessant ist, sind Drogen auch gefährlich. Das Traurige an Drogen ist, dass man nie so sein kann, wie man sich fühlt, wenn man sie genommen hat. Das macht einen nach einer Weile depressiv. Deshalb machen Drogen traurig: man erlebt im Rausch etwas, das man nicht aus eigener Kraft schafft. Diese berauschte Reise ist für Mark eine Grenzerfahrung. Viele der Rollen, die du gespielt hast, waren extreme Charaktere an der Grenze zwischen Leben und Tod. Bei der Rollenauswahl gehe ich von mir als Zuschauer aus. Grenzerfahrungen schaue ich im Kino gerne an. Und sie sind einfacher zu spielen. Was Normales zu spielen ist schwieriger. Mark hat – wie andere Figuren die ich gespielt habe auch –etwas Selbstzerstörerisches. Zu so etwas habe ich eine Affinität. Ist es Neugier, die einen in solche Situationen treibt? Für mich ist Neugier der Hauptmotor meiner Arbeit. Damit fängt alles an. Und der Film wird dann zu einer Reise für mich. Wo führte diese Reise bei „Dr Alemán“ hin? Schwer zu sagen. Als ich zurückkam nach Hause habe ich mich sehr anders gefühlt. Gäbe es den Film nicht, wäre ich in meinem Leben nie in so ein Viertel gegangen. Menschen wie meine Kollegen hätte ich nie kennen gelernt. Als Tourist dahin gehen? Hoffentlich nicht! Und noch etwas hat sich für mich verändert: Ich konnte vorher überhaupt kein Wort Spanisch. Bei der Drehbuchbesprechung hab ich noch „Hola“ mit gesprochenem „H“ gesagt. Am Ende konnte ich auf Spanisch sogar improvisieren. Der Film "Dr. Alemán" ist bereits angelaufen

Text: johannes-boie - Fotos aus dem Film Dr. Alemán / dpa, Telepool

  • teilen
  • schließen