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„Es gibt noch viel mehr Verfilzungen“
jetzt.de: Herr Wigand, seit ein paar Tagen ist die Lobbypedia online, ein Nachschlagewerk über Lobbyisten und ihre Tätigkeiten. Wie kam es dazu? Wigand: Unseren Verein Lobby Control gibt es seit vier Jahren. Wir prämieren im europaweiten Netzwerk ALTER-EU zum Beispiel jedes Jahr Europas dreisteste Lobbyisten oder bieten Stadtführungen durch Berlin an, bei denen wir nicht Sehenswürdigkeiten ablaufen, sondern über das Lobbygeschehen im Regierungsviertel informieren. Die Lobbypedia ist eigentlich als internes Projekt entstanden: Wir haben nach einer Möglichkeit gesucht, wie wir für uns das Wissen am besten organisieren. In der Finanzkrise haben wir festgestellt, wie schnell man den Überblick verliert, wenn man zusammentragen möchte, wie Banken Gesetze zu ihren Gunsten beeinflussen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Die Finanzlobby ist ein Schwerpunkt der Lobbypedia. Ja, es ist unglaublich, was da teilweise passiert. Wir beobachten fast so etwas wie eine schleichende Übernahme der Regulierungsbehörden durch die Finanzlobby. Die Deutsche Bank sichert sich seit einigen Jahren Top-Regulierer als Mitarbeiter. Und umgekehrt kapern Bankmanager die Institutionen, die eigentlich im Interesse der Allgemeinheit über Finanzunternehmen wachen sollen, etwa die Bundesbank und die BaFin. Wie läuft so etwas? Man muss sich einfach mal die Seitenwechsler ansehen: Seit diesem Jahr sitzt ein gewisser Andreas Dombred im Vorstand der Bundesbank. Davor war er ein hochrangiger Manager der Bank of America, eines der größten Finanzunternehmen der Welt. Vom Banker zum Bankenaufsehen also.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Elmar Wigand
Haben sich die Lobbyisten schon bei Ihnen beschwert?
Die Angst hatten wir auch, aber die halten sich erstaunlich zurück. Nur ein Verband hat sich gemeldet, weil wir einen Fehler in unserem Beitrag hatten, den wir sofort verbessert haben. Es ging um die Registrierung im Brüsseler Lobbyregister.
Wie sind die Reaktionen?
Wir bekommen sehr viel Zuspruch aus der Netzgemeinde. Am ersten Tag brach unter dem Ansturm auf die Lobbypedia erst einmal der Server zusammen. Und wir bekommen unzählige Mails von sehr interessanten Leuten. Genau das hatten wir uns erhofft. Da regt zum Beispiel jemand an, dass wir uns mal mit dem Lobbyismus rund um den Bau der Elbbrücke in Dresden oder mit Filz und Klüngel im Saarland beschäftigen sollten.
Das klingt ganz gut.
Ja. Aber mit so einem Projekt lockt man natürlich auch Verschwörungstheoretiker aller Art an. Wir sind dankbar für jede Information, aber es soll nicht einfach jeder bei uns mitschreiben dürfen wie bei Wikipedia. Wir möchten die Beiträge vorher prüfen. Aber wir sind nur ein kleiner Verein. Wir müssen uns fürs erste auf wenige Kernthemen beschränken.
Eines davon ist, neben der Finanzlobby, Stuttgart 21. Wie nehmen Interessensgruppen dort Einfluss auf politische Entscheidungen?
Bei Stuttgart 21 haben wir Glück. Das Thema bewegt viele Menschen in der Region, die uns deswegen gerne ihr Wissen weitergeben. Wenn man diese Informationen zusammenträgt, bekommt man schnell den Eindruck, dass Stuttgart 21 ein riesiges Immobilienprojekt ist, das als Verkehrsprojekt getarnt wird.
Das heißt?
Es gibt berechtigte Gründe, daran zu zweifeln, ob der Bahnhof für Milliarden umgebaut wird, nur damit die Züge in Zukunft zehn Minuten schneller sind. Durch das Projekt werden riesige innerstädtische Bauflächen frei, an denen Investoren ein Interesse haben. Der Shopping-Mall-Betreiber ECE aus Hamburg möchte dort zum Beispiel ein Einkaufszentrum errichten. Das ist in Ordnung, aber warum saßen und sitzen gleichzeitig Politiker, die über das Projekt mit entscheiden, in einer Stiftung von ECE? Das ist nur ein Beispiel. Es gibt noch viel mehr Verfilzungen, die wir dokumentieren wollen. Lobbypedia soll eine Art Langzeitgedächtnis werden. In der alltäglichen Berichterstattung wird ja schnell übersehen, wer mit wem über welche Gremien und Jobwechsel zusammenhängt und welche Interessenskonflikte daraus resultieren können.
Text: bernd-kramer - Foto: privat