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Ein Gespräch über die Tücken der Alltagstechnik

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Herr Lischka, mein Aufnahmegerät hat eine einzige Taste fürs Spulen und für das Anwählen des nächsten Tracks. Zum Spulen muss ich die Taste gedrückt halten. Wenn ich aber einmal kurz drücke, springe ich plötzlich zum nächsten Track und muss mit dem Spulen von vorne beginnen. Das ist doch Mist. Wieso baut man so etwas? Je mehr Tasten ein Gerät hat, desto teurer wird es, deswegen legt man zwei Funktionen auf eine Taste. Die Logik der Leute, die das entwickelt haben, ist ja schon stimmig: Es geht in beiden Fällen, Spulen und Anwählen, nach vorne, also benutzt man die gleiche Taste. Nur die Benutzerlogik ist ja eine ganz andere – und das merkt man erst wenn man mit dem Ding rumspielt. Spezielle Usability-Tests kosten natürlich wieder Geld. Tasten und Tests sind einfach teuer. Bei meinem Diktiergerät habe ich übrigens ein ähnliches Problem: Wenn man aufnehmen will, muss man zuerst eine Taste drücken, um die Aufnahme zu aktivieren, dann aber dieselbe Taste noch einmal, damit das Gerät wirklich aufnimmt. Drückt man ein drittes Mal, stoppt er die Aufnahme wieder. Man muss also genau zweimal drücken - nicht einmal, nicht dreimal, dann macht er nämlich gar nix.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Münze vor dem Einwurf in den Automaten zu reiben, bringt nichts. Foto: ap Welches der vielen Technikärgernisse, über die Sie schreiben, hat Sie denn persönlich am meisten aufgeregt? Was mir zumindest immer wieder auffällt: Dass man die Münze am Automaten reiben will, wenn sie beim Einwerfen durchfällt. Das bringt natürlich nichts. Wenn die Münze lange im Umlauf ist, ist sie einfach durch Abnutzung zu dünn. Dann ist sie für den Erkennungsmechanismus knapp an der Grenze. Man hat dann das Bestreben, irgendetwas zu tun, aber es ist natürlich Zufall, ob sie beim nächsten Einwerfen angenommen wird. Trotzdem reibt jeder die Münze. In Braunschweig an der Uni habe ich neulich einen Cola-Automaten gesehen mit einem auch so gelabelten „Kratzblech“. Damit man lieber das kaputt kratzt und nicht den Automaten. Gibt es hinter den Tücken der Technik Muster, die wiederkehren? Ganz oft, bei den vielen verschiedenen Akkus oder Steckern, kommt das aus der Logik des Herstellers, der denkt, dass du nur seine Produkte hast. Aber du besitzt natürlich ganz viele Produkte unterschiedlicher Hersteller. Der Staubsaugerhersteller sagt dann: „Wir haben doch nur neun Staubsaugerbeutel“, das ist natürlich toll für die Logik des Unternehmens, aber dir bringt es nichts, wenn es insgesamt über 1000 verschiedene Beutel gibt und du nicht weißt, welcher passt. Eine Firma ist eben nur eine Firma. Warum sollten die kooperieren, wenn sie es nicht brauchen? Auf die eigentlich ganz harmlosen Frage, warum es so wenig Steckdosenleisten gibt, bei denen der Ausschalter praktischerweise gegenüber des Kabels liegt, zitieren Sie die Antwort eines Ingenieurs: „Denkfaulheit, Lieblosigkeit des Marketings, mangelnde Kundenorientierung, die Hersteller fürchten den höheren Preis“. In den meisten Fällen gibt’s tatsächlich Sachen, die besser funktionieren, aber teurer sind. Frischhaltefolie zum Beispiel, die sich, wenn man sie von der Rolle abreißen will, nicht ewig dehnt, sondern wirklich gleich abreißt – da gibt’s tatsächlich Unterschiede beim Material und oft hängt es mit dem Preis zusammen. Das ist die Entscheidung der Leute, die das kaufen. Obwohl ich neulich eine teure Soja-Milch gekauft habe und da war so eine blöde Lasche als Verschluss dran, die Milch spritzt dann beim Öffnen heraus. Teurere Produkte haben sonst meist den unproblematischen Drehverschluss. „Denkfaulheit“ klingt aber als seien die Entwickler Schuld. Sind die manchmal einfach zu doof? Oder ist das nur ein Konsumentenstammtisch-Gedanke? Ich glaube tatsächlich, das ist in den allermeisten Fällen ein Stammtischgedanke. Die Entwickler werden gezwungen, die billigere Lösung zu nehmen. Und manchmal ist es auch so: Erst denkt man, etwas sei Denkfaulheit, aber dann merkt man: Das ist gar nicht so dumm! Wenn einem zum Beispiel auffällt, dass der Handlauf bei Rolltreppen schneller ist als die Treppe, fragt man sich: Warum machen die das nicht gleich schnell? Aber das ist gar keine Fehlfunktion. Wenn der Handlauf genauso schnell wäre wie die Rolltreppe, dann gäbe es ein Problem: Wenn die Leute ihre Taschen beim Fahren darauf ablegen, dann würde der Handlauf langsamer werden als die Rolltreppe. Und dann würde man nach hinten umkippen, wenn man nicht rechtzeitig loslässt. Deswegen ist der Handlauf immer schneller als die Treppe. Ein anderer Ingenieur erklärt in ihrem Buch eine Fehlfunktion so: „Das hat wie so viele Krücken, mit denen wir uns alltäglich herumschlagen, historische oder, modern ausgedrückt, Kompatibilitätsgründe.“ Da ging es um EC-Karten: Warum ist der Streifen am Rand der Karte? Wäre er in der Mitte, gäbe es weniger Möglichkeiten, die Karte falschherum einzuführen. Das liegt daran, dass bei Kreditkarten immer schon die Einprägungen in der Mitte waren, deshalb konnte man später den Streifen nur an die Seite machen. Es gibt dafür heute keinen Grund mehr, aber historisch schon. Anderes Beispiel: Die Werktage vor 1903 kann man bei Excel nicht korrekt zuordnen, einzig deswegen, weil ein früheres Programm von Lotus einen Fehler hatte und angenommen hat, dass 1900 ein Schaltjahr war, was aber nicht stimmt. Excel sollte mit dem Programm aber kompatibel sein und deswegen wurde der Fehler einfach übernommen. Man macht sich ja gerne über Normierungswut lustig. Sie hingegen beklagen, dass es bis heute keine Norm gibt, ob der Schriftzug auf Buchrücken von oben nach unten läuft oder andersherum. Es gibt ja für Buchrücken tatsächlich eine ISO-Norm, sie wird nur nicht umgesetzt. Bei Buchrücken ist das natürlich eine Sache, die kein Problem ist. Bei Digitalfernsehen und der Verschlüsselung ist das schon anders: Wenn du von Berlin nach Köln ziehst, kann es gut sein, dass du dir einen neuen Receiver kaufen musst, weil unterschiedliche Standards benutzt werden. Das muss ja nicht so sein. Dabei scheint es doch für alles genug Experten zu geben. Wegen Produktetiketten, die sich nicht rückstandsfrei ablösen lassen, haben Sie tatsächlich den „Chefredakteur des Fachmagazins Etiketten-Labels und Geschäftsführer des Verbands der deutschen Hersteller selbstklebender Etiketten“ befragt. Ja, großartig! Das ist schon Wahnsinn, wie viel Aufwand betrieben wird für diese Sachen. Es gibt sehr viele Leute, die sich Gedanken machen und versuchen, Sachen besser zu machen, gerade was Verpackungen angeht. Die Frage ist nur, ob dabei irgendwelche Verpackungen rauskommen, wo Firmen dann am Ende ihre Produkte auch wirklich reinstecken. Bei fast allem gibt es jedenfalls Dinge, die besser funktionieren, Verpackungen, die leichter zu öffnen sind, oder gute Symbolbilder an Geldautomaten, bei denen man erkennt, wie herum man die Karte da reinstecken soll. Und das gibt es, weil sich so viele Leute damit auseinandersetzen. Wenn das nur einer machen würde, dann weiß man ja nicht, ob er die beste Idee haben würde. Sie schreiben, dass Robert Adler, Entwickler der Fernbedienung, über die vielen Knöpfe der heutigen Geräte geschimpft hat. „Ich kann das nicht mehr ändern“, hat er gesagt, „ich würde nur gerne jemanden dafür anschreien, wenn ich die richtige Person fände.“ Aber lohnt sich denn das Schreien und der Ärger denn überhaupt, wenn es nur um technische Kleinigkeiten geht? Nur Ärgern ist blöd, wenn es nirgendwo hinführt. Der Ärger, das ist für mich immer nur der Anstoß, sich das mal genauer anzuschauen, wie das alles funktioniert. Meistens sind es ja irgendwelche Zufälle oder Traditionen, wahllose Festlegungen, die bestimmen, wie die Welt in diesen Sachen ist. Letztlich funktioniert das ja alles so: Verkettungen von kleinen Dingen, die dazu führen, dass irgendetwas nicht funktioniert und man gar nicht mehr sofort herleiten kann, warum es nicht funktioniert. Die Welt ist da nicht perfekt, aber wenn man sich dann ärgert, dann kann man es vielleicht besser machen.

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