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"Diese Datensammlung ist höchst problematisch"
Die Berliner Landesregierung plant, eine zentrale Schülerdatei. Die Fraktionen von SPD und Linkspartei wollen ab dem Spätsommer 2009 allen Schülern eine Identifikationsnummer zuweisen und 16 persönliche Informationen wie zum Beispiel die Erreichbarkeit der Erziehungsberechtigten, ''nichtdeutsche Herkunft" und Straffälligkeit speichern. Jürgen Zöllner, Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung, will so die Schulverwaltung effizienter machen, die Schülerzahl und den Lehrerbedarf besser abschätzen können und Schuleschwänzen eindämmen. Außerdem sollen "Schüler mit Migrationshintergrund" gezielt beim Deutschlernen gefördert werden. Was die so Geförderten davon halten? jetzt.de sprach mit Lee Hielscher, 20, Abiturient und Mitglied der Berliner Landesschülervertretung. [b]jetzt.de: Was kritisiert ihr an der geplanten Schüler-Datei im Einzelnen?[/b] Lee: Wir bezweifeln, dass mit einer abstrakten Einheitsdatei die Probleme an den Schulen wirklich verringert werden könnten. Die geplante Datei greift in manchen Bereichen völlig zu kurz. [b]Beispielsweise?[/b] Etwa bei der geplanten Erfassung der ausländischen Herkunft von Schülern: Es gibt viele Schüler mit diesem Hintergrund, die perfekt deutsch sprechen und gleichzeitig einige deutsche Schüler, die diesbezüglich Probleme haben. Es sollte vielmehr darum gehen, individuell zu bilden und zu fördern, dazu muss man sich mit der jeweiligen Entwicklung im Einzelfall beschäftigen. Zudem ist die Datensammlung aus unserer Sicht höchst problematisch.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
[b]Weshalb?[/b] Die Datensammlung wird von uns kritisch gesehen, da die erfassten Informationen über die Schüler nicht vollständig anonymisiert werden. Es gibt zwar gesetzliche Einschränkungen, welchen Zugriff einzelne Behörden auf die Daten haben. Aber wer von Behördenseite Daten will, besorgt sie sich meiner Meinung nach einfach – trotz Anonymisierung per Identifikationsnummern, Gesetz hin oder her. In der Praxis wird auch die Polizei auf diese – eigentlich für die Schule bestimmte Daten - zugreifen können. [b]Was ist euer Gegenvorschlag zur Verbesserung der Schulsituation?[/b] Statt einer Datei ist unserer Meinung nach ein Mentalitätswechsel in der Bildungspolitik und Schulverwaltung notwendig, das heißt sehr viel mehr Miteinander zwischen Schulämtern und Schulen, mehr Diskussionsfreiheit und direkte Kommunikation, um individuell auf Lehrerengpässe eingehen zu können. Es braucht zur Lösung der Probleme an den Schulen progressive Ideen. Eine Schülerdatei zählt unserer Meinung nach nicht dazu. Der dafür aufzubringende personelle und finanzielle Aufwand sollte vielmehr für eine massive Lehreraufstockung verwendet werden! Die Klassen sind auch wegen des achtstufigen Gymnasiums völlig überfüllt, die Lehrer dementsprechend überlastet. Wir setzen uns dafür ein, dass die Schulen anders als bisher bezüglich Organisation und Verwaltung entlastet werden, um sich in erster Linie um die Bildung der Kinder und Jugendlichen kümmern zu können. Die Kommunikation muss direkt zwischen Schulamt und den einzelnen Schulen erfolgen. Was bedeutet das konkret? Was müsste passieren? Unser konkreter Vorschlag wäre, einen Amtsvertreter direkt in die Schulen zu schicken, um die Verwaltungsaufgaben zu übernehmen. Die Lehrer könnten so direkt auf konkrete Mängel in der jeweiligen Schule aufmerksam machen, beispielsweise: „Uns fehlen Bücher, wir brauchen Krankheitsvertretungen.“ Zur Überwindung des bisherigen, Monate dauernden bürokratischen Prozesses.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Lee Hielscher
[b]Gibt es aus eurer Sicht auch positive Aspekte des Schülerdatei-Vorhabens?[/b]
Zumindest wird versucht, Schüler-Überwachung in Gesetzesform zu regeln, was ein Mindestmaß an Transparenz garantiert. Und der Berliner Entwurf ist wenigstens besser als der Datei-Entwurf, den die Kultusministerkonferenz für ganz Deutschland plant: Dabei sollen alle Daten unverschlüsselt erfasst werden. Das Berliner Vorhaben sieht wenigstens vor, einige sensible Daten wie Schulverweise und Straffälligkeit durch Pseudonymisierung zu verschlüsseln.
[b]Was wollt ihn nun künftig gegen die geplante Datei tun?[/b]
Wir werden intensiv verfolgen, wie es nun weitergeht. Wir planen Diskussionsveranstaltungen, ein Seminar und einen Projekttag zum Thema Schülerdatei und Überwachung allgemein. Die Betroffenen haben eine viel realistischere Einschätzung, was zur Verbesserung der Probleme an den Schulen getan werden muss als Politiker. Dass dies geschieht, dafür werden wir uns mit ganzer Kraft einsetzen.
Text: thomas-steierer - Illustration: Katharina Bitzl; Foto: privat