Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Das kann dein Hirn wirklich!

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

jetzt.de: Guten Tag Herr Klingberg, tun Sie gerade noch irgendwas anderes nebenbei, während wir dieses Interview führen? Torkel Klingberg: Nein, nein. Nur das Interview. Aber in Ihrem Multitasking-Buch heißt es, dass man seine Produktivität bis zu 150 Prozent steigern kann, wenn man mehrere Dinge gleichzeitig macht. Ist es dann nicht etwas unverantwortlich gegenüber Ihrem Institut, sich nur auf das Interview zu konzentrieren? Das Diagramm, auf das Sie sich beziehen, ist sehr vereinfacht. Aber im Prinzip stimmt es: Man schafft mehr, wenn man mehrere Dinge gleichzeitig macht, wenn man zum Beispiel zur Arbeit fährt und gleichzeitig ein Telefoninterview gibt. Sofort haben Sie 20 Minuten gespart. Dieser einfache Umstand ist es ja gerade, der die Menschen dem Multitasking in die Arme treibt. Man schafft einfach mehr. Andererseits hat man nun einmal nur eine begrenzte Kapazität und die sorgt dafür, dass die Präzision, die Sorgfalt, mit denen man die einzelnen Aufgaben bearbeitet, sinkt. Wenn ich während dieses Interviews noch Auto fahren würde, würden sich meine Reaktionszeiten erhöhen und ich hätte ein höheres Unfallrisiko. Und ich könnte Ihnen außerdem nicht so konzentriert Antworten geben. Wenn ich Interviews gebe, versuche ich also nichts anderes zu machen. Wenn man multitasket, macht man mehr, wenn nicht, macht man es besser. Ungefähr so? Ja. Ziemlich genau so. Wann fängt Multitasking überhaupt an? Man macht doch immer mehrere Sachen gleichzeitig, wie Fahrrad fahren, Musik hören und in Gedanken den Tag durchgehen. Sie haben natürlich recht: Man kombiniert ständig verschiedene Tätigkeiten und bei manchen Tätigkeiten klappt das auch völlig problemlos, zum Beispiel beim Gehen und Sprechen. Man kann gleichzeitig atmen, denken, sprechen und so weiter. In die Quere kommen sich verschiedene Tätigkeiten erst, wenn sie auf das Arbeitsgedächtnis zugreifen. Gehen oder Musikhören sind vollkommen automatisierte Vorgänge, die keine aktive Hirnleistung erfordern. Wenn man aber zum Beispiel eine anspruchsvolle Diskussion führt, bei der man sich die Fragen merken und seine Antworten strukturieren muss, arbeitet das Arbeitsgedächtnis und dessen Kapazität ist nicht unendlich. Was ist das Arbeitsgedächtnis? Das Arbeitsgedächtnis ist die Fähigkeit, innerhalb einer kurzen Zeit alle notwendigen Informationen verfügbar zu machen; sich zum Beispiel an Anweisungen zu erinnern oder an die eigenen Pläne, was Sie als nächstes machen wollen, solche Dinge. Wenn Sie von einem Raum in einen anderen gehen und dann in der Mitte des Zimmers stehen und nicht mehr wissen, warum Sie hergekommen sind, hat Ihr Arbeitsgedächtnis versagt. Das Langzeitgedächtnis ist zum Beispiel etwas vollkommen anderes. Damit merkt man sich Namen und Fakten für später. Das Arbeitsgedächtnis ordnet die Dinge hier und jetzt. Man löst damit Probleme. Wenn Sie 7 mal 14 im Kopf rechnen wollen, benötigen Sie mehrere Schritte: Zuerst rechnen Sie 7 mal 10, merken sich 70 und addieren das dann mit 7 mal 4 und wissen dann auch noch auf die Frage zu antworten. Für solche Dinge, an die man sich unmittelbar erinnern muss, gibt es das Arbeitsgedächtnis. In Ihrem Buch heißt es, dass das Arbeitsgedächtnis und die Multitasking-Fähigkeit eng miteinander verbunden sind ... Meine Hypothese – und es ist wirklich nur eine Hypothese – lautet, dass die begrenzte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses die Fähigkeit zum Multitasken beschränkt. Je besser das Arbeitsgedächtnis also in Form ist, umso besser kann man multitasken. Außerdem bestimmt das Arbeitsgedächtnis auch die Fähigkeit, Ablenkungen zu widerstehen. Das hängt ja eng zusammen.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wird heute mehr gemultitasket als vor hundert Jahren? Unbedingt. Das hat zwei Gründe: Der erste ist der technologische Fortschritt. Heute haben Sie ein Handy, einen Blackberry, einen Laptop mit drahtlosem Internet oder solche Multitasking-Maschinen wie das iPhone, mit dem man alles gleichzeitig machen kann. Oder GPS-Navigationsgeräte, die unsere Konzentration verlangen, während wir uns in unserer direkten Umwelt orientieren müssen. All das sind Geräte, mit denen wir heute konfrontiert sind und die uns die Fähigkeit zum Multitasking abverlangen. In ein paar Jahren wird das Surfen im Internet auf der Straße so selbstverständlich sein wie das Telefonieren heute. Der zweite Grund ist, dass wir heute auch einfach mehr erledigen als vor hundert Jahren. Gerade weil heute so vieles von uns erwartet wird, werden wir geradezu in ein permanentes Multitasking gezwungen. Die Folge ist, dass wir nicht mehr die optimale Qualität abliefern können. Und all das müssen wir mit einem Gehirn bewältigen, das sich seit etwa 40.000 Jahren nicht signifikant verändert hat. Das ist das Paradoxe. Ich glaube nicht, dass irgendjemand eine schlüssige Erklärung dafür hat, wie es unser Steinzeit-Hirn schafft, dass wir mit den heutigen Anforderungen nicht komplett überfordert sind. Zumindest eine Teilantwort ist die Formbarkeit unseres Gehirns: Das Gehirn lernt und verbessert je nach Anforderung bestimmte Fähigkeiten. Es gibt Versuche, herauszufinden, wie das genau funktioniert: Ob das Gehirn unausgelastete Regionen aktiviert oder ob sich in bestimmten Hirnregionen je nach Beanspruchung mehr Neuronen bilden. Aber im Prinzip weiß man darüber noch gar nichts. Mit Medikamenten dem Hirn helfen? Lieber nicht, sagt Klingberg und schlägt Meditation vor. Auf der nächsten Seite.


Sie schreiben, die besten Ergebnisse erzielt man, wenn man sich im FLOW befindet. Wie kommt man in den FLOW? Der Ausdruck stammt ja nicht von mir, sondern von dem amerikanischen Psychologen Mihály Csikszentmihály, aber ich finde das Flow-Konzept sehr interessant. Mihály Csikszentmihály beschreibt den mentalen Zustand als Resultat von Anforderung und Kompetenz. Wenn die Anforderung und die Kompetenz sehr hoch sind, kommt man in den Zustand, den Csikszentmihály Flow nennt. Es entsteht dann eine Balance, innerhalb der man seine Möglichkeiten vollkommen ausschöpft und dadurch gleichzeitig seine Hirn-Kapazität erweitert, was immer dann passiert, wenn man sie an ihre Grenze führt und wirklich fordert. Man kann sein Arbeitsgedächtnis auch mit Medikamenten stärken. Halten Sie das für eine gute Idee? Nein, absolut nicht. Ich halte es aber für wahrscheinlich, dass wir damit in Zukunft häufiger konfrontiert werden. Das bekannteste Medikament, das das Arbeitsgedächtnis stärkt, ist Ritalin und da stellt man schon heute fest, dass es immer mehr genutzt wird, vor allem in den USA. In Japan wurde Ritalin sogar gerade verboten, weil man verhindern wollte, dass es flächendeckend von Menschen benutzt wird, die eigentlich gesund sind. Ich glaube, dass es immer selbstverständlicher wird, die eigene Gehirnleistung mit Medikamenten zu verbessern und wir müssen uns überlegen, wie wir damit umgehen wollen. Vor kurzem zum Beispiel habe ich in einem Ratgebermagazin einen Brief gelesen, den ein Leser an den Experten der Zeitschrift geschickt hatte: Der Briefeschreiber hatte das Problem, dass einer seiner Kollegen produktivitätssteigernde Mittel nahm und dadurch natürlich eine höhere Effizenz vorweisen konnte. Der Mann wusste nicht mehr, was er tun sollte. Er fiel leistungstechnisch zurück. Wir müssen also gar nicht so weit in die Zukunft blicken. Das Problem ist schon da. Die Mittel erhöhen den Durchschnitt und bringen die, die sie nicht nehmen, in Zugzwang. Sie schlagen Zen-Meditation vor. Deutschland ist ein doch eher unspirituelles Land, müssen Sie wissen. Können Sie uns das trotzdem erklären? Man kann nicht von der Meditation sprechen, dafür gibt es zu viele verschiedene Arten. Einige davon können sehr nützlich sein und ich spreche dabei nicht von der Spiritualität. Ich empfehle nicht, seine Liebe zur Welt zu entdecken oder seine Gefühlswelt zu erneuern. Ich spreche von Konzentrationstraining durch Meditation und das kann durchaus eine Möglichkeit sein, die geistige Stärke zu verbessern. Was ist in Ihren Augen die beste Möglichkeit, seine Hirnkapazität zu trainieren? Bei einer Langzeitstudie mit älteren Menschen haben wir festgestellt, dass die, die regelmäßig Schach gespielt haben, auch im hohen Alter ein besser funktionierendes Gehirn hatten, als die, die ihren Geist nicht gefordert haben. Die Studie hat gezeigt, dass es einen Trainigseffekt gibt, wenn man sein Hirn regelmäßig mit anspruchsvollen Aufgaben füttert. Mittlerweile gibt es verschiedene Computerprogramme, die das Hirn trainieren können. Auch ich habe eins konzipiert. Es wird in den USA bereits in mehr als hundert Kliniken verwendet. In Großbritannien statten immer mehr Schulen ihre Computer damit aus, genauso wie hier in Schweden. Hier nutzen es bereits 4000 Schüler regelmäßig. Was halten Sie von der Idee, sich einfach ein bisschen zurückzunehmen und den Dingen die Zeit zu geben, die sie nun einmal brauchen, anstatt immer mehr und noch mehr machen zu wollen? Ich glaube, dass, wenn die Leute mehr über die Funktionsweise von Hirnprozessen, über die natürlichen Schranken, das Arbeitsgedächtnis und die Bedeutung von Ablenkung wissen, sie ihren Alltag besser danach ausrichten können. Manchmal wollen wir ja mehrere Dinge gleichzeitig machen und manchmal ist es auch gar kein Problem, wenn dabei ein paar Fehler passieren. Aber wenn man zum Beispiel einen wichtigen Text schreibt oder wichtige Entscheidungen treffen muss, sollte man Ablenkungen vermeiden und sich auf eine Sache konzentrieren, um die optimale Leistung abzurufen.

Text: felix-stephan - Foto: privat

  • teilen
  • schließen