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"Das Gefühl, überwacht zu werden hat uns bis nach Hause verfolgt"

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Michael, wie kam es überhaupt zu dieser Reise? Der chinesische Ministerpräsident war 2006 zu Besuch in Deutschland, um Werbung für die Olympischen Spiele zu machen. Bei einem Treffen mit Angela Merkel hat er 400 deutsche Jugendliche aus verschiedenen Bereichen eingeladen, nach China zu kommen. So gab es Delegationen der Politik, Kultur oder Wissenschaft. Wir Sportler waren die letzte. Die Chinesen haben das Ganze organisiert – war es ein typischer Touri-Trip? Natürlich haben wir die wichtigen Sehenswürdigkeiten besucht: Chinesische Mauer, Verbotene Stadt, Kaiserpalast. Aber die Reise sollte ja einen sportlichen Schwerpunkt haben. So haben wir zum Beispiel ein Sportleistungszentrum in Shanghai besichtigt und in Peking das olympische Museum und das „Vogelnest“, das neu gebaute Stadion. Auffällig war aber, dass in allen Sportstätten die Sportler gerade zufällig beim Mittagessen oder bei Wettkämpfen waren – dabei lagen ihre Badelatschen noch da ... Trotzdem haben wir Einblicke bekommen, die keinem normalen Touristen gewährt werden. Der politische Höhepunkt war ein Treffen mit dem ständigen Vorsitzenden des Nationalkongresses. In den Kongress darf eigentlich kein „Normalsterblicher“ rein – wir bekamen eine Führung. Klingt nicht, als hättet ihr viel Sport gemacht. Einmal haben wir mit chinesischen Jugendlichen ein paar Minuten Basketball gespielt. Sie waren am Wochenende extra für uns in eine Mittelschule bestellt worden. Ansonsten hätten wir vielleicht abends im Hotel noch etwas machen können, aber nach den langen Banketten und Empfängen waren wir dazu meistens nicht mehr in der Lage oder wollten lieber noch einmal in die Stadt. Es war ja auch nicht Sinn und Zweck des Ganzen, schließlich handelte es sich um eine sport-politische Reise. Ich hatte auch gar keine Sportklamotten eingepackt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Michael auf der Chinesischen Mauer. Welchen Eindruck wollten die Chinesen bei euch erwecken? Vorweg muss man sagen: Auch wir zeigen doch unseren Gästen lieber das Wohnzimmer und den Garten, als die schmutzige Abstellkammer. Natürlich wollten die Chinesen sich von ihrer besten Seite präsentieren. Trotzdem haben wir auch die Abstellkammer gesehen: Man hat zum Beispiel immer versucht, uns von den Slums fernzuhalten, die durch hohe Mauern vom Rest der Welt abgetrennt werden. Abends, wenn das Programm vorbei war, hatten wir aber die Möglichkeit, hinter diese Mauern zu blicken. Die Armut, die wir sahen, war entsetzlich. Ein anderes Mal waren wir in einer Disko, als jemand verprügelt wurde. Die anwesenden Polizisten sahen das, griffen aber nicht ein. Wir haben versucht, den Streit zu schlichten. Am folgenden Abend wurde uns dann nahegelegt, doch die eigens für uns Deutsche angemietete Diskothek zu besuchen. Kam so etwas öfter vor? Ja, es wurde sogar noch schlimmer: Als wir uns einmal mit den Bussen verfahren hatten, tauchten plötzlich schwarze Limousinen auf, die unsere Busse wieder auf den richtigen Weg lenkten. Da war klar, dass wir permanent überwacht wurden. Ein Freund von mir bekam das besonders stark zu spüren: Er hat während der Reise einem Journalisten der ARD ein Interview gegeben, in dem er sich auch kritisch äußerte. Als er zurück ins Hotel kam, konnte er von seinem Zimmer keine E-Mails mehr verschicken. Seid ihr da nicht paranoid geworden? Das ständige Gefühl, überwacht zu werden, hat uns sogar bis nach Deutschland verfolgt. Als wir dort wieder gelandet waren, bekamen wir nämlich eine ganze Menge SMS, die irgendwie nicht durchgekommen waren – dabei hatten wir in China eigentlich einwandfreien Empfang. Trotzdem habe ich mich nie unsicher gefühlt. Schließlich waren wir eine große Gruppe und wichtige Gäste. Warum Michael vom mitgereisten deutschen Staatssekretär enttäuscht war, liest du auf der nächsten Seite.


Musstet ihr trotz dieser Wichtigkeit gewisse Verhaltensvorschriften befolgen? Es gab eine Art Dresscode, ansonsten mussten wir uns aber an keine Regeln halten. Man hat uns auch nicht den Mund verboten. Wir durften überall fotografieren und – auch gegenüber Reportern – sagen, was wir wollten. In der deutschen Botschaft hatte man uns sogar dazu aufgefordert, den Tibetkonflikt anzusprechen. Und was ist dabei rausgekommen? Das Thema wurde komplett übergangen – nicht nur von den Chinesen. Auch die deutschen Politiker, die wir getroffen haben, äußerten sich nicht dazu. Vor allem von Staatssekretär Gerd Hoofe, der unsere Reise begleitet hat, war ich ziemlich enttäuscht. Er muss ja nicht gleich Stellung nehmen, aber es nicht einmal erwähnen? Abends, wenn wir noch in eine Kneipe oder Disko gegangen sind, haben wir manchmal die „echten“ Chinesen nach ihrer Meinung gefragt. Aber auch die blocken immer gleich alle ab. Sie sind überzeugt davon, dass der Dalai Lama ein Terrorist ist und ihre Spiele blockieren will, auf die sie so stolz sind.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Erinnerungsbild mit Staatssekretär: Die deutsche Hockey-Abordnung (von links Michael, Ines und Stephan) gemeinsam mit Gerd Hoofe, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. In Europa wird noch immer über einen Boykott der Spiele diskutiert. Was hältst du davon? Das wäre völlig falsch. Jetzt, wo China so stark vom Rest der Welt wahrgenommen wird, hat es die Chance, sich zu präsentieren. Gleichzeitig haben Politiker, Journalisten und alle anderen die Möglichkeit, ins Land zu kommen, es kennen zu lernen und öffentlichkeitswirksam darauf hinzuweisen, was dort falsch läuft. Der Druck auf China, etwas zu ändern, wird so viel größer. Außerdem bringt es doch nichts, den Sport zu boykottieren und gleichzeitig die Wirtschaft anzukurbeln, indem man weiter chinesische Produkte importiert. Welche Vorbereitungen für die Olympischen Spiele habt ihr mitbekommen? Am auffälligsten sind sicher die Plakate, die schon überall hängen: „Welcome to China“ steht da und „Olympic Games“. Aber auch das Medienzentrum und die Hotels sind alle fertig, der riesige neue Flughafen in Peking ist eröffnet und überall werden schon Merchandising-Artikel verkauft. Ich war sehr beeindruckt, dass vier Monate vorher bis auf das olympische Dorf scheinbar alles bereit war – vor allem, wenn man an Athen 2004 denkt, wo einen Tag vor Beginn der Spiele noch die Straßen geteert werden mussten. Also tippst du auf einen problemlosen Verlauf der Spiele im August? Da wäre ich mir nicht so sicher: Die Kommunikation in China fiel uns sehr schwer, weil wirklich niemand dort Englisch spricht. Selbst an der Rezeption im Hotel verstand uns nicht jeder. Stattdessen bekamen wir eine Karte mit der Adresse des Hotels in die Hand gedrückt, die wir den Taxifahrern zeigen sollten. Die Spiele sind unheimlich gut geplant, aber wie soll das ohne eine gemeinsame Sprache funktionieren? Polizei, Journalisten, Sportler – niemand wird sich verstehen, und ich glaube, das wird ein großes Problem. In unserer Delegation waren zum Glück zwei Leute, die Chinesisch sprachen. Sie haben uns oft gerettet, ob nun beim Bestellen im Restaurant oder beim Verhandeln mit Rikschafahrern und Straßenhändlern. Was glaubst du, welche Chancen haben die Chinesen bei Olympia 2008? Die Chinesen haben einen klaren Vorteil: Im Gegensatz zu den anderen Teilnehmern sind sie längst an die schlechten Umweltbedingungen, zum Beispiel die miese Luftqualität, gewöhnt. Dadurch werden sie in den Ausdauersportarten einiges abräumen. Und im Tischtennis natürlich!

Text: eva-schulz - Fotos: privat

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