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Arbeiter, an die Uni!
Kinder deren Eltern nicht studiert haben, sind im Hörsaal eher die Ausnahme. Aus solchen Familien schaffen es in Deutschland laut der aktuellen, 18. Sozialstudie des deutschen Studentenwerks nur 23 Prozent auf die Universität oder Fachhochschule. Zum Vergleich: Sind die Eltern Akademiker, beginnt der Nachwuchs in 8 von 10 Fällen selbst ein Studium. Das Fazit: Bildung und die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg sind in der Bundesrepublik immer noch hauptsächlich eine Frage des Berufs der Eltern. Katja Urbatsch, Kulturwissenschaftlerin am Gießener Graduate Centre for the Study of Culture hat deshalb die Initiative Arbeiterkind.de gestartet. Ihr Ziel: Kinder aus Arbeiterfamilien zum Studium zu motivieren. Seit Sonntag, dem 4. Mai, ist die Website online.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Warum studieren immer noch so wenige Kinder aus nichtakademischen Familien? Es liegt nicht hauptsächlich am Geld, obwohl man das zunächst mal denken könnte. Es geht eher um den familiären Hintergrund: Wenn die Eltern nicht auf der Uni waren, fehlt es den Kindern oft an Vorbildern, niemand ermutigt sie zu studieren. Stattdessen heißt es oft: Mach lieber eine Lehre. Von Abiturienten aus Arbeiterfamilien geht nur die Hälfte auf eine Universität oder FH. Aus Akademikerfamilien sind es fast alle. Woran liegt das? Eltern wollen für ihre Kinder oft den Lebensweg, den sie selbst schon gegangen sind. Akademiker wissen, dass man mit einem Studium bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat – Familien ohne Uni-Erfahrung können sich unter einen Uniabschluss oft nichts Konkretes vorstellen. Oder sie fürchten, dass die Kinder sich von der Familie abwenden, wenn sie erst einmal einen akademischen Beruf ergriffen haben. Da spielt auch die Angst eine Rolle, von den eigenen Kindern überholt zu werden. Mit euerer neuen Website Arbeiterkind.de willst du das ändern. Was genau macht ihr? Ab Herbst gehen wir an Gymnasien und bieten dort ganz konkret unsere Hilfe an. Wer mit dem Gedanken spielt, ein Studium zu beginnen, bekommt von uns Unterstützung bei der Bewerbung und gute Argumente für die Diskussion mit der Familie. Wichtigstes Werkzeug ist aber unsere Website. Dort sammeln wir Informationen und beschreiben, warum es sich lohnt zu studieren. Es gibt zwar schon viele Websites für Studenten, doch die werden meist erst kontaktiert, wenn die Entscheidung zu studieren schon gefallen ist. Wir hingegen wollen ganz konkret bei Bewerbungen um Studienplätze und Stipendien helfen. Denn diese Aufgabe kann im Elternhaus von Arbeiterkindern oft niemand erfüllen. Soll die Seite auch zu einer Community wie StudiVZ werden? Momentan nicht – wir planen aber Foren, wo sich Leute gegenseitig helfen können. Wir wollen immer interaktiver werden – doch erstmal muss unsere Website ja online gehen. Momentan suchen wir Mentoren an möglichst vielen Hochschulen, die dann den Abiturienten zur Seite stehen. Und auf unserer Website stellen wir Stipendiaten der großen Stiftungen wie der Studienstiftung oder der Friedrich-Ebert-Stiftung vor, die selbst aus Arbeiterfamilien kommen. Die geben dann Tipps, wie man sich dort bewerben kann. Die Motivationsschreiben der Bewerber korrigieren wir dann.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Das klingt nach viel Arbeit. Wie finanziert ihr euch? Momentan arbeiten sechs Leute ehrenamtlich an dem Projekt, wir haben schon kleinere Spenden bekommen. Außerdem haben wir uns um eine Förderung beim Wettbewerb StartSocial beworben – eine Aktion von Firmen, die soziales Engagement unterstützen soll. Da sind wir unter die letzen 100 gekommen und wurden professionell gecoacht. Jetzt hoffen wir, zu den sieben besten Projekten zu gehören – dann bekommen wir 5000 Euro. Du hast selbst einen nicht-akademischen Hintergrund. Welche Erfahrungen hast du an der Universität gemacht? Ich habe gemerkt, dass ich von vielen Dingen nichts weiß, oder zu spät davon erfahren habe. Zum Beispiel hat mir eine Freundin im vierten Semester erzählt, dass sie von der Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert wird. Ich kannte sowas gar nicht, aber für eine Bewerbung war es schon zu spät. Dabei hätte ich durchaus eine Chance auf ein Stipendium gehabt. Obwohl meine Eltern mich immer unterstützt haben, bekam ich in meiner Familie schon zu hören, dass so ein Studium doch nur lange dauert, Geld kostet und eigentlich nichts bringt. Erleichtert das neuere Bachelor Studium da die Argumentation? Schließlich schreiben viele Medien schon von der „Studentenfabrik“, die schneller zum Abschluss führen soll. Es ist natürlich ein komplexes Thema, aber ich glaube schon, dass die Umstellung auf Bachelor und Master für Arbeiterkinder auch Vorteile hat. Das Studium ist klarer strukturiert und nach sechs Semestern vorbei. Dieses Argument kann Eltern schon eher überzeugen – ein Bachelor dauert so lang wie eine Lehre, aber man hat damit bessere Berufschancen. Das kann die Hürde senken, sich für ein Studium zu entscheiden. Zum Namen der Seite: Ist es im Jahr 2008 noch zeitgemäß, von „Arbeiterkindern“ zu sprechen? Wir haben diesen Einwand schon öfter gehört. Es gibt in den Studien zu der Kategorie „Akademikerkind“ meist nur das Pendant „Nicht-Akademikerkind“, welches dann aufgedröselt wird in Beamtenkind, Angestelltenkind und so weiter. Wir haben beschlossen, den Begriff Arbeiterkind neu zu definieren, und darunter alle Nicht-Akademiker zusammenzufassen. Egal aus welchem finanziellen Hintergrund sie kommen. Wir differenzieren da nach Bildung, denn es hat sich gezeigt, dass es eine größere Rolle spielt, ob jemand aus der Familie schon mal studiert hat. Das ist wichtiger, als wie viel Geld in der Familie vorhanden ist. Wir möchten diesen Begriff auch ein bisschen als Lifestylebegriff einführen - ich fände es gut, wenn Leute bald mit T-Shirts herumlaufen, auf denen „Arbeiterkind“ steht.