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Horror-Party: Viel Geschrei und ein Erasmus-Liebesviereck
Wir alle vermissen Partys – und vergessen dabei leicht, dass Feiern nicht immer nur spaßig ist. In dieser Serie erzählen wir deshalb von den schlimmsten Partys, auf denen wir in unserem Leben waren. Viel zu viel Alkohol, grauslich langweilige entfernte Verwandte, emotionale Tiefpunkte – es gibt ja viel, das eine Feier vermiesen kann. Falls du selbst von einer schlimmen Party erzählen willst: Schreib uns eine Mail an info@jetzt.de!
- Horrorstufe: 8 von 10
- Center of attention: Étienne, der Hausmeister
- Trinkverhalten: nervös
Frankreich. Sommer. Zarte 23 und den Kopf voll von den entzückendsten Film-Klischees: Die fabelhafte Welt der Amélie, Die Träumer, Chocolat. Wilde Küsse in engen Gässchen, philosophische Debatten in eloquentem Französisch und jeden Morgen frische Croissants beim Boulanger um die Ecke. Und sowieso: Fromage! Vin Rouge! Vin Blanc! Frankreich! Sommer!
Diese Erwartungen dürften der gemeinsame Nenner der gut 15 Erasmus-Student*innen gewesen sein, die mit mir im Wohnheim den Sommer verbracht hatten und jetzt langsam im Innenhof zur Abschieds-Grillparty eintrudelten. Enge Gässchen gab’s in Lyon, aber der Sommer war verregnet und von den Klischees hatten die meisten nicht annähernd genug abgehakt. Aber vielleicht konnte ja diese letzte Party trotz des Titels dieser Kolumne ja noch ein krönender Abschluss werden!
On verra.
Er lehnte sich vor zu mir und hielt mir seine geballte Faust vors Gesicht
Ich war schon etwas früher im zwischen alten Gemäuern eingequetschten Hof und trank mit meinen Erasmus-Buddies, dem Belgier Ruben und dem Italiener Matteo (Namen geändert), die ersten Panachés (das Gleiche wie Radler, fühlt sich aber zehnmal eleganter an). Der Hausmeister Étienne setzte sich zu uns, um den Grill anzuwerfen und ein bisschen zu plaudern. Er wohnte über mir und hatte einen Kampfhund, den er in seinem Zimmer abrichtete. Das hörte sich an, als ob über mir ein Pony im Kreis galoppierte. Die ganze Nacht. Zu Techno. Die Decke war dünn. Étienne war jedenfalls eigentlich ein ganz Lieber. Er erzählte von seiner Heimatstadt und seiner Familie. Er sah wie 40 aus, war aber viel jünger. Er trug meistens Baggy Pants und Muscleshirt. Ich glaube nicht, dass er sich in unserem Alter ein Leben als Hausmeister vorgestellt hatte. Er selbst sah sich womöglich eher als einen missverstandenen Gangster/DJ/Kampfhundtrainer. Irgendwann lehnte er sich vor zu mir, hielt mir seine geballte Faust vors Gesicht und flüsterte:
„Was hab ich in meiner Hand?“
„Ich weiß es nicht, Étienne.“
„Ruben, was hab ich in meiner Hand?“
„Vielleicht … einen Euro?“
„Nein“, sagte Étienne, lehnte sich zurück und grinste. Dann öffnete er seine Hand. Darin war ein kleiner Spatz. Wir starrten den Spatz an. Er rappelte sich auf, schaute uns an und flog dann davon. Étienne meinte, er habe ihn gefangen, indem er mit Brotkrümeln auf der offenen Handfläche regungslos auf dem Dach gesessen habe, bis der Spatz sich traute, auf seine Hand zu hüpfen. Offenbar hatte er ihn mindestens eine weitere Stunde in der geschlossenen Faust behalten. Während er den Grill angefeuert und mit uns geredet hatte. Kurios? Ja. Horror? Kommt noch.
Ich beichtete ihnen, dass ich mich verliebt hatte
Die anderen Erasmus-Kids trudelten ein, fingen an, sich einen anzutrinken und es begann das typische Erasmus-Gruppengespräch, das größtenteils aus als platte Witze verpackten Vorurteilen bestanden, gemischt mit nervösen Anzüglichkeiten. Etwa:
„Beatrice kommt natürlich wieder als Letzte. Typisch Italienerin!“
„Haha, hihi – Gunnar ist auch noch nicht da, wahrscheinlich betreiben sie noch europäische Verständigung in ihrem Zimmer!“ You get the idea.
Ich wurde betrunkener und beichtete irgendwann meinen Buddys Matteo und Ruben, dass ich mich verliebt hatte. Evie war Irin und wir hatten seit zwei Wochen etwas miteinander. Aufregend war das. Und was Besonderes. Ich hatte für sie mit meiner Freundin in Deutschland Schluss gemacht.
Matteo: „Ach lustig, mit der hab ich auch schon gef****.“
Ruben: „Krass, ich auch, vorgestern erst.“
Ich: „Oh.“
Wir kauten still und langsam unsere Merguez. Sehr. Sehr. Langsam. Dann kam Evie die Treppe runter. Sie sah uns drei zusammensitzen und grinste. Bitte komm nicht zu uns. Sie kam. Aber bevor sie „Salut“ sagen konnte, schepperte es laut. Es war Étienne. Er stand oben in der Glastür, von der man in den Innenhof hinunter lief. Er hatte sie mit einer theatralen Geste und einem lauten Kung-Fu-Schrei eingeschlagen, blutete am rechten Arm und hatte in der linken Hand eine fast leere Flasche Jack Daniels. Danke Étienne, du seltsamer, seltsamer Mann.
Alle waren still und Étienne fing an zu weinen. Er rief irgendwas von wegen, dass er ein schlechter Vater sei, fiel auf die Knie und schrie den Himmel an. Dann schrie er uns an. Dass sich das ganzen Erasmus-Pack doch bitte f****n solle. Er konnte sich gar nicht mehr einkriegen. Es musste ihn innerlich zerfressen haben, jahrelang den gutmütigen Hausmeister für verzogene Kids der europäischen Mittelschicht spielen zu müssen, die nichts taten außer zu saufen und geschlechtlich miteinander zu verkehren. Irgendwann liefen die Nächststehenden zu ihm und riefen einen Krankenwagen.
Die Stimmung war danach etwas betreten. Ich nutzte die Gelegenheit, zog mich in mein Zimmer zurück, weinte etwas und bereitete in Gedanken eine Rede vor, mit der ich meine Ex zurückbekommen würde. Was hatte ich nur getan? Vielleicht würde es helfen, wenn ich ein Video von mir mache, wie ich eine Glastür einschlage und heulend um Vergebung bettele? Mir fiel das alte Sprichwort ein: „Besser den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach, wo sie es mit deinen Erasmus-Buddys treibt.“
Frankreich. Sommer. Amour.