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Horror-Date: Hahnenkampf in Casablanca

Illustration: Jessy Asmus

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Dating-Situation:

Spontanes Tinder-Date in einer völlig fremden Stadt

Geschlecht und Alter und Vibe des Dates: Weiblich, 24, eher chic, aber mit Punk-Elementen

Horrorstufe: 8 von 10

Casablanca ist für die meisten Menschen ein Liebesfilm. Leidenschaft, Selbstaufopferung, Kino-Magie. Ich verbinde etwas anderes mit Casablanca. Ich verbinde mit Casablanca die Gewissheit, ein unansehnlicher, kleiner Lurch zu sein.

Als Assistent bei einem Filmdreh wohnte ich ein paar Wochen lang in Marokkos größter Stadt und fragte mich eines Freitagabends, ob man hier denn wohl Tinder kenne. Kannte man. Naima* war sehr lustig, sehr schön und wollte mir ihre Lieblingsbar zeigen. Sie holte mich mit einem Taxi ab und wir gingen in besagte Bar. Es handelte sich dabei um einen großen Raum, dessen Wände bis in fünf Metern Höhe beinahe völlig mit Flachbildschirmen bedeckt waren, auf denen Fußballspiele zu sehen waren, die keinen interessierten. Es lief wahnsinnig lauter Techno, während die Gäste in kleinen Grüppchen um ihre Shishas saßen. Ich war begeistert. Wir tranken Heineken, rauchten, lernten uns kennen und – ja, doch – flirteten zaghaft. Bis ich dann aus dem Nichts in die Schranken meiner genetischen Unterlegenheit verwiesen wurde.

Sie hätten auch als Supermodels, Filmstars oder Messiasse einer neuen Weltreligion durchschlagenden Erfolg gehabt.

Das kam so: Naima wurde angerufen und kurz darauf kam ihre beste Freundin Khadija* in die Bar, flankiert von den zwei größten, schönsten Männern, die je unter der Sonne gewandelt sind. Ben* und Mimoun* waren Basketballer und spielten für Casablancas Top Team. Ich bin mir sicher, dass sie hochbegabte Sportler waren, aber sie hätten auch als Supermodels, Filmstars oder Messiasse einer neuen Weltreligion durchschlagenden Erfolg gehabt. Ben war US-Amerikaner, der nach Lust und Laune von Basketball-Team zu Basketball-Team um die ganze Welt hoppte und aussah wie das Liebeskind von Lenny Kravitz, Jason Momoa und einem jungen Barack Obama. Mimoun war Marokkaner und konnte allein durch den Blick seiner durchdringenden, hellgrauen Augen sowohl Menschen als auch Gegenständen innerhalb von Sekundenbruchteilen rote Bäckchen zaubern. 

Die beiden begrüßten uns mit einem sanften, nachsichtigen Lächeln, wie es nur Menschen haben, die wissen, dass sie immer und überall die hottesten Säue im Raum sind. Khadija strahlte ihre Freundin an wie ein aufgeregtes Kind, das gerade eine komplette Süßigkeitenabteilung im Supermarkt geschenkt bekommen hat. Sofort verlor Naima jedes Interesse an mir und ich selbst verfiel in ehrfürchtige Schockstarre. Es ist, glaube ich, nicht unbedingt unerträglich, mich anzuschauen, aber neben den beiden kam ich mir wie ein winziger, teigiger, rattengesichtiger Fehler der Natur vor.

Erst als sich alle gesetzt hatten, die beiden Männer zwischen den beiden Frauen, und ein Smalltalk zu plätschern begonnen hatte, der im Wesentlichen aus erstaunlich wissbegierigen Fragen nach den Feinheiten des marokkanischen Basketballs bestand, gewann ich wieder einigermaßen meine Fassung zurück. Mir fiel auf, dass Ben und Mimoun zwar herrlich basslastige Stimmen hatten und charmant plauderten, aber auch, dass sie weitgehend auf Ironie oder sonstige Albernheiten verzichteten. Möglicherweise, weil sie nie darauf angewiesen waren. Ich witterte eine Nische, von der aus ich agieren konnte: Humor. Die hohen Wangenknochen des kleinen Mannes.

Ich hatte mir eine bescheidene Daseinsberechtigung innerhalb dieser Gruppe erkämpft: Ich war Ben’s Hofnarr. 

Das naheliegendste Comedy-Sujet schien mir in diesem Moment: Wie schön und riesig die beiden Männer im Vergleich zu mir waren und dass ich jetzt ja gar keine Chance mehr bei meinem Date hätte. Ha. Ha. Zirp. Zirp. Naima und Khadija schauten mich nur mitleidig an. Nur für Ben schien meine verbitterte Selbstironie zu funktionieren und er schlug sich vergnügt auf die Schenkel. Damit hatte ich mir eine bescheidene Daseinsberechtigung innerhalb dieser Gruppe erkämpft: Ich war Ben’s Hofnarr. 

Irgendwann wollte Khadija unbedingt tanzen gehen – und wir gingen tanzen. Nur ist die Tanzfläche ein natürlicher Feind des körperlich Uninteressanten. Und das war jeder neben Ben und Mimoun. In dem Club, in den wir gegangen waren, war die Musik noch lauter und mein Hofnarren-Gekreische konnte sie nicht mehr übertönen. Ich musste zu Slapstick übergehen. Ich schlug vor, dass sich alle in einem Kreis versammelten und immer eine:r der Reihe nach einen Move vormachen sollte, den die anderen nachtanzten. Es war ein großer Erfolg. Alle vier tanzten unglaublich sexy und schlichtweg gut. Dann war ich dran und machte den „Taucher“ (in die Hocke, während eine Hand die Nase zuhält und die andere in der Luft herumfuchtelt). Naima, Khadija und Ben schienen das ganz ulkig zu finden. Aber Mimoun schüttelte kühl den Kopf und verweigerte eiskalt meinen Move, woraufhin ich auch von den anderen übergangen wurde.

„Hier ist ein Mann zu viel und wir sind es nicht.“

Naima stand eindeutig auf Ben und meine Chance auf Romance lagen röchelnd in ihrem eigenen Blut. In ein Erdloch geworfen und verscharrt wurde sie dann endgültig, als wir aus dem Club rauskamen und Ben einer uralten, hutzeligen Oma, die noch nicht einmal gebettelt hatte, Geld in die Hand drückte und sie dann ganz lange und ganz fest in die Arme nahm. Die Oma war völlig beseelt von dieser großen, starken, Jesus-haften Gestalt. Ben sagte, er habe sich Hals über Kopf die Oma verliebt, es wurden Fotos gemacht und ich sah Naima an, dass sie innerlich zerfloss bei so viel Cuteness. Spätestens hier hätte ich das Feld räumen sollen. Aber wir gingen noch alle zu Naima.

Dort kamen sich Naima und Ben und Khadija und Mimoun immer näher und ich existierte eigentlich kaum noch. Als ich aufs Klo ging, fing mich Mimoun auf dem Rückweg ab und sagte ganz sachlich, ohne Groll oder Vorwurf in der Stimme: „Ben mag dich, weil du lustig bist. Aber ich finde, es ist jetzt Zeit, dass du nach Hause gehst. Hier ist ein Mann zu viel und wir sind es nicht.“ Ich hatte rein gar nichts zu entgegnen. Mimoun, der nichts getrunken hatte, fuhr mich selbst mit seinem Auto nach Hause und nachdem die Balz-Hierarchie so unmissverständlich geklärt worden war, verstanden wir uns eigentlich ziemlich gut. Er war ziemlich gebildet, wusste viel über die Geschichte und Architektur von Casablanca und beraubte mich damit auch noch des für meine Selbstachtung bis dahin so hilfreichen Klischees vom einfach gestrickten Schönling.

Beim einsamen Einschlummern sah ich im Dunkeln vor mir, wie Naima und Khadija ungeduldig die Körper der beiden jungen Götter auspackten und fragte mich noch undeutlich, auf wen ich hier eigentlich neidischer sein sollte…

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