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Horror-Date: Doppeldate mit einem Pick-up-Artist
Dating-Situation: Ungewolltes Tinder-Doppeldate
Geschlecht und Alter der Dates: Weiblich, beide etwa 25
Vibe des Dates: Realität-gewordenes Incel-Forum
Horrorstufe: 10 von 10
Es gibt Momente, in denen ein uns nahestehender Mensch auf einmal in Abgründe blicken lässt, von denen wir nie etwas geahnt hätten. Diese Geschichte handelt von so einem Moment: Vor einigen Jahren hatten ein Freund und ich uns für zwei Wochen eine Wohnung in Kreuzberg gemietet, um ein bisschen Sommer in Berlin zu verbringen. Der Freund, ich nenne ihn mal Henri, und ich kannten uns seit frühester Kindheit und waren immer sehr eng miteinander gewesen. Seit einigen Jahren hatten wir uns aber Wohnort-bedingt relativ selten gesehen. Das war auch der Grund für die temporäre WG, in der wir endlich wieder mal Zeit miteinander verbringen wollten. Henri war einer der lustigsten, klügsten Menschen, die ich kannte. Abgesehen von Kleinigkeiten (er trainierte sehr viel und hatte mittlerweile einen extrem muskulösen Körper), hatte ich keinen Grund zur Annahme, dass wir uns auseinandergelebt haben könnten.
Jetzt gäbe es endlich die Chance, sie „klarzumachen“
Am ersten Wochenende in Berlin waren wir auf den Geburtstag einer guten Freundin eingeladen. Etwa zwei Stunden, bevor wir los wollten, meinte Henri, er schreibe mit zwei Frauen auf Tinder, die jetzt sofort zu uns kommen würden. Ich verstand das nicht wirklich. Warum zwei Fremde treffen, wenn wir doch gleich auf eine Geburtstagsfeier eingeladen sind? Er wurde pampig, als ich das fragte. Er schreibe schon länger mit der einen und jetzt gäbe es endlich die Chance, sie „klarzumachen“. Ich hatte überhaupt keine Lust, aber sie kamen.
Die beiden Freundinnen Dani und Jule – beide heißen in Wahrheit anders – waren menschlich einwandfrei, aber ich konnte beim besten Willen nicht viel mit ihnen anfangen. Aber gut. Da saßen wir also zu viert um den Küchentisch, Henri schenkte ihnen Weißwein ein und verhielt sich reichlich komisch. Er schien seine Gesichtsmuskulatur unter Kontrolle behalten zu wollen und redete unnatürlich gewählt. Er machte zum Beispiel Komplimente. Dani, die er „klarmachen“ wollte, hatte eine Silberkette an, die er beeindruckend gut abgestimmt zu ihrem blauen Top fand. Dann stellte er mit immer nervöser werdender Stimme verschiedene Fragen, alle an Dani. Jule und ich schwiegen betreten. Er griff verschiedene Informationen auf, die er sich scheinbar aus ihrem gemeinsamen Chat gemerkt hatte: Wie geht es mit der Hausarbeit voran? Hast du noch Streit mit deinem Vater? Hast du dir die schwarzen Schuhe gekauft? Wenn sie dann antwortete, ging er aber nicht darauf ein, sondern stellte einfach die nächste Frage.
„Kannst du bitte mit der anderen auf den Balkon gehen?“
Die Stimmung war mehr als unangenehm. Und es half bei Gott nicht, dass Henri immer wieder gezielt Dani berührte: an der Hand, an der Schulter. Immer mit einem unheimlichen Lächeln, das so aussah, als ob es jederzeit in Wut kippen könnte. Es war, als ob Jule und ich als Unbeteiligte einer Art Ritual zuschauten. Ich versuchte ein paar Mal mittels verkrampfter Ironie, meinen Freund aus seinem komischen Programm herauszureißen: „Henri, du strahlst Unmengen an menschlicher Wärme aus. Richtig kuschelig grade.“ Aber er funkelte mir nur böse zu und als die beiden Frauen zusammen ins Bad gingen, gab er mir die Anweisung: „Kannst du bitte mit der anderen auf den Balkon gehen?“
Als die beiden wieder da waren, sagte er dann nochmal zu Jule: „Er will dir den Balkon zeigen.“ Also zeigte ich ihr den Balkon. Auf dem Balkon dauerte es nicht lange, bis wir beide einstimmig feststellten, wie seltsam das alles sei. Nach zehn Minuten kam Henri auf den Balkon gestürmt, mit rotem Kopf und sich überschlagender Stimme: „Sie hat gesagt, ich bin ein Creep! Dabei hab ich alles richtig gemacht! Komplimente zur Kleidung: Check! Augenkontakt halten: Check! Hautkontakt etablieren: Check! Intime Situation erzeugen: Check!“ „Was ist denn passiert?“, fragte ich. Henri: „Ich hab dann halt versucht, sie zu küssen und sie hat sich einfach weggedreht und gesagt, ich bin ein Creep!“
Henri tickte völlig aus
Hinter ihm kam Dani zum Vorschein, die ihn zu beruhigen versuchte: „Hey, ist ja alles gut, ich fand’s halt einfach sehr schnell!“ Dann tickte Henri völlig aus und schrie erst die beiden und dann mich an. Er beschimpfte sie mit Worten, die ich hier nicht wiederholen möchte, und unterstellte ihnen: „Habt euch wohl gedacht: ‚Wir machen dem Typen da jetzt einfach Hoffnung auf Sex und labern ihn stattdessen halt mit unserem langweiligen Scheiß voll, damit wir uns mächtig fühlen.’ Seine Worte für mich waren: „Und du fällst mir auch noch so krass in den Rücken, du scheiß Cock-Blocker!“
Jule: „Alter, was ist denn dein verdammtes Problem??“
Henri: „Verpisst euch einfach! Verpisst euch!“
Und so ging das eine Weile mit Beleidigungen und Rumgekreische. Das alles spielte sich übrigens innerhalb der ersten halben Stunde seit der Ankunft der beiden ab. Komischerweise gingen die beiden nicht einfach sofort. Und Dani bot Henri dann auch irrerweise noch an: „Hey, also wenn’s dir so wichtig ist, können wir uns ja jetzt küssen! Find halt dieses Pick-up-Artist-Zeug weird. Aber jetzt komm halt, du bist ja auch süß, lass einfach knutschen!“ Henri: „Nein, jetzt brauch ich das nicht mehr, verpisst euch!“
Sind Menschen nicht einfach zauberhaft?
Die beiden gingen. Als wir alleine waren, redete Henri noch eine Weile von meinem ekelhaften „Verrat“ an ihm, ich zog am nächsten Tag aus und wir haben seitdem nicht mehr miteinander geredet. Im Nachhinein machte vieles, was er gesagt hatte, Sinn. Dadurch und durch Gespräche mit anderen Freunden fügte sich ein Henri zusammen, der scheinbar schon länger eine ziemlich düstere Einstellung zu Frauen und einen Großteil seines Lebens danach ausgerichtet hatte.