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Hauptsatz. Heute: "Definitiv!"

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Ich weiß, das ist definitiv kein ganzer Satz. Aber Menschen, um die es hier gehen soll, kriegen es hin, dieses Wort so in seine Silben zu zerlegen, dass es sich wie ein ganzer Satz dehnt. "Deh-Fih-nie-tiev" singsagen sie, und zwar meistens in das Mikrofon eines Privatsenders, der sie zu Hause besucht. Fernseh-Sättigungsbeilage wird heute ja quasi nur noch aus unaufgeräumten Zimmern gewonnen und dort von Menschen, die versehentlich zu viele Schulden, Pfunde oder Kinder mit sich schleppen. Ich halte es deswegen, nebenbei gesagt, für eine gute Geschäftsidee, Aufkleber mit der Aufschrift „Bitte keine Fernsehteams“ zu entwerfen, die dann neben die „Bitte keine Werbung“-Schilder an die Tür geklebt werden können.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich möchte nicht mit Kamera und Problem-Experte besucht werden, gucke aber natürlich gerne in die Abgründe der anderen. Dabei interessieren mich die miss- und aus-der-Form-geratenen Kinder weniger, als das, was die Gefilmten so an der Wand hängen oder aus dem Mund tropfen haben. Beides ist meistens erquickend scheußlich. Nun ist es so, dass die Besitzer ihre goldgerahmten Drucke von springenden Delphinen im Mondlicht zwar hemmungslos gut finden, hingegen aber fürchten, dass ihre Sprache nicht ganz sendefähig ist. Was nicht stimmt, denn je einfacher und gerader einer redet, desto besser versteht man ihn meistens. Stattdessen aber reden sie mit Versatzstücken, von denen sie annehmen, sie würden den feinen Herrschaften an den Fernsehgeräten besser gefallen. Sie verstreuen Fremdwörter mit einer Unbekümmertheit, die an Nötigung grenzt und verschanzen sich zufrieden dahinter. Sie definitiviern alles platt. Sie realisieren sich um Kopf und Kragen und suspektieren wo es nur geht. Sehr ergiebig sind auch Castingshows. In was für Lücken von den dort anwesenden Model- und Sängerküken noch ein „definitiv“ geschoben wird, das macht jeden Fugenkitt neidisch. Immer wieder schön: „Okay, die Shirka war definitiv vielleicht nicht besser als Ann-Shalia.“ Noch größere Wonne bereitet ein genialischer Wurf wie: „Voll Panne, als ich realisiert habe, dass ich jetzt definitiv raus bin.“ Und zuverlässig erschütternd ist die Szene, in der jemand am häuslichen Kacheltisch sitzt und aus seiner Sofalandschaft heraus verkündet: „Ich liebe sie definitiv noch.“ Bleibt die Frage, warum sich von allen kompliziert klingenden Wörtern das definitv am besten verkauft? Warum auf allen Fluren, in allen Aufzügen und auf allen Fußballplätzen harmlose Adjektive mit einem definitv verlobt werden, warum alles definitv falsch oder definitiv besser sein soll, um zu gelten? Ich kenne die Antwort nicht, aber es muss eine geben. Definitiv. Es gibt auf alles eine Antwort.

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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