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„Wenn du nicht auf dich aufpasst, dann tut es niemand“
Sophie* arbeitete erfolgreich als PR-Managerin. Mit 27 Jahren war sie so ausgebrannt, dass sie drei Monate in psychiatrischen Kliniken behandelt werden musste. Heute arbeitet sie als Physiotherapeutin und bloggt über ihren Burnout und wie sie zurück ins Leben fand.
„Was, wenn jetzt der dritte Weltkrieg ausbricht? Bin ich vorbereitet? Könnte ich meine Familie beschützen? Ich kann ja nicht mal Socken stricken! Morgen muss ich lernen, wie man strickt.“ Das sind Gedanken, die mich abends wach hielten, kurz bevor ich komplett ausgebrannt war und insgesamt drei Monate in verschiedenen Kliniken war. Ich arbeitete als PR-Managerin in einem großen Unternehmen in der Medienbranche. Ich war eine aufstrebende junge Frau, hatte gute Aufstiegschancen und unglaublich viel Arbeit. 24/7 erreichbar sein, Events organisieren und PR-Strategien umsetzen, die ich selbst oft gar nicht gut fand. Zum Beispiel: Kinder aus sozial benachteiligten Familien brauchten keinen Nachmittag mit einem C-Promi, die brauchten echte Bezugspersonen. Ich arbeitete jeden Tag viel und schnell, immer erreichbar. Das war über vier Jahre lang mein Leben. Dazu eine Menge Zeitdruck und Chefs, die kein Gefühl für die Überlastung ihrer Mitarbeiter*innen hatten.
Wenn du nicht auf dich aufpasst, dann tut es niemand. Hätte ich mir das früher zu Herzen genommen, dann wäre ich nicht in einen Burnout gerutscht. In der Arbeit interessiert es nämlich niemanden, ob es dir gerade schlecht geht. Zumindest nicht in der Branche, in der ich tätig war. Klar, es gibt so etwas wie Auffangbecken, wenn man in der Arbeit Stress hat. Freund*innen, Familie, Mitbewohner*innen zum Beispiel. Aber wenn das alles wegbricht, dann wird es einsam.
Viele denken, dass ein Burnout nur von Überarbeitung kommt. Bei mir lag es auch daran, dass alles um mich herum bröckelte. Mein Vater wurde völlig unerwartet schwer krank, mein sicherster Rückhalt, die Familie, geriet ins Wanken. In meiner WG gab es in dieser Zeit nur noch Streitigkeiten, ich fühlte mich dort nicht mehr zu Hause. Zu Freund*innen hatte ich immer weniger Kontakt. Es war also nichts mehr da, was meinen Stress ausgeglichen hätte.
Ich kehrte um, packte eine Tasche und war drei Wochen in der Psychiatrie
Selbst, als ich versuchte, mein Arbeitspensum zu reduzieren, wurde ich immer kraftloser. Eine Kollegin, mit der ich mich sehr gut verstand, schickte mir schließlich ein Link zu einem Burnout-Zentrum, so eine Erste-Hilfe-Station für Menschen, die unter Stress leiden. Ich ging hin. Die Ärztin dort schrieb mich sofort krank und wollte mir einen Platz in der Psychiatrie besorgen. Ich wollte jedoch nicht in die Klinik. Wer will das schon? Gleichzeitig war ich aber so erschöpft, dass ich nur daheim in meinem mucksmäuschenstillen Zimmer sitzen konnte. Alles andere war mir zu viel.
Bald rief die Ärztin an und sagte, dass sie einen Platz in der Psychiatrie aufgetrieben hätte. Sie fragte: „Wollen Sie da morgen hin?“ Und was tat ich? Ich legte auf und meldete mich einfach nicht mehr bei ihr. Am nächsten Tag verabredete ich mich mit einer Freundin. In der letzten Kurve vor unserem Treffpunkt konnte ich auf einmal nicht mehr weiter gehen. Ich schaffte es einfach nicht mehr. Da war das letzte Fitzelchen Energie weg, das ich noch in mir trug. Ich kehrte um, packte eine Tasche und war drei Wochen in der Psychiatrie. Wenn man den Fuß gebrochen hat, geht man ins Krankenhaus. Dass es bei psychischen Krankheiten auch so sein muss, habe ich zu dem Zeitpunkt noch nicht verstanden.
Nach der Klinik fing ich eine Ausbildung zur Physiotherapeutin an. Mir machte Sport immer Spaß und ich suchte nach etwas, dass so weit wie möglich von der PR-Arbeit weg war. Was ich schon lange gespürt hatte, lernte ich durch den Burnout auf die harte Tour, mein Beruf war nichts für mich. Ich schreibe gerne und kann gut organisieren. Aber ich hasse es, Leuten schön zu tun, die ich nicht mag. Da ist PR die falsche Baustelle.
Letztendlich habe ich es geschafft, indem ich mein Leben nach dem Burnout komplett auf null setzte
Ich wollte in diesem Job unbedingt Karriere machen. Später, als ich in der Psychiatrie saß, wusste ich gar nicht mehr, wieso. In der Therapie lernte ich, dass man sich aus Selbstschutz öfter fragen sollte, was man eigentlich wirklich will oder ob man gerade in irgendeinem Hamsterrad mitläuft. Ich fand diesen Job nicht mal gut. Aber ich bin jemand, der alles immer gut machen will. Das machte es mir schwer, da rauszukommen.
Letztendlich habe ich es geschafft, indem ich mein Leben nach dem Burnout komplett auf null setzte. Heute überlege ich mir bewusster, wie viel Energie ich in Dinge stecke. Für die Familie, gute Freunde oder Projekte, die mir am Herzen liegen ist es mir immer wert, mich abends noch einmal aufzuraffen und was zu tun. Bei allem anderen bin ich vorsichtiger. Da werde ich mich nicht mehr zerreißen, nur um zu einem Abendessen dazuzukommen oder irgendwo auszuhelfen. Mein neuer Beruf in der Physiotherapie ist viel achtsamer. Auch das half mir. Wenn ich eine Patientin habe, dann bin ich nur für sie da und für nichts anderes. Früher habe ich eine Mail getippt, dann hat das Telefon geklingelt und nebenher noch ein Chef rumgeschrien. Das machte mich kaputt. Dass ich auf mich gehört habe und von diesem furchtbaren Umfeld weg bin, war das Beste, das mir passieren konnte."
*Sophie heißt nicht wirklich so. Unter diesem Namen tritt sie im Internet auf. Ihr wahrer Name ist der Redaktion bekannt.