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Berlinkolumne. Heute: Letzte Mysterien

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Ich glaube, mittlerweile von mir behaupten zu können, dass ich angekommen bin. Morgens wundere ich mich nicht mehr über den Blick aus dem Fenster. Wenn ich an der U-Bahn-Station Eberswalder Straße aussteige, weiß ich sofort, in welche Richtung ich gehen muss, um nach Hause zu kommen. Ich weiß, zu welchen Zeiten die Leergutabgabe im REWE an der Kulturbrauerei keine so gute Idee ist und ich habe festgestellt, dass man im Dönerladen direkt am Eck lieber nicht essen sollte, es die Straße weiter runter aber ganz gute Pizza gibt. Ich weiß, dass ich einem Typen, der am Bahnhof Gebrauchtfahrkarten verkauft, vertrauen kann, der andere einem aber im Zweifelsfall irgendwas in die Hand drückt. Doch einige Dinge bleiben merkwürdig unklar.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die große Familie des Hausmeisters Die erste Sache kann man unter persönlicher Neugier abheften: Ich wohne in der vierten Etage. Gegenüber von mir wohnt der Hausmeister. Würde ich ihn etwa einem Phantombildzeichner der Polizei beschreiben müssen, gäbe das ein großes Hallo im Phantombildzeichnerraum. Vermutlich würde der Lehrling geholt, denn ein Gesicht mit so vielen netten Details hätte der noch nie malen dürfen. Der Hausmeister ist an die 66 Jahre alt, hat eine bemerkenswert niedrige Zahl an Zähnen, die er aber sehr freundlich fletscht, schütteres graues Haar, eine Kartoffelnase und einen Schnauzbart. Vor allem aber hat er eine unfassbar große Familie, der man laut Klingelschild wohl das Wort “Patchwork” voranstellen sollte und die im Prinzip all das erledigt, für was er vermutlich bezahlt wird. Als ich frisch ins Haus einzog und bei ihm klingelte, um das neue Schloss einbauen zu lassen, lachte er und teilte mir mit, dass er so etwas nicht machen würde. Drei Minuten später kniete ein etwa zwölfjähriges Kind im Türstock und schraubte, was mir schon ein bisschen unangenehm war. Beim Verstauen einiger Kartons im Speicher half mir ein grimmiger Mittdreißiger im "Uncle Sam"-Muskelshirt, und das Treppenhaus putzt für gewöhnlich eine immer etwas traurig schauende, mittelalte Dame in Graublond. Ist da die Geliebte? Die Schwester? Oder doch die Tochter? Die Laune der Taxifahrer Das zweite große Mysterium ist die Freundlichkeit der Berliner Taxifahrer. Dass es diese famose Sache namens "Kurzstrecke" gibt, für die man einfach einen leeren Wagen heranwinkt, um für 3,50 Euro zwei Kilometer weit fahren zu dürfen, wusste ich schon. Dass der Kerl hinterm Steuer fast immer total nett ist, nicht. Wo mich in München oft genug juvenile Hobbyrennpiloten ohne jede Ortskenntnis heimfuhren und am Ende auch noch absurde Mondpreise verlangten, scheinen Berliner Taxifahrer etwas geerdeter zu sein. Geschichten erzählen, das tun sie gerne. So erzählte mir unlängst ein älterer Wilmersdorfer, dass in den 50er-Jahren Westberliner Jungs gerne in den Osten fuhren, weil da die Mädchen nicht so prüde waren, aber auch, wie genau so ein Taxameter programmiert wird und wie man ihn am geschicktesten manipuliert. Von einem anderen Fahrer habe ich genau aufgeschlüsselt bekommen, wie viel Geld man mit einer Fuhre nach Magdeburg verdient. Ich weiß jetzt, dass Taxler wie alle anderen einigermaßen klug denkenden Menschen den Flughafen Berlin-Schönefeld hassen. Kurzum: Die sechs, sieben Mal, die ich bisher im Taxi saß, wurde mir fast immer etwas erzählt, meistens war es sogar unterhaltsam. Da soll noch mal einer sagen, Berliner seien unfreundlich. Die Faszination der Warschauer Brücke Die dritte Sache, die ich noch nicht so ganz verstehe, ist die Warschauer Brücke. Beziehungsweise: die Warschauer Brücke bei Nacht. Es gibt vermutlich keinen Ort in Berlin, der ab Einbruch der Dunkelheit voller ist. Horden junger Menschen haben Bierflaschen in der Hand und wälzen sich zwischen Straßen-, S- und U-Bahn hin und her, ein nicht unbeträchtlicher Strom wandert Richtung Kreuzberg ab. Laut ist es, und hektisch, und dass einige der Leute beschließen, einfach mal da oben stehen oder sogar auf dem Steg zu den Bahnsteigen sitzen zu bleiben und ihre Biere dort zu genießen, kann ich so gar nicht nachvollziehen. Natürlichkeit kann man Gemütlichkeit als spießbürgerliches Konstrukt betrachten und ablehnen, aber garstiger als auf dieser zugigen Brücke ist es wirklich nirgendwo. Seinen Höhepunkt erreicht der nächtliche Rumble wohl in der Silvesternacht. Dann herrscht da angeblich ein Böllerkrieg, der in Deutschland seinesgleichen sucht und dessen Bilanz regelmäßig aus einem guten Dutzend Panikattacken, ein paar handfesten Brandverletzungen, einigen Schlägereien und etwa zwölf Tonnen Müll besteht. Sollte man besser meiden, übrigens vor allem als Autofahrer, wie einer der oben erwähnten freundlichen Taxifahrer erwähnte. Schlimmer als der 1. Mai sei das. Die BILD präsentierte indes einen anderen Ort als Hotspot der Komasäufer-Szene: Am Alexanderplatz, so stand da, würde mittlerweile der Bär abgehen, und zwar mit einer solchen Inbrunst, dass die Stadt bereits über ein Alkoholverbot nachdenke. Ich habe keine Ahnung, ob sich das alles irgendwann von selbst erklärt. Ob ich die Warschauer Brücke lieben lerne, merke, dass es auch Idioten-Taxler gibt und die Familienverhältnisse meines Hausmeisters beizeiten sauber hinskizziert bekomme. Momentan laufe ich viel. Von Kreuzberg bis nach Hause habe ich's neulich geschafft. Skalitzer, Warschauer, Petersburger, Danziger. Gute eineinhalb Stunden Fußmarsch, immer mitten im Leben. Berliner Musik im Ohr, erst Klez.e, dann Prinz Pi. Vielleicht die beste Möglichkeit, eine Stadt kennenzulernen. Mein guter Vorsatz für die nächsten Wochen: Den BVG-Plan nehmen, Ausflüge machen. Springpfuhl, Podbielskiallee, Hegermühle, Zwickauerdamm. All das möchte ich sehen, zumindest so lange, bis der nächste Zug zurück in die Stadt fährt. Wenn ich das alles geschafft habe, bin ich nicht nur angekommen, sondern auch zu Hause.

Text: jochen-overbeck - Illustration: Katharina Bitzl

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