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Berlinkolumne, die letzte: Angekommen?

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Daheim Und dann saßen wir neulich in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Frank Castorfs Adaption von "Berlin Alexanderplatz". Satte fünf Stunden lang dauerte die Vorstellung - und die gingen verblüffenderweise ziemlich schnell herum. Ein alter Audi 80, der durchaus schwungvoll über die Bühne gefahren wird, Zigaretten und ordentlich Grillerei, dazu eine damit einhergehende beeindruckende Geruchsintensität. Publikumsintegration und -Beschimpfung, nackte Haut, Rockmusik: Das alles wirkte hübsch modern und spannend. Und weil alle Beteiligten fleißig berlinerten, passte es auch ganz schön gut in die Stadt. Nachdem die Vorstellung zu Ende war, ging ich zu Fuß nach Hause. Ich schlug Haken. Nach Mitte rein, durch die Rosenthaler Straße, vorbei am Weinbergspark. Dann die schön schlafende Kastanienallee hoch. Dass die Sache mit dem Frühling nicht mehr so lange dauern kann, erkannte man am deftigen Publiumsverkehr an der U-Bahn-Station Eberswalder Straße. Noch keine Tische auf den Trottoirs, aber junge Menschen mit Bierflaschen in der Hand allüberall. Englisch, Französisch, Spanisch. Heiterkeit und gute Laune.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich bin angekommen. Am Wochenende habe ich endlich mal die letzte Portion Umzugskisten geleert. Monate lang schauten die mich jedesmal leise und vorwurfsvoll an, wenn ich das Wohnzimmer betrat. Sie streng und nachdrücklich zusammenfalten und im hintersten Winkel des Speichers zu stapeln, direkt neben einem guten Dutzend alter Weihnachtsbäume, die vermutlich der Hausmeisterfamilie zuzuordnen sind, führte schon zu einer ganz besonderen Befriedigung. Wichtiger: Ich kenne mein Viertel und zumindest Teile der Stadt. Ich weiß, dass es bei Daye direkt gegenüber das beste Falafel der Umgebung gibt, bei mir unten im Haus den leckersten Milchkaffee. Ich weiß, auf welcher Bank am Helmholzplatz man am feinsten rumlümmeln kann und in welchem Bücherladen man am freundlichsten beraten wird. Ich habe gelernt, wie ich von A nach B komme, ohne meinen ganz persönlichen Hasspoint Kottbusser Tor oder das manchmal arg weitläufige Alexanderplatz-Untergeschoss als Umsteigepunkt nützen zu müssen. Ich weiß, dass ich in der Straßenbahn zu meinem Büro ziemlich genau 18 Taschenbuchseiten schaffe. Noch wichtiger: Ich kann Besuch die Lage der Dinge und der Orte erklären. Vorhin etwa: S., ein guter Freund aus München, schaut vorbei. Er hat einen Stadtplan, ich einen Textmarker. Ritschratsch, fertig ist die Reiseroute. Nachdem er in Neukölln untergekommen ist, bekommt er das Kontrastprogramm. Kopfsteinpflaster, sanierte Altbauten. Kinderwägen am Kollwitzplatz, Second-Hand-Mode in der Pappelallee. Der Bücherbaum und die Rykestraße. Bald werden meine Eltern das erste Mal kommen, und auch darauf freue ich mich: Immerhin ist, was ich irgendwie immer wieder vergesse, mein Vater in Berlin geboren - und seit den 50er-Jahren nie länger als nur ein paar Tage in der Stadt gewesen. Nachdem er nicht im Prenzlauer Berg, sondern in Steglitz aufwuchs, wird er mir wiederum zeigen können, was und wo so sein Berlin war. In "Berlin, Alexanderplatz" endet bekanntermaßen alles ziemlich böse, und wenn da gegen Ende der Tod auf der Bühne herumhängt und dem armen Franz Biberkopf das Herz aus dem Leib reisst, dann ist das schon beklemmend. Nun komme ich nicht aus der Strafanstalt Tegel, sondern nur aus München, was nach Ansicht vieler Einwohner zwar schlimmer, aber sicher eine Ausgangsposition mit deutlich günstigerer Sozialprognose ist. Die Vorsätze indes sind die selben: eifrige Integration, dazu in meinem Falle dosierter Umgang mit der süddeutschen Vergangenheit. Berlin, ich freu' mich auf Dich.

Text: jochen-overbeck - Illustration: Katharina Bitzl

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