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Ein Welpe macht nicht unbedingt weniger allein

Illustration: FDE

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Heute bringe ich Sissi ein neues Kunststück bei, es heißt: Bitte beiß mir nicht den Zeh ab! Welpen haben kleine, spitze Eckzähne und bohren diese leidenschaftlich gerne in Hände und Füße. Auf meinem Nachtkästchen steht deshalb immer ein Paar Pantoffeln bereit, Schutzkleidung ist ein Must-Have in einer Wohnung mit Welpen. Normalerweise lernen Hunde von ihrer Mutter, wie fest sie zubeißen dürfen, ohne jemanden zu verletzen. Da die aber bei der Züchterin geblieben ist, müssen meine Freundin Theresa und ich das übernehmen.

Auf Instagram erklärt ein Hundetrainer, man müsse sich in so einer Situation einfach wegdrehen und stillstehen wie ein Baum. Der „Spielabbruch“ würde dem Hund signalisieren, dass er zu weit gegangen ist. Es ist allerdings gar nicht so leicht, sich nicht zu bewegen, wenn nadelspitze Zähne deine Hautschichten aufreißen wie ein Dreijähriger Geschenkpapier, und das Blut langsam durch den Socken sickert. Baum sein tut sau weh. Zweihundertmal muss man einen Befehl angeblich wiederholen, bis ein Hund ihn verinnerlicht hat. Keine Ahnung, wie ich das aushalten soll.

Über den Hund wird oft gesagt, er sei der beste Freund des Menschen. Das ist Unsinn, jedenfalls solange er noch ein Welpe ist. Dein bester Freund beißt dir nicht in den Fuß, er pinkelt nicht auf deinen Teppich, und wenn du mal kurz ins Bad verschwindest, fängt er auch nicht gleich an zu heulen. Ein junger Hund ist hauptsächlich eines: Arbeit. Bevor wir Sissi holten, hatte uns eine Bekannte von Theresa, die selbst einen Hund hat, gewarnt: „In den ersten sechs Monaten denkt ihr, ihr habt den größten Fehler eures Lebens gemacht.“ Soweit sind wir noch nicht. Aber wer bloß einen Kumpel will, weil ihm langweilig ist, der holt sich lieber eine Playstation.

Seit knapp zwei Monaten haben wir nun Sissi und mir war noch nie so langweilig. Tagsüber, während Theresa in der Arbeit ist, passe ich zuhause auf den Hund auf. In der Zeit kann ich in keinen Supermarkt gehen, weil Sissi vor lauter Verlustangst nicht allein bleiben kann. Ich kann kein Café aufsuchen oder durch Läden bummeln, weil mein kleiner Hund ein kackendes Damoklesschwert ist, das jede Sekunde sein Geschäft auf dem Boden des Geschäfts machen könnte. Und nein, ich kann auch keine Freunde draußen im Park treffen. So ein kleiner Hund sollte nämlich nur fünf Minuten pro Lebensmonat am Stück raus. 20 Minuten also. In der Zeit schaffen wir es gerade mal bis zum Altglascontainer.

Also verbringe ich meine Nachmittage damit, mit Sissi um den Block zu spazieren und Hunde-Podcasts zu hören oder ich sitze im Wohnzimmer auf dem Fußboden und halte ein Seil in der Hand, an dem Sissi zieht. Sie findet's mega, ich find's nach zehn Minuten eher fad. Einen Welpen zu haben, ist ein bisschen, wie Corona zu haben. Beides zwingt dich in eine Art Lockdown. Der eine mit Maske, der andere mit Kotbeuteln.

Wenn ich aktuell Freunde treffe, dann nur bei mir zuhause. Die meisten von ihnen haben aber mittlerweile Kinder, und das ist dann auch schwierig, solange Sissi noch so unkontrolliert ist. Letzte Woche habe ich Geburtstag gefeiert und dafür meinen Bruder mit Frau und dreijährigem Sohn zu mir nach Hause eingeladen. Theresa hielt Sissi extra auf ihrem Schoß, aber nur einen Moment nicht aufgepasst, und schon sprang mein kleiner Hund meinen kleinen Neffen an. Bloß um ihm das Gesicht abzulecken, aber sowas versteht ein Kind natürlich nicht. Mein Neffe bekam Angst, fing an zu weinen, und schlussendlich musste meine Schwägerin mit ihm nach Hause fahren.

Ich stieß auf eine Liste, was ein Hund mit vier Monaten alles beherrschen sollte. Sissi beherrscht: nichts davon

Deshalb müssen wir uns jetzt endlich mal um Sissis Erziehung kümmern. Viele Hundeschulen nehmen Hunde erst auf, wenn sie mindestens zwölf Wochen alt und entwurmt sind. Das dauert bei uns noch bis April. Bis dahin müssen wir sie trainieren. Das ist aber eben ziemlich mühsam, weshalb wir da eher faul waren. Neulich stieß ich im Internet auf eine Liste, was ein Hund mit vier Monaten alles beherrschen sollte: nicht an Menschen hochspringen, stubenrein sein, allein bleiben und auf den Rückruf hören. Sissi beherrscht: nichts davon. Das ist immer ein bisschen peinlich, wenn ich beim Gassigehen auf andere Hundebesitzer treffen, deren Streber-Hunde ohne Leine stramm bei Fuß gehen, während sich Sissi einfach auf die Wiese legt und ich sie flehend an der Leine quer übers Gras ziehen muss.

Hundebesitzer sind wie Eltern, beide prahlen gerne damit, was ihr Liebling schon kann. Väter sagen: „Mein Sohn geht schon mit zwei aufs Töpfchen.“ Hundebesitzer sagen: „Mein Hund hat schon nach zwei Monaten nicht mehr auf den Flokati gemacht.“ Der Unterschied: Wie schnell ein Kind sich entwickelt, scheint mir ziemlich egal, solange es bis zu seiner Abi-Feier abgestillt ist. Zumindest fragt dich später keiner beim Bewerbungsgespräch, in welchem Alter du aufgehört hast, Windeln zu tragen. Ein untrainierter Hund hingegen stellt ein echtes Problem dar, wenn er Eichhörnchen tötet, andere Hunde beißt oder Kinder verletzt, sei es versehentlich oder aus Eifersucht. Deshalb müssen wir uns jetzt echt mal um das Training kümmern.

Kommende Woche hat mein Neffe selbst Geburtstag und die ganze Familie wird da sein. Bis dahin haben Sissi und ich noch viel Arbeit vor uns. Ein Geburtstagsgeschenk muss ich nachher auch noch besorgen. Ob sich ein Vierjähriger wohl über so einen gepolsterten Ganzkörper-Hundetraining-Schutzanzug freuen würde? Ich mein ja bloß, just in case …

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