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Von der Unlust eines Vergewaltigers.

Text: Quentinadieu
Das regelmäßige Einschlagen ihres Kopfes gegen die Wand des

U-Bahnabteils ging in ihren spitzen, ungleichmäßigen Schreien unter, was meiner ohnehin schwindenden Konzentration nicht gerade gut tat. Diese verdammte Rentnerin, ein gestrandetes Wrack der guten alten Zeit, die sich auf den Geldern ihrer Enkel ausruhte, glotze die ganzen verdammten sieben Minuten.

Es roch nach Pisse und einer Mischung aus nassen Fußabdrücken verbreiteter Kanalfäkalien und der undefinerbaren Masse aus verschiedenenen braun-gelben Rottönen am Fußboden vorm schlafenden Säufer auf dem Sitz über uns, der penetrant nach billigem Wein und osteuropäischen Zigaretten stank.

Der windende, halb entkleidete Frauenleib erschlaftte langsam, inzwischen hat sie ihre Kräfte ausgeschrieen. Ein letzter Stoß, dann Stille.

Ich stand auf, zog meinen Reissverschluss zu, band den Gürtel fest und richtete meine Hemdärmel. Meine Krawatte lag sorgfältig auf dem gefalteten Jackett neben mir.

Während ich sie mir band, betrachtete ich den schnaufenden, aufgegebenen Frauenkörper, der erschöpft in der Ecke lag.

Es war ein junges Mädchen, nicht ekelerregend jung mit Pferdestickern und Bravoausschnitten auf Grundschulheften, sondern deutlich mit den Ergebnissen einer zufriedenstellenden Pubertät beschenkt. Doch Gott, auch noch nicht alt. Sah aus wie Anfang zwanzig und schminkte sich, wie es die Sorte von Disconutten eben so tut, um in jede Disconuttendisco reinzukommen, war aber definitiv nicht älter als siebzehn. Achtzehn, wenn überhaupt.

Ihr Make-Up verschmierte über das ganze Gesicht, der Kajal sah aus, als würde sie schwarze Tränen weinen. Sie war hübsch, schminkte sich aber wie gesagt wie eine Disconutte. Nicht mein Typ, aber wen interessiert das schon in so einer Situation.

Ich warf mir mein Jackett über und fummelte aus der Tasche eine Zigarettenschachtel und zog eine Kippe heraus, Feuer, dann rauchendes Warten.

Eigentlich ein trauriger Anblick, wie der schöne Mensch dort in den Unschönheiten der Welt vergeht und nicht einmal etwas dafür kann.

Auf wieviel man sich eben nicht vorbereiten kann.

Und wieviele Pläne sind sinnlos. Wann stoßen wir auf Grenzen der garantierten, menschlichen Willensfreiheit, in der man an jeder Ecke der Stadt, auf jedem Heimweg von verrauchten Eckkneipen und an jedem IKEA-Einbaubüroschreibtisch zu entscheidungslosen Prostituierten der bestialen Befriedigungstriebe des Menschen werden kann?

Entscheidungsfreiheit ist nicht, Angebot und Nachfrage bestimmen den Markt.

Endlich richtete sich die Kleine auf und stützte sich wacklig ab, lächelte und fuhr sich die ruinierte Frisur aus dem ruinierten Disconuttengesicht.

„Gott ...“, grinste sie geil und begann, ihre Kleidung wieder zu richten, knöpfte sich mit der Bedächtigkeit einer erfüllten Befriedigung endlos langsam die Knöpfe ihrer Bluse zu und sah zur mir hinauf, wie ein junger Straßenköter auf seinem Nachtquarter aus Zeitungspapier und vergilbten Karton..

„Du hast dir dein Geld verdient, Don Juane.“

„Fick dich“, erwiderte ich und zog genervt an meiner Zigarette.

Sie stand auf, atmete noch einmal durch und griff nach ihrer Handtasche. Sie zitterte noch immer erregt und holte aus ihrem Portmonee einige Scheine von Papas hartverdientem Geld. Ich griff nach ihnen und stopfte sie in die Jackentasche. Die U-Bahn fuhr in die nächste Haltestation ein.

Ich trat einen angewiderten Schritt zurück, als sie mir verabschiedend einen Kuss auf die Backe drückte, winkend aus dem Zug sprang und nach Hause lief, zu Eltern, die jeden Tag 12 Stunden im Büro und vier vor dem Fernseher oder in frustrierten Bars sitzen, sich gegenseitig und selbst betrügen und ihre elterlichen Pflichten mit einem überziehungsvollberechtigten Bankkonte erfüllen. Sie würde jetzt Zuhause ankommen, sich durch die Hintertür einschleichen, auf dem Weg in ihr Zimmer ihre kleine Schwester vor dem Kühlschrank treffen, die wieder einmal nicht schlafen konnte, „du kommst spät, Mama sollte dich schimpfen“, „ja“, dann die Treppen hoch, Tür zu, noch ein Schluck aus der Pulle, heimlich versteckt im Sockenfach, dann Schlafen.

Morgen würden ihre Eltern mit ihr am Frühstückstisch sitzen, Zeitung lesen, vielleicht peinlich berührt vom erzwungenen Sonntagsfrieden in ihre Kaffeetassen starren und dann mit kargen Wortbrocken gemurmelte Kommentare erzwingen.

Pflicht erfüllt und somit eine von Millionen glücklichen Familien.

Ich ließ mich neben die Renterin nieder, ließ die Zigarette im Mund hängen und zählte die Scheine.

„Die Schlampe hat mich um `nen Zehner beschissen“, murmelte ich.

Daraufhin tippte mir die alte Frau auf die Schulter, hielt mir beschämt lächelnd einen grünen Schein vor die Nase und meinte: „Werde ich nicht tun.“

Erwartungsvoll kicherte sie mich an.






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