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Einsame Spitze. Die schwere Suche erfolgreicher Frauen nach einem Mann
Ähnlich wie die weltweite Finanzkatastrophe muss man die Krise rund um das Liebesleben erfolgreicher Frauen pragmatisch und rational betrachten, mit Schuldzuweisungen kommen wir da jetzt nicht weiter. Professor Karl Grammer, 58, springt auf und zieht ein DIN-A3-Schema aus seinem mit Ordnern und Papierstößen vollgestopften Regal im schmucklosen Sechzigerjahre-Bau des Ludwig Boltzmann Instituts für Stadtethologie der Universität Wien, und da liegt es nun auf dem dunklen Holztisch, das ganze Dilemma: Es zieht sich in Form einer sanft geschwungenen roten Kurve wie ein unfertiger Formel-1-Parcours über die Koordinaten. Der schmächtige Professor beschäftigt sich seit mehr als zwanzig Jahren hauptberuflich mit dem Balzverhalten der Großstädter, er ist der Papst unter den Liebesforschern, er kann erklären, warum es funktioniert und warum nicht. Dass ihm der durchsichtige graue Haarflaum im Gegenlicht der Wiener Nachmittagssonne fast einen Heiligenschein verleiht, erscheint nur angemessen. »Sie müssen das als Markt sehen«, sagt er, während sein schmaler Zeigefinger auf den Anfang der roten Linie zusteuert. »Angebot und Nachfrage regeln diesen Markt, ganz pragmatisch.«
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Auf dem deutschen Markt sind: elf Millionen Singles, darunter immer mehr attraktive Superweiber über 35 mit Diplom und Verantwortung, Audi quattro und Ansprüchen. Die Zahl der berufstätigen Akademikerinnen ist seit 1991 um mehr als 70 Prozent gestiegen, Frauen haben die Männer bei der Bildung längst überholt. Das ist das Angebot, die rote Kurve. Die Nachfrage nach Frauen über 35 dagegen sinkt in einer blauen, deprimierend geraden Linie nach unten. Männer heiraten im Durchschnitt mit 32 Jahren. Bis die Akademikerin ihren Doktortitel und die erste Bereichsleitung im Lebenslauf hat, sind die netten, verständnisvollen, bindungsfähigen und gut verdienenden Typen vom Markt, zumindest fürs Erste. Überhaupt haben die meisten Paare sich längst gefunden. Übrig bleiben die beiden Bevölkerungsgruppen mit den wenigsten Chancen, einen Partner zu finden: männliche Hartz-IV-Empfänger – und berufstätige Akademikerinnen. Newsweek hat schon 1986 einer 40-jährigen Singlefrau eine größere Chance attestiert, bei einem Terroranschlag ums Leben zu kommen, als einen Mann zu finden. Auf dieser Milchmädchenrechnung gründet sich der Erfolg ganzer Reihen von Soap-Operas weltweit, Ally McBeal, Sex and the City und so weiter. Dabei war und ist die Sache mit dem Terroranschlag Quatsch, eine Falschmeldung. Grundsätzlich gibt es für jede einen. Nur: Es gibt nicht für jede Akademikerin einen adretten Akademiker. Rein pragmatisch gesehen, liegt die Lösung auf der Hand. Wenn sich die Akademikerinnen mit den Hartz-IV-Empfängern verbinden könnten, wären beide Problemgruppen in einem Handstreich von der Straße weg, die Inflation der Einsamkeit mit einem Schlag auf null Prozent gedrückt, und auch ökonomisch wäre das eine sinnvolle Liebesbeschaffungsmaßnahme: Die Hartz-IV-Empfänger könnten auf die Kinder der Spätgebärenden aufpassen, während diese gleich wieder zur nächsten Vorstandssitzung eilen. Mindestens 18 Prozent der Superweiber müssen »nach unten« lieben, damit die Rechnung aufgeht, raten Psychologen und Buchautoren. Logisch: Je geringer die Ansprüche, desto höher die Wahrscheinlichkeit, einen zu finden. Bezeichnenderweise kommt derart guter Rat fast immer von Männern, und zwar von mittelmäßig erfolgreichen. Das ist, wie einen der Chefs von Lehman Brothers um einen Ausweg aus der Finanzmisere zu bitten. Überhaupt: Warum sind es eigentlich nur die Frauen, die ihr Verhalten zugunsten sozial Benachteiligter ändern sollen? Drehen wir doch den Spieß mal um, und betrachten wir das Beuteschema des Mannes. Die Soziologin Renate Liebold hat sich den Spaß erlaubt, 58 erfolgreiche Manager nach ihrem Lebensmodell zu durchleuchten: Fast alle haben jüngere Akademikerinnen geheiratet, diese wurden ausnahmslos Hausfrauen. Das gilt in der jüngsten Shell-Jugendstudie als die sogenannte 80:40-Katastrophe. 80 Prozent der Frauen wollen Job und Familie vereinbaren, aber nur 40 Prozent der Männer können sich eine Partnerschaft vorstellen, in der die Aufgaben gleichberechtigt verteilt sind. Der Soziologe Ulrich Beck nennt das »verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre«. Weiterlesen auf sz-magazin.de