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Warum man spätestens jetzt "Serial" hören muss!

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Eine Maschinenstimme am Telefon: "This is a Global Tel*Link prepaid call from Adnan Syed, an inmate at a Maryland correctional facility".

Und dann: "From This American Life and WBEZ Chigaco it’s Serial, one story told week by week. I’m Sarah Koenig."

Wer die erste Staffel des Podcasts "Serial" gehört hat, dem hat sich dieses 20-Sekunden-Intro ins Hirn gebrannt wie ein Gute-Nacht-Lied aus der Kindheit. Nur löst es andere Gefühle aus. Aufregung, Spannung, Empörung und vor allem: Zweifel und Fragen. Zweifel daran, wer die 17-jährige Hae Min Lee im Januar 1999 getötet hat. Die Frage, ob der einzige Zeuge des Falls nicht doch vielleicht der Täter ist. Und die Frage, ob Adnan Syed seit fast 17 Jahren unschuldig im Gefängnis sitzt. 

Der Podcast der Journalistin Sarah Koenig, in dem sie den Mord an Hae Min Lee nach einem Jahr Recherche in zwölf Audio-Folgen neu aufrollt, hat in den USA für krasse Aufregung gesorgt. Noch nie in der Geschichte des Podcasts wurde die Fünf-Millionen-Grenze so schnell geknackt wie von "Serial". Im Februar 2015, knapp zwei Monate nachdem die letzte Folge online ging, waren es laut CBS News bereits 68 Millionen Downloads. Tausende diskutierten den Fall auf Reddit. Versuchten selbst herauszufinden, wer der Mörder war. Hardcorefans reisten sogar in die Stadt, in der alles passiert war, um selbst zu ermitteln

Dass der Podcast in Deutschland nie so krass eingeschlagen ist, liegt wohl vor allem einfach daran, dass er ein Podcast ist und damit zu einer Gattung gehört, die hier noch immer weitestgehend ignoriert wird. In diesem Fall aber völlig zu unrecht. Es gibt so viel von allem, was eine Geschichte spannend macht, dass es einen umhaut: Mord, Sex, Eifersucht, Liebe, Religion, Freundschaft, Lügen, Gerechtigkeit, Schuld – oder eben Unschuld. Man spürt den Drang wie beim Lesen eines schlechten Krimis zu sagen: Ach komm, jetzt ist's aber mal gut, das glaubt doch keiner. Und dann trifft's dich aber: Nein, es ist nicht gut, das ist die verdammte Realität. Da gibt es ein Rechtssystem, das einen Jungen dazu verurteilt sein klomplettes Leben im Knast zu verbringen, weil einer, mit dem er immer gekifft hat, sagt, er habe mit ihm die Leiche seiner Exfreundin verbuddelt. Und dann in der nächsten Folge, neuer Beweis, 180-Grad-Wendung, der Typ ist auf jeden Fall schuldig! Es macht einen fertig, weil man zu verstehen beginnt, dass vielleicht niemand, nicht man selbst, nicht Sarah Koenig und auch kein Richter, je mit Sicherheit wissen wird, wer es getan hat. 

Aber das Beste kommt jetzt und deswegen sollten alle, die es noch nicht getan haben, die erste Staffel von Serial unbedingt nachhören: Die Geschichte des verurteilten Mörders Adnan Syed geht weiter – so richtig echt in real life. Und sie könnte die Wendung nehmen, auf die Tausende Fans warten. Am heutigen Mittwoch beginnt das Verfahren, dass darüber entscheidet, ob Adnan nach 17 Jahren im Gefängnis einen neuen Prozess bekommt. Und nach allem, was wir von Sarah Koenig über den Fall wissen, könnte er den tatsächlich gewinnen.  

Eine neue Zeugin könnte Adnan ein Alibi geben

Adnan Syed wurde 1999 verhaftet, nachdem man die Leiche seiner Exfreundin sechs Wochen nach ihrem Verschwinden in einem Park gefunden hatte. Sie war mit bloßen Händen erwürgt und vergraben worden. Das Gericht befand Adnan für schuldig und verurteilte den 17-Jährigen zu lebenslanger Haft plus 30 Jahre. Tatsächliche Spuren wurden nicht gefunden. Keine DNA. Einzig ein paar Fingerabrücke in Haes Auto – nicht ungewöhnlich, schließlich waren sie lange ein Paar. Alles, was gegen Adnan sprach, waren die fragwürdige, weil häufig variierende Aussage seines ehemaligen Mitschülers Jay, die Auswertung von Telefondaten und dass Adnan sich nicht mehr genau daran erinnern konnte, was er zur Tatzeit sechs Wochen zuvor gemacht hatte. Zwei der drei Punkte könnten in einem neuen Verfahren nichtig werden – und die spielen auch in Sarah Koenigs Podcast eine zentrale Rolle. 

Ihre Arbeit an Serial begann mit einer Nachricht von Rabia Chaudry, einer Freundin von Adnans Familie. Rabia versucht seit seiner Verurteilung, Adnans Unschuld zu beweisen und hoffte auf die Hilfe der Journalistin, wie sie in einem Blogeintrag erklärt. Und sie hatte ein gutes Argument: eine Alibi-Zeugin. Asia McClain, eine Mitschülerin Adnans, sei angeblich mit ihm zum Tatzeitpunkt in der Bibliothek gesessen. Nachdem er verhaftet worden war, hat sie ihm und seiner Anwältin in einem Brief geschrieben, dass sie sich daran erinnern könnte. Die Unterlagen der Anwältin belegen das. Aber Asia wurde niemals von ihr kontaktiert oder um eine Aussage gebeten.

Das zweite wichtige Argument der Anklage waren die Telefondaten von Adnans Handy, in dem alle Anrufe des Tages, an dem Hae verschwand, gelistet sind. Durch die Standorte der bei Anrufen aktivierten Telefonmasten hatte die Staatsanwaltschaft beweisen wollen, dass die Geschichte des Mitschülers Jay, wie Adnan seine Exfreundin getötet und vergraben hat, stimmt. Die Staatsanwälte führten auch eingegangene Anrufe als Beweise auf. Doch auf dem Dokument des Telefonkonzerns steht wörtlich (auf Seite 1 unten): "Outgoing calls only are reliable for location status". Eingehende Gespräch also beweisen nichts. 

Bekommt ein verurteilter Mörder durch Serial eine zweite Chance?

Nicht alle halten Serial für "ein wahrhaft bemerkenswertes Stück Journalismus" wie der Guardian. Es gab auch viel Kritik. Berechtigte. 

Denn, was für den Zuhörer als wahnsinnig spannende Geschichte erzählt wird, das ist die harte Realität für andere. Für Haes Eltern zum Beispiel, die den Tod ihrer Tochter in den Medien immer und immer wieder erzählt bekommen. 

Aber ob man aber nun auf der Seite der Serial-Fans oder der -Hasser steht, eines ist auf jeden Fall bemerkenswert: der Einfluss dieses Podcasts. Denn es ist wohl kein Zufall, dass die Anträge auf neue Zeugenanhörung und eine Wiederaufnahme des Verfahrens 15 Jahre lang ins Leere gingen und jetzt nach Serial genehmigt wurden. Am 3., 4. und 5. Februar wird die Verteidigung unter anderem mit der Aussage von Asia McClain und dem Argument, dass die Telefondaten nie hätten genutzt werden dürfen, versuchen, das Gericht in Baltimore davon zu überzeugen, den Fall von Adnan in einem neuen Prozess wieder zu öffnen.  

Wenn das passiert, besteht tatsächlich die Möglichkeit, dass Serial nicht nur als der erfolgreichste Podcast aller Zeit in die Geschichte eingeht, sondern auch als der Podcast, der dazu führte, dass ein Unschuldiger nach 17 Jahren aus dem Gefängnis kam. Oder als der Podcast, der einem Psychopathen dabei half, das Gericht und Millionen von Menschen zu belügen und ihnen weiszumachen, er habe seine Exfreundin nicht mit bloßen Händen getötet und vergraben. So oder so – das kann niemand verpassen wollen.

Update: Nach dem ersten Tag der Anhörung hat Sarah Koenig, die selbst im Gericht in Baltimore dabei war, eine neue Mini-Episode online gestellt. Zwei weitere werden nach den kommenden zwei Anhörungstagen folgen.

 

In diesem Nachtrag schildert sie die lange erwartete Vernehmung von Asia McClain, die mittlerweile verheiratet ist und jetzt Chapman heißt. Die Zeugin trat demnach selbstbewusst auf und wiederholte noch einmal sehr klar und logisch begründet ihre Erinnerungen an den Tag, an dem Hae Min Lee umgebracht wurde. Und nach dieser Erinnerung war sie zum Tatzeitpunkt mit dem Angeklagten Adnan zusammen in der Bibliothek – was ihm ein eindeutiges Alibi geben würde.

Steven M. Klepper, ein renommierter US-amerikanischer Berufungsanwalt, schätzt Adnans Chancen auf einen neuen Prozess, sehr hoch ein. Gegenüber der New York Times erklärte er, dass er die Aussage für einen starken Beweise halte und es dem Richter  schwer fallen dürfte, dies nicht als Grund für eine Wiedereröffnung des Falls einzuschätzen. Auch weil das das Vertrauen der Menschen in das Gerichtssystem von Maryland schwächen könnte.

Am Donnerstag befragt die Staatsanwaltschaft die Zeugin und wird dabei versuchen, die Aussage von Asia Chapmann und ihre Glaubwürdigkeit anzugreifen.

 
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