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„Erdoğan findet den Vergleich mit Diktatoren angebracht“

Foto: Avant-Verlag

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Die deutsche Journalistin und Filmemacherin Sabine Küper-Büsch lebt seit 25 Jahren in Istanbul. Diese Woche erscheint ihr Buch „Schluss mit lustig. Aktuelle Satire in der Türkei“ im Avant-Verlag, am 19. Juli wird in der Galerie „Caricatura“ in Kassel die gleichnamige Ausstellung eröffnet. Buch und Ausstellung zeigen Werke von 50 türkischen Cartoonisten, die sich für Pressefreiheit positionieren. 

Vorab hat Sabine Küper-Büsch uns erklärt, auf welche Art von Satire der türkische Präsident Erdoğan am empfindlichsten reagiert, wie heikel die Lage aktuell für Zeichnerinnen und Zeichner in der Türkei ist und welche Rolle eine große Nase für die Geschichte der türkischen Karikatur spielt.

jetzt: Sie leben seit 1992 in Istanbul. Wie empfinden Sie das, was derzeit um Sie herum passiert?

Sabine Küper-Büsch: Seit den Gezi-Protesten 2013 ist die Situation immer schlimmer geworden, und seit dem Verfassungsreferendum im April steht fest, dass das erst mal so bleiben wird. Die AKP hat ihre Macht festgezurrt. Ich bin immer noch begeisterte Istanbulerin – aber die Lebensqualität hat sich schon beträchtlich verschlechtert.

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Sabine Küper-Busch lebt seit 25 Jahren in Istanbul. Das von ihr herausgegebene Karikaturen-Buch "Schluss mit lustig" erscheint diese Woche in Deutschland.

Foto: Angela Fensch

Um die Pressefreiheit steht es besonders schlecht.

Einer meiner Nachbarn, ein harmloser Kolumnist einer oppositionellen Zeitung, sitzt im Gefängnis und man hat ihm seine Eigentumswohnung weggenommen. Das ist brutal und beängstigend. Ich bin durch meine deutsche Staatsbürgerschaft noch einigermaßen geschützt, aber die türkischen Kollegen ziehen die Köpfe ein. Darum ist diese Karikaturen-Ausstellung jetzt auch so wichtig.

Drohen Ihnen dadurch denn nicht selbst Repressionen in der Türkei?

Veröffentlichungen im Ausland sind bislang noch nie Gegenstand türkischer Strafverfolgung geworden. Zumal das Buch auf Deutsch ist. Ich rechne also nicht damit. Wissen kann man es nie.

Haben Karikaturen in der Türkei Tradition?

Ja! In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es im Osmanischen Reich eine Reformphase, in der Bürgerrechte und die Pressefreiheit eingeführt wurden. Damals entstanden auch die ersten Satire-Hefte. Vor allem Minderheiten wie Armenier oder Griechen haben sie als Medium genutzt. Aber 1876 kam Abdülhamid II. an die Macht. Als absolutistischer Herrscher hat er die Satire-Zeitschriften natürlich sofort verboten.

„Die Nase war in der Türkei lange ein Symbol für Despoten“

Und die Zeichner?

Gingen ins europäische Exil. Abdülhamid hat damals viele Wörter verboten, „Freiheit“, „Brüderlichkeit“, so was. Allerdings auch das Wort „Nase“ – denn er hatte eine große Zinkennase und duldete keinerlei Anspielungen auf seine Person. Das hat dazu geführt, dass die Cartoonisten aus dem Ausland das Osmanische Reich mit Nasen-Zeichnungen geflutet haben. Die Nase war in der Türkei noch lange ein Symbol für Despoten.

Wird Erdoğan auch mit großer Nase dargestellt?

Mittlerweile hat sich dieses Motiv überlebt. Allerdings wird er sehr oft in despotischen Posen gezeichnet, als Napoleon, als Hitler, als Mussolini. Im Buch ist ein Titelbild der Zeitschrift LeMan zu sehen, auf der er ein kleines Buch, auf dem „Verfassung“ steht, als Hitlerbärtchen trägt.

Das gab sicher Ärger, oder? 

Gab es nicht – und das finde ich sehr interessant. Eins von Erdoğans Vorbildern ist nicht etwa Atatürk, sondern Abdülhamid II, der Nasen-Fürst. Dementsprechend finden Erdoğan und seine Anhänger den Vergleich mit Diktatoren ganz angebracht. Erdoğan selbst hat Nazideutschland mal als gelungenes Beispiel für ein Präsidialsystem genannt…

Auf welche Art von Karikatur reagiert er empfindlich?

Auf alles aus dem Themenfeld „Religion“. Auf einem Titelbild der Zeitschrift Penguen wurde er als Affe, Elefant, Kamel und so weiter dargestellt. Das Bild hieß „Der Tayyip-Zoo“, was auf Türkisch gleichzeitig „Das Universum des Tayyip“ bedeutet. In Erdoğans Glaubensverständnis sind Tiere unrein und man darf Menschen nicht mit ihnen vergleichen. Darum zog dieser Titel mehrere Ermittlungsverfahren nach sich.

Wird Erdoğan seitdem seltener gezeichnet?

Zumindest gibt es seit der Zeit vor dem Referendum weniger Titelbilder mit ihm. In den Redaktionen wurde entschieden, manche Zeichnungen lieber klein auf der dritten oder vierten Seite zu drucken, statt vorne auf dem Titel.

Gibt es auch regierungsfreundliche Karikaturen?

Ja, und zwar auf die schlimmste Art und Weise. Das spielt sich hauptsächlich online ab, vor allem bei Miswāk, das ist so was wie der Stürmer der Türkei. Da wird sich stark für die Todesstrafe positioniert und im vergangenen Winter gab es eine anti-westliche Schmähkampagne gegen den Weihnachtsmann. Zum Beispiel sah man den Weihnachtsmann, wie er und seine Rentiere am Himmel von einem türkischen Militärjet bedroht wurden. Diese Zeichnungen sind überhaupt nicht witzig, sondern einfach nur Propaganda.

Was ist für Sie das Besondere an türkischen Karikaturen?

Dass sich nach dem Militärputsch 1980 lokale Comic-Figuren etabliert haben, mit denen sehr liebevoll verschiedene unbekannte Biotope der Türkei vermittelt werden. Zum Beispiel „Das böse Mädchen“ von der Zeichnerin Ramize Erer: Sie war damals in ihren Zwanzigern und hat einen Skandal ausgelöst, mit einer Zeichnung von einem Mädchen, das hinter der abgeschlossenen Tür masturbiert und die Mutter klopft an und fragt: „Rauchst du?“ Sie hat die Figur weiterentwickelt und damit viele Tabu-Brüche und die sexuelle Kontrolle von Frauen behandelt. Fast alle Türken kennen diesen und andere Charaktere.

Äußern sich die Figuren auch zur aktuellen politischen Lage?

Als es vor dem Referendum so schwer war, Positionen für „Nein“ zu veröffentlichen, gab es bei LeMan zwei Mal Bilder, auf denen die prominenten Comic-Figuren „Nein“-Schilder halten. 

„Deniz Yücels Inhaftierung ist ein Reizthema“

Und das ging durch?

Diese Figuren zu zensieren wäre so, als würden die Franzosen Asterix und Obelix zensieren. Das kann selbst Erdoğan nicht!

In Ihrer Sammlung sind auch zwei sehr düstere Zeichnungen, bei denen es um die Einschränkung der Pressefreiheit geht. Auf einer hängt ein Zeichner in einem Leichensack über seinem Schreibtisch. Von wem stammen sie?

Von Bahadır Baruter. Vor ein paar Jahren hat er den Innenraum einer Moschee gezeichnet und an der Wand stand: „Es gibt keinen Gott, die Religion ist eine Lüge“. Er wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die meisten Türken kein Arabisch können, und in den Moscheen darum statt der Suren auch üble Flüche an den Wänden stehen könnten. Darauf gab es heftige Reaktionen, sogar einen Brandanschlag auf die Redaktion von Penguen. Baruter wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Seitdem zeichnet er kaum noch und steckt in einer totalen Krise. Als er mir diese Zeichnungen geschickt hat, habe ich erst mal geschluckt.

Es gibt auch einen Cartoon, in dem Deniz Yücel auftaucht.

Da wird Yücel als Geisel dargestellt, über die die deutsch-türkischen Beziehungen verhandelt werden. Der Zeichner, Sefer Selvi, ist einer der politischsten und unerschrockensten überhaupt, aber solche Zeichnungen sind sehr heikel. Denn Yücels Inhaftierung ist ein Reizthema, bei dem sich die Diskussion um die Pressefreiheit mit einem außenpolitischen Konflikt verbindet.

Gibt es eigentlich Zeichner-Nachwuchs? Trauen sich junge Menschen überhaupt noch an Karikaturen?

Zum Glück gibt es kein Nachwuchs-Problem, denn als Mitglied der Cartoon-Szene in der Türkei ist man so eine Art Popstar. Viele entwickeln sich jetzt in Richtung Fantasy, arbeiten sehr abstrakt und sehr metaphorisch, weil das in der Türkei immer noch gut geht. Ein gutes Beispiel für diesen neuen Stil ist Ersin Karabalut, ein junger Zeichner um die 30, der gerade mit einem Stipendium in New York ist.

Das klingt fast so, als würden die Repressionen die Satire beflügeln.

Wenn man damit die Kreatitvität und Qualität der Zeichnungen meint, dann ja. Aber momentan hat die Repression ein solches Ausmaß erreicht, dass die Zeichner vor allem weitermachen, weil es einfach keine andere kritische Instanz mehr gibt. Wirtschaftlich geht es ihnen nicht gut. Die Presse in der Türkei ist so schlecht geworden, dass kaum noch jemand Zeitungen kauft, und die Regierung sabotiert den Verkauf der Satire-Hefte. Vor allem auf dem Land werden Händler und Zulieferer unter Druck gesetzt. Penguen, eine der etabliertesten Zeitschriften, hat schon dichtmachen müssen. Der Titel des Buches, „Schluss mit lustig“, bezieht sich darum nicht nur auf die politische Situation, sondern auch auf die Situation der Zeichner. Wir wollen die Ausstellung in Kassel nutzen, Netzwerkarbeit zu machen – es ist sehr wichtig, der oppositionellen Bewegung und ihren Künstlern jetzt Nischen zu bieten.

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