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Sachsen-Experte Hendrik Berth über das Wesen der Sachsen
Professor Hendrik Berth ist Leiter der sächsischen Längsschnittstudie, die seit 1987 Sachsen mit einem detaillierten Fragebogen zu ihren Einstellungen und Lebensentwürfen befragt. Wir haben mit ihm über Vorurteile und enttäuschte Erwartungen gesprochen. Und die Frage, warum es gerade in Sachsen zu den unschönsten Vorfällen in puncto Fremdenhass kommt.
jetzt.de: Herr Professor Berth, bei dem Wort "Sachsen" denken viele nur noch an Pegida, national befreite Zonen und brennende Flüchtlingsheime. Manche sprechen von einem "failed state", man könne Sachsen sozusagen aufgeben. Bestätigen Ihre Forschungen diesen Eindruck?
Prof. Hendrik Berth: Ich als Sachse kann diesen Eindruck natürlich nicht zu 100 Prozent bestätigen. Ich kann ihn aber auch nicht vollständig entkräften. In unseren Studien sehen wir bei den Sachsen nach wie vor eine relativ hohe Ablehnung des bestehenden Systems, verbunden mit einem ausländerfeindlichen und antisemitischen Weltbild bei etwa 25-30 Prozent. Und draußen auf der Straße sehe ich dann mit eigenen Augen dessen Ausbünde in Form von Pegida und Konsorten. Das macht mich traurig, weil all diese Dinge eben tatsächlich immer gerade in Sachsen passieren.
Warum passieren all diese Dinge denn immer in Sachsen?
Warum Sachsen da auch im ostdeutschen Vergleich so schlecht dasteht, darüber kann ich nur mutmaßen. Vielleicht haben die Menschen hier durch die Erfahrung mit der friedlichen Revolution 1989 einen größeren Drang, aktiv zu werden, weswegen Pegida womöglich hier entstanden ist. Natürlich ist es aber auch einfach attraktiver, in Großstädten wie Dresden oder Leipzig auf die Straße zu gehen. Außerdem ist hier die Bevölkerungsdichte höher, die Dinge schaukeln sich schneller hoch. Vielleicht handelt es sich aber tatsächlich auch um eine althergebrachte Mentalität, die schon seit dem 19. Jahrhundert besteht: Die Sachsen hatten nie einen Preußenkönig, der etwa den Zuzug unterschiedlicher Konfessionen befürwortet hat. Die Sachsen waren vielleicht schon immer eher ein eigenbrötlerisches, isoliertes Völkchen. Das kann zu Angst gegenüber allen möglichen Fremdeinflüssen führen, wobei ich dazu natürlich keine Zahlen von 1870 liefern kann.
Laut Ihren Forschungen sind ja die Sachsen, die nach der Wende in den Westen gegangen sind, weniger ausländerfeindlich. Wie erklären Sie sich das?
Da gibt es verschiedene Hypothesen: Es könnte erstens sein, dass die Sachsen, die jetzt im Westen leben, eben weniger heimatverbunden und auch schon vor ihrem Umzug offener und liberaler waren. Dann gibt es aber noch die sogenannte Kontakthypothese: Da es in Sachsen so gut wie keine sichtbaren Ausländer gibt, halten sich die Vorurteile umso hartnäckiger. Für Leute im Westen sind etwa Frauen mit Kopftuch kein vollkommen ungewohnter Anblick, sie haben Kollegen, Nachbarn und Freunde mit Migrationshintergrund - sie haben Kontakt. Das gibt es in Sachsen nur selten.
Haben die Sachsen im Westen nicht auch die besseren wirtschaftlichen Voraussetzungen und deswegen weniger Probleme mit Arbeitslosigkeit? Sind sie nicht deswegen weniger anfällig für Rassismus und Sündenbock-Denken?
Die Befürworter von Pegida haben in unserer Studie zwar ein niedrigeres Einkommen und seltener Abitur. Die Erfahrung mit Arbeitslosigkeit ist aber nicht ausschlaggebend, denn viele der Sachsen im Westen sind ja auf der Suche nach Arbeit umgezogen. Sie kennen das Gefühl der Arbeitslosigkeit also auch. Unter den Menschen, die solche Erfahrungen gemacht haben, sind die Befürworter und Gegner von Pegida oder rechtsextremen Einstellungen etwa gleich verteilt.
Was aber in Sachsen sehr weit verbreitet ist, ist die Akzeptanz gegenüber rechtsextremen Aussagen. Viele befürworten die zwar nicht, wenn aber jemand einen ausländerfeindlichen Witz macht, dann lachen sie eben mit und schreiten nicht ein. Was viele der Befragten außerdem vereint, ist ein grundlegender Frust nach der Wende.
Was ist der Grund für diesen Frust?
Das ist schon eher ein generelles Ost-Problem. Da sind zum einen natürlich die enttäuschten Erwartungen nach der Wiedervereinigung: Es wurde zwar in der Infrastruktur sehr viel aufgeholt, aber die Einkommen sind immer noch wesentlich niedriger als im Westen. Da entsteht dann das Gefühl, dass die eigene Vergangenheit und die damit verbundenen Bemühungen und Leistungen nicht ausreichend wertgeschätzt oder überhaupt wahrgenommen werden. Das führt dann zu einer Abwendung vom politischen System. Oder eben zur Hinwendung zu extremen Positionen.
"Es gibt auch gut verdienende Professoren, die zu Pegida gehen."
Haben diese Menschen denn eine Vorstellung von einem "besseren" politischen System? Gibt es einen Wunsch nach der guten alten DDR?
Die DDR wünschen sich nur die Wenigsten zurück. Die Grundaussage, die sich durch unsere Studien zieht, ist: "Die Wiedervereinigung war gut, aber das, was ich mir erhofft hatte, ist nicht eingetreten." Zu der Frage, wie sich das politische System konkret ändern müsste, können die Befragten dann nur vage Angaben machen. Viele wünschen sich ein sozialeres System, wobei "soziale Gerechtigkeit" in Sachsen nicht als Leistungsgerechtigkeit, sondern als soziale Gleichheit verstanden wird. Nicht jeder soll das bekommen, was er sich verdient hat, sondern alle in etwa das Ähnliche. Wenn man mit diesem Hintergrund heutzutage einem durchschnittlichen Beruf nachgeht und merkt, dass andere in höheren Positionen wesentlich mehr verdienen, dann entsteht dieser Frust. Weil man diese großen Unterschiede in der DDR eben nicht kannte.
Ist dieser Frust und die Unzufriedenheit mit dem System denn seit der Wende konstant gestiegen oder gibt es da ein ständiges Auf und Ab?
Das ist tatsächlich eher ein Auf und Ab, das sich meist an den verschiedenen Regierungen seit der Wende orientiert. Die Zufriedenheit nahm in den letzten Jahren der Ära Kohl erstmals deutlich ab. Als Schröder 1998 zum Kanzler gewählt wurde, stieg sie wieder sichtbar an. Mit den Sozialreformen der Agenda 2010 sank sie dann allerdings wieder stark. Seitdem Angela Merkel gewählt wurde, steigt die politische Zufriedenheit im Allgemeinen an. Wir finden heute viele Indikatoren, die für ein Zusammenwachsen von Ost und West sprechen. Die Menschen sehen mehr Gemeinsamkeiten mit dem Westen, eine Mehrheit fühlt sich trotz aller Angst und Verdrossenheit als Gewinner und nicht als Verlierer der Deutschen Einheit. Es gibt Menschen in prekären Lebensverhältnissen, die trotz allem ein zufriedenes Leben führen. Es gibt aber auch gut verdienende Professoren, die zu Pegida gehen. Diese Paradoxien machen es sehr schwer für uns, die genauen Ursachen für den Frust und den Hass zu finden.
Können Sie trotzdem sagen, in welchen Bereichen politische Fehler begangen worden sind, die zur heutigen Entwicklung in Sachsen beigetragen haben?
Das trauen sich viele so nicht zu sagen. Ich bin aber der Meinung, dass wir die Menschen mit rechtsextremem Gedankengut in unserer Gesellschaft leider akzeptieren müssen. Sämtliche Belehrung, alle Versuche, bei ihnen irgendeine Empathie für etwa syrische Flüchtlinge herzustellen, sind gescheitert. Das ist eine sehr geschlossene Gruppe mit einem stark verfestigten Weltbild. Die sind einfach nicht zu erreichen, egal mit welchem Ansatz.
Haben wir Sie gerade richtig verstanden? Man soll vor den Rechten einfach achselzuckend kapitulieren?
Diese Akzeptanz müsste natürlich in extrem engen Grenzen stattfinden. Das Stammtischgerede kann man manchen Menschen eben nicht austreiben. Verstärkt handeln muss man allerdings dort, wo es gesetzeswidrig wird: Sprüche wie "Hängt Merkel!", "Flüchtlinge ins Gas!" und jede Form von Gewalt sind strafbar und dementsprechend zu behandeln. Aber gerade dabei versagt die sächsische Justiz, die nach der Meinung vieler schon seit 1990 auf dem rechten Auge ziemlich schlecht sieht. Die Verfahren bei rechtsextremen Gewalttaten dauern manchmal zwei Jahre, die Strafen sind sehr gering und kaum abschreckend. Hier müssten man wesentlich deutlichere Zeichen setzen.