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Masterarbeit über Rassismuserfahrungen an deutschen Schulen
Für ihre Masterarbeit an der Uni Duisburg hat die 26-jährige Doktorandin Aylin Karabulut mit Schülern mit Migrationshintergrund über ihre Rassismuserfahrungen gesprochen. Im Frühjahr 2018 besuchte sie dafür acht weiterführende Schulen in Deutschland. Die Antworten der Schüler im Alter von 15 bis 18 Jahren hielt sie dann fest. Vergangene Woche hat Aylins Arbeit den Augsburger Wissenschaftspreis für interkulturelle Studien gewonnen.
jetzt: Was genau hast du die Schülerinnen und Schüler für deine Masterarbeit gefragt?
Aylin Karabulut: Ich fragte Schüler*innen in Gruppen: „Welche Erfahrungen macht ihr im Schulalltag?“ Ich wollte nichts vorgeben, sondern wissen, welche Themen für Schüler*innen mit Zuwanderungsgeschichte relevant sind. Und dann war es sehr interessant, dass sie sehr schnell auf ihre Rassismuserfahrungen zu sprechen gekommen sind.
Welche Erfahrungen haben sie gemacht?
Ein Schwarzer Schüler hat erzählt, dass er oftmals nicht als Individuum wahrgenommen wird, sondern als Vertreter einer vermeintlich homogenen Schwarzen Bevölkerung. Was total absurd ist. Ein Zitat von ihm war: „Ich bin ja ich und nicht Tausend andere Schwarze“. Schüler*innen mit Zuwanderungsgeschichte machen diese Erfahrungen ständig. Eine Schülerin sagte, dass sie oftmals mit dem IS gleichgesetzt wird, weil sie sich selbst als Muslimin identifiziert. Die Aussagen zeigen, dass die Schüler*innen ihre Rassismuserfahrungen als sehr einschneidend, auch für ihre berufliche und schulische Weiterentwicklung, sehen.
Von wem ging die Diskriminierung in deiner Studie aus?
Rassismus ist ein strukturelles Problem. In meiner Studie war aber auffällig, dass der Rassismus in der Schule oftmals von Lehrpersonen ausgeht. Es gibt eben eine Machtasymmetrie, zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen – unter anderem weil die Lehrpersonen die Noten vergeben. Das macht es für die betroffenen Schüler*innen umso schwerer, das Problem anzusprechen.
Eine Schülerin erzählte, dass ein Lehrer sie im Unterricht vor allen Mitschüler*innen darauf hingewiesen habe, dass sie in einer schriftlichen Ausarbeitung sehr viele Rechtschreibfehler habe. Er sagte zu ihr: „Man merkt, dass du keine Deutsche bist“. Dabei ist sie genauso deutsch wie ihre Mitschüler*innen – wird aber im Unterricht vom Lehrer zu einer „Anderen“ gemacht. Die Schülerin hat dann auch darauf hingewiesen, dass ihr herkunftsdeutscher Sitznachbar mehr Fehler hatte.
Und wie haben sich die Mitschüler und Mitschülerinnen verhalten?
Rassismus und Diskriminierungen unter Mitschüler*innen waren kein zentrales Thema. Jugendliche sind viel offener als ältere Menschen. Für sie ist Diversität oft Teil ihrer Lebensrealität – etwas, das vollkommen normal ist.
Welche Ergebnisse haben dich überrascht?
Ich war schockiert, wie sehr sich Schüler*innen an institutionellen Rassismus gewöhnt haben. Obwohl wir ein Grundgesetz mit Artikel 3 haben, das ganz klar sagt, dass diese Dinge nicht stattfinden dürften. Dieser Rassismus wirkt sich stark auf das Leben von jungen Menschen aus. Der institutionelle Rassismus an Schulen ist leider Normalität geworden und das hat mich oftmals sehr betroffen gemacht.
„Ein Grundproblem des deutschen Bildungssystems ist, dass es Ungleichheiten verstärkt“
Gab es Unterschiede zwischen den Schulformen?
An den Hauptschulen war ich entsetzt, dass die Schüler*innen dort noch viel machtloser sind als an anderen Schulformen. Das liegt daran, wie Schulen funktionieren. Oftmals ist es wichtig, was für ein Elternhaus die Kinder haben und ob die Eltern auch als ihre Anwältinnen oder Anwälte agieren. Dieser Support ist an den Hauptschulen oftmals nicht da und führt dazu, dass die Schüler*innen eine besonders starke und offene Form von Diskriminierung erleben. Als Forscherin war es für mich oft sehr schwer, diese Erfahrungen zu hören und gleichzeitig das Gefühl zu haben: Ich kann jetzt nichts tun, um die Lebensrealität dieser jungen Menschen zu verändern.
Was läuft aus deiner Sicht falsch an deutschen Schulen?
Puh, das ist nicht so einfach zu beantworten. Ein Grundproblem des deutschen Bildungssystems ist, dass es Ungleichheiten verstärkt. Die Schüler*innen, die ich interviewte, haben sich daher einerseits an diese Erfahrungen gewöhnt, sie sind Teil ihrer Schulrealität geworden.
Andererseits verspüren sie aber Ohnmacht und Verzweiflung, weil es keine Räume für eine Auseinandersetzung und keine Meldestellen mit geschultem Personal gibt. Mit der Gewohnheit der Schüler*innen wird ihre Verzweiflung aber nicht weniger. Sie brauchen Gelegenheiten, um diese Erfahrungen transparent zu machen, darüber sprechen können. Nach den Gesprächen kam sehr oft der Wunsch auf, dass sowas öfter stattfinden sollte. Es braucht unabhängige Antidiskriminierungsstellen für Schüler*innen, die Rassismus erfahren, um zu heilen. Wir müssen daher ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass institutioneller Rassismus passiert und dass diese Räume gebraucht werden.
Warum hast du gerade dieses Thema für deine Masterarbeit gewählt?
Es gibt viele Studien zu den Effekten von institutionellem Rassismus im Bildungsbereich, dass Schüler*innen mit Zuwanderungsgeschichte benachteiligt werden. So werden sie bei den selben Leistungen schlechter benotet, besuchen seltener das Gymnasium und studieren seltener. Gleichzeitig wissen wir aber sehr wenig über die Lebensrealitäten von Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte.
Das hat mich irritiert und ich wollte ihre Perspektive in der Wissenschaft sichtbar machen. Ich habe oft das Gefühl, dass Wissenschaft wie eine Gated Community funktioniert. Wir machen unglaublich tolle Forschung, aber die Gesamtgesellschaft profitiert bisher kaum davon. Für mich hat Wissenschaft einen gesellschaftlichen Auftrag. Die Expertise, die ganz viele Wissenschaftler*innen haben, brauchen wir unbedingt. Wir müssen in Deutschland verstehen, dass Rassismus ein strukturelles Problem ist, das wir überwinden müssen. Eine plurale Gesellschaft der Vielen kann sich Rassismus nicht leisten.