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Elf Punkte für mehr junge Politik
Und, in welcher Partei bist Du? Höchstwahrscheinlich in gar keiner. Das Durchschnittsalter bei CDU und SPD beträgt 60 Jahre, bei den anderen nur knapp liegt es darunter. Und das will Yannick Haan, 31, ändern. Zusammen mit einigen anderen Mitgliedern der "Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen" (SfdRzG) hat er elf Punkte aufgeschrieben, wie sich Parteien ändern müssen, damit junge Menschen wieder zu ihnen finden.
Denn überalterte Parteien machen nicht nur einseitige Politik, findet Yannick, sondern verlieren auch ihre Daseinsberechtigung. "Die Parteien haben meist eine sehr heterogene Mitgliedschaft, also: Wenige treffen die Entscheidungen für viele." Und die Alterung beschleunige sich selbst, wenn in den Ortsvereinen nur alte Leute mit alten Themen säßen, was wiederum junge Leute abschreckt.
Also: "Alle Macht den Mitgliedern“ oder "Kultur des Scheiterns". So heißen die Punkte. Yannick erzählt, dass vor allem eigene Erfahrungen und die von jungen Parteimitgliedern eingeflossen seien. "Zum Beispiel haben viele Leute, die vor einem halben Jahr in die SPD eingetreten sind, noch keine Anknüpfungspunkte gefunden, um wirklich etwas zu tun", erzählt er, selbst seit Jahren SPD-Mitglied. Also: offener werden. Engagement vereinfachen. Auch punktuelle Mitarbeit zulassen. Punkt drei ("Öffnung der Strukturen"): "Das zunehmende Engagement junger Menschen in NGOs zeigt, dass diese bereit sind, sich themenbezogen zu engagieren. Diese Möglichkeit bieten die Parteien aber bislang kaum an."
Das alles klingt wie eine Mischung aus Piratenpartei-Programm und Politik-Hausarbeit. Man will nichts revolutionieren. Sondern verkrustete Strukturen von innen reformieren. "Liebe Parteien: Werdet zukunftsfähig!", heißt der letzte Satz des Plans. Den stellte man online und verteilte ihn quasi von innen in den jeweiligen Parteien, ohne großen Paukenschlag.
Die Rückmeldung sei "gemischt", so Yannick. Grundsätzlich begrüßten alle die Auseinandersetzung, "denn die Parteien wissen ja auch, dass sie sich verändern müssen." Sie kennen ihr strukturelles Problem: Alte Menschen haben mehr Zeit als junge, die arbeiten und Kinder kriegen müssen. "Deshalb fordern wir auch, die Ortsgebundenheit abzuschaffen. Ich muss auch digital mitbestimmen können, nicht nur am Stammtisch vom Ortsverein."
"Als sollten im Tauchclub auch Nichtschwimmer aufgenommen werden"
Der Parteienforscher Dr. Michael Koß von der LMU München findet diesen Ansatz hingegen "naiv bis borniert. Als sollten im Tauchclub auch Nichtschwimmer aufgenommen werden." Für ihn ist die primäre und wichtigste Funktion von Parteien das "Bohren von harten Brettern", wie es der Soziologe Max Weber ausdrückte. Die Aufgaben: "Gesellschaftliches Interesse aufgreifen, zu Programmatik verbinden, dauerhaft in einem transparenten Prozess in Politik gießen, Mehrheiten organisieren, Kompromisse eingehen." Dazu braucht man zwar Mitglieder, könne sich aber nicht um einzelne Zielgruppen bemühen.
"In den 60er und 70er Jahren hatte die Jugend auch keiner eingeladen, mitzumachen. Sondern es gab das dringende Interesse bei all denen, die sich nicht vertreten fühlten, etwas zu ändern. Also hat man sich in die miefigen Hinterzimmer getraut und die alten Ortsvorsitzenden ausgehalten, für die gemeinsame Sache. So geht Politik. Da hat man entweder Lust drauf oder nicht."
Dass Gast-Mitgliedschaften die Schwelle für bisher von Partei-Engagement unbefleckte Menschen senken sollen, wie Punkt zwei es fordert? "Eine Halb-Mitgliedschaft, wieso nicht noch eine Viertelmitgliedschaft?" fragt Koß ironisch zurück, "Um mal zu schmecken, wie gelb die FDP ist? Ich finde: Entweder man tritt ein oder nicht, so viel Bekenntnis kann man schon verlangen."
"Parteien müssen auch das Scheitern erlauben"
Für ihn müssen Parteien, wie viele andere Institutionen, "einen Teil ihres Zwecks verdunkeln, einen anderen erleuchten. Ihre Arbeit im Parlament ist unsexy, aber wichtig. Ihre zum Bürger hin offene Funktion als Teilhabe-Organisationen ist quasi ihre Schau-Seite, die gilt es herauszustellen. Aber sie können sich nicht völlig auf potenzielle Neu-Mitglieder einstellen. Sie müssen im Parlament funktionieren. Das geht nicht, wenn ständig Mitgliederentscheide die Verlässlichkeit der Programmatik untergraben."
Punkt elf ("Kultur des Scheiterns") fordert: "Parteien müssen auch das Scheitern erlauben. (…) Wer aktuell in Parteien für eine Position antritt und nicht gewählt wird, dem hängt schnell ein Makel der Niederlage an. Dadurch schrecken vor allem junge Menschen davor zurück, für Ämter zu kandidieren." Vielleicht steckt in diesem letzten Punkt die meiste Wahrheit: Sich für etwas zu engagieren, bei dem man Scheitern kann, liegt uns nicht besonders. Und andererseits definiert sich Demokratie genau darüber, dass man nicht immer seinen Willen bekommt.