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Bericht vom gewalttätigen Abschiebe-Protest in Nürnberg
Jonas ist 24 Jahre alt und macht eine Ausbildung zum Schreiner. Er geht auf die gleiche Nürnberger Berufsschule wie der junge afghanische Flüchtling, der am Mittwoch von Polizisten aus dem Unterricht geholt wurde, um abgeschoben zu werden. Jonas war einer der ersten Mitschüler, die dagegen protestierten. Er erlebte von Anfang an mit, wie sich immer mehr Menschen anschlossen – und wie die Situation schließlich eskalierte. Hier berichtet er von den gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Demonstranten.
"Es war kurz nach acht Uhr, unser Unterricht hatte gerade begonnen, da kam eine Mitschülerin rein. Sie war spät dran und sagte gleich, sie habe gesehen, wie zwei Polizisten jemanden über den Schulhof abführen. Wir sind zu den Fenstern und haben dann von oben gesehen, dass es der junge Afghane aus unserer Parallelklasse war. Er sah hilflos aus, als wüsste er gar nicht, wie ihm geschieht.
Wir sind dann sofort aufgestanden und runter gerannt, da waren wir vier bis sechs Leute. Ein Polizeiauto hatten wir auf unserem Schulweg schon bemerkt, also sind wir direkt da hin und haben uns davor und dahinter gesetzt, um das Auto am Abfahren zu hindern. Einer der beiden Polizisten hat dann ganz nett mit uns geredet. Er meinte, dass unser Protest nicht illegal sei. Er hat uns nicht aufgefordert weg zu gehen, nur gesagt, dass wir die andere Straßenspur freihalten sollen, damit andere Autos noch vorbeikommen.
Trotzdem kamen immer mehr Polizisten, je länger wir da saßen. Es kamen auch immer mehr Mitschüler und Passanten, einige setzten sich zu uns, andere standen um das Auto herum.
Der junge Afghane wurde dann in ein anderes Auto gesetzt, das durch eine Einbahnstraße wegfahren sollte. Da sind wir hin, haben die Straße blockiert. Und ich glaube, in diesem Moment, in dem wir somit den Verkehr blockiert haben, war es vorbei mit der freundlich-netten Polizei.
Wie genau die Situation eskaliert ist, kann ich nicht sagen. Ich bin normalerweise nicht politisch aktiv, habe zum ersten Mal bei einem Protest mitgemacht und war etwas neben der Spur. Als die Einsatzwagen mit den Polizisten in Kampfmontur kamen, waren wir schon eingeschüchtert. Wie viele das waren, kann ich nicht sagen. Es ging alles sehr schnell. Ich dachte nur: Hoffentlich passiert nichts.
Plötzlich waren wir umgeben von Beamten mit Pfefferspray und Schlagknüppeln. Die Polizisten haben zunächst versucht, jeden einzeln aus der Blockade zu ziehen. Als das nicht klappte, haben zwei Leute neben mir ganz schön was mit den Knüppeln abbekommen. Frauen und Mädchen wurden an den Haaren rausgezogen. Der Afghane wurde in ein drittes Polizeiauto gebracht, das beim Losfahren einem Freund von mir über den Fuß gefahren ist. Ich und viele andere wurden von Polizisten mit dem Kopf auf den Boden gedrückt und aus dem Weg geschoben. Dann konnte das Auto durch. Dass die Polizei nun in ihrem Statement von keinen verletzten Demonstranten wissen will, verstehe ich nicht. Ich wüsste gerne, was deren Definition von "verletzt" ist.
Später, als das Auto weggefahren war, wurden wir von den Polizisten eingekesselt. Wir waren am Ende etwa 300 Personen, viele davon wollten eine weiterführende Demo in Richtung Einwohnermeldeamt starten – wir durften aber erst los, als wir sie rechtmäßig angemeldet hatten. Die Polizei hat uns dann dorthin eskortiert.
"Ich hatte das Gefühl, die Polizei ist für die Gewalt verantwortlich"
Später zu Hause habe ich noch lange darüber nachgedacht, was da am Morgen passiert ist. Ich habe noch immer keine finale Meinung, wie ich all das beurteilen soll. Allein der aktuelle Anschlag in Kabul zeigt ja, dass Afghanistan kein sicheres Herkunftsland ist. Und auch, wenn ich mich zuvor nicht allzu sehr mit dem Thema auseinandergesetzt hatte, kann ich eine Abschiebung dorthin nicht nachvollziehen.
Meiner Meinung nach ging die Aggression an diesem Morgen auf jeden Fall auch von der Polizei aus. Das hat die Demonstranten angestachelt. Es gab Gewalt auf beiden Seiten, aber ich hatte das Gefühl, die Polizei ist für diese Gewalt verantwortlich.
Als ich auf dem Boden lag und ein Polizist meinen Kopf gegen den Asphalt drückte, habe ich gesehen, wie die Polizisten den Afghanen an den Beinen trugen und zogen, um ihn ins nächste Auto zu schaffen. In diesem Moment wurde mir klar: Die Würde eines Menschen ist doch antastbar."