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Auf der Jungen Islamischen Konferenz diskutieren Christen und Muslime
Der Ort ist symbolisch. Direkt gegenüber vom Reichstagsgebäude, im Paul-Löbe-Haus, findet an diesem Wochenende die Junge Islam Konferenz statt. Der Himmel strahlt wolkenlos, in den Fenstern des runden Südflügels spiegelt sich die Sonne. Wer hier vorbeiläuft, sieht einen Raum voll junger Menschen, die sich um einen runden Konferenztisch scharen: Ein paar Frauen mit Kopftüchern, einige ohne, ein blonder Mann in kariertem Hemd und Jeans. Im Hintergrund wirft ein Beamer ein Logo an die Wand: „JIK 2017“. Drei Tage lang diskutieren 40 Teilnehmer zwischen 18 und 25 hier über die Zukunft der Republik. Einige sind gläubig, andere nicht, einige sind Christen, andere Muslime. Die JIK will offen für alle sein. Sie richtet sich an eine Altersgruppe, die sich oft aus dem politischen Geschehen in Deutschland ausgeschlossen fühlt – und jetzt gegenüber vom Bundestag tagt.
Drinnen, vorbei an Schülern und Rentnern mit Kanzleramts-Jutebeuteln, mitten im glänzenden Foyer des Hauses, findet der JIK-Empfang statt. Bevor die Antrittsdiskussion losgeht, gibt es Kaffee, Obst und Plätzchen. Schnell wird klar, dass sich viele hier schon kennen, zum Beispiel aus den Landeskonferenzen in NRW und Hamburg. Im Hintergrund werden Selfies gemacht, eine junge Frau führt ihre Freundin durch den Raum: „Ich stell' dir meine Squad vor.“ Für die Bundeskonferenz sind Teilnehmer aus ganz Deutschland und Österreich angereist. „Es ist wichtig, sich nicht nur über Likes und Kommentare auszutauschen“, erklärt die österreichische Bloggerin Asma Aiad, die extra aus Wien kam.
Seit 2011 findet die Konferenz statt, initiiert von der Humbold-Universität und "Mutik", der Gesellschaft für Projekte im Bereich kulturelle Bildung. Gefördert wird sie durch die Stiftung Mercator. Staatsministerin Aydan Özoğuz ist Schirmherrin und hält die Eröffnungsrede, auch Frank Richter ist zu Gast, der ehemalige Leiter der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen. Offenbar hat die deutsche Politik verstanden, dass sie junge muslimische und nicht-muslimische Menschen einbinden muss – auch weil sie die Integrationsfrage lösen kann. Vielleicht wie keine vor ihr, so wird es zumindest suggeriert.
Deshalb haben die Veranstalter neben Politikern und Politikerinnen, Islam- und Politikwissenschaftlerinnen auch Menschen wie den Schauspieler und Youtuber Firas Alshater eingeladen. International bekannt wurde der Syrer, der vor drei Jahren von Aleppo nach Deutschland floh, mit seinem Youtube-Kanal „Zukar“, wo er humorvoll mit dem Ankommen in Deutschland umgeht. In seinem ersten Video stellte sich Firas auf den Alexanderplatz und verteilte Umarmungen an Deutsche. Mittlerweile ist er Buchautor („Ich komm auf Deutschland zu“ ).
Nach dem Empfang werden die Teilnehmer zurück in den Konferenzraum gebeten. Jetzt wird diskutiert: Muslim und Deutsch sein, wie geht das zusammen? Wie kann ein Dialog entstehen? Firas bittet vor allem um Zeit – bei der Arbeitssuche, beim Ankommen und dabei, aufeinander zuzugehen: „In Deutschland muss immer alles schnell gehen.“
Als Firas spricht, haben viele hinter ihm ihre Konferenz-Kits sichtbar neben dem Mikro positioniert. „Den Dialog flicken“, steht auf den Papierschachteln. „Dialog? Bei dem Begriff krieg' ich Magenschmerzen“, sagt die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus bei der Diskussion. Spielhaus ist Professorin an der Universität Göttingen und forscht zu Bildung und Wissenskulturen. Das Konzept "Dialog", bei dem zwei Seiten aufeinandertreffen, illustriere ihrer Meinung nach schon das Problem. Es solle viel mehr um Gemeinsamkeit gehen, darum zusammen etwas zu tun, mahnt sie die Gruppe. Diskussionsrunden im Fernsehen, auch solche, bei denen sie selbst Gast war, empfindet sie deshalb oft als frustrierend: "Man fängt an, darüber zu reden ob man überhaupt miteinander reden kann".
Konkreter wird das in der Mittagspause. Die Tablette mit belegten Brötchen leeren sich schnell. Viele Teilnehmer sind hungrig, sie sind seit heute Morgen hier. „Wir reden erst, dann essen wir“, sagt Nesrin. Sie ist 24 und kommt aus Bremen. Besonders in der Schulzeit hat sie viel Rassismus erlebt: „Als ich anfing, Kopftuch zu tragen, wurde eine Lehrerkonferenz einberufen – inklusive Schulpsychologen. Die dachten, ich gehe vielleicht zu den Taliban. Das klingt jetzt wie ein Scherz, ist aber wirklich passiert.“ Die Lehrer hatten Angst, dass Nesrin sich radikalisiert. Ihre Familie lebt übrigens seit drei Generationen in Deutschland.
Aylin, 19, bekam als Kind viele Fragen aus Neugier: „Wieso feierst du kein Weihnachten?“ „Wieso isst du kein Schweinefleisch?“ Erst als sie aufs Gymnasium kam, wurde sie mit anderen Themen konfrontiert, Zwangsehe oder Terrorismus. „Ich hab auch die Frage gehört: ‚Wenn du ins Paradies willst, musst du dich doch umbringen, oder?’“ Mittlerweile geht sie auf Kommentare ein: „Im Grunde genommen hat jeder Mensch Vorurteile in sich. Aber wir lassen uns auch vom Gegenteil überzeugen.“ Die Grundangst vor dem Fremden regiert in vielen Köpfen. Raum zum Austausch müsse man aktiv suchen. „Der erste Schritt ist oft der schwerste“, sagt Aylin.
„Ich will in der Bahn nicht komisch angeschaut werden und mich fragen müssen, was in den Köpfen vorgeht“
Es gibt auch positive Beispiele: Ein Teilnehmer erzählt von seiner Grundschule, die einmal die Woche Feste verschiedener Kulturen vorstellte. Noch heute trifft er sich mit Freunden zum Adventsessen. Er fragt: Warum ist das nicht öfter so? Die Antwort kommt von den Politikern: Etwa zehn Jahre dauere es, bis sich im Schulsystem neue Lehrkonzepte bemerkbar machen. Das heißt jedoch nicht, dass es nicht lohnbar wäre, sie umzusetzen.
In den Gesprächen wird klar, dass vielen jungen Muslimen nach Anschlägen derselbe Gedanke durch den Kopf schießt: Bitte kein Moslem. „Ich will in der Bahn nicht komisch angeschaut werden und mich fragen müssen, was in den Köpfen vorgeht“, sagt Asma. Charlot erzählt, dass sich ein muslimischer Freund bei ihr für terroristische Anschläge entschuldigt. „Ich sage dann: Wieso, warst du da?“ Aylin rechtfertigt sich mittlerweile nicht mehr: „Das ist Terrorismus, Extremismus, das ist was völlig anderes. Ich finde, es gibt da eine Doppelmoral. Bei Breivik stand nicht überall: Er war christlicher Fundamentalist.“
Es klingt wie ein Statement, als Ahmed, 25, aus Köln, sagt: „Mein Name ist Ahmed, ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen und es ist definitiv meine Heimat.“ Austausch fängt für ihn im kleinen an, bei der Familie, dem Freundeskreis, dem Viertel oder der Stadt. Er empfiehlt beispielsweise, ehrenamtlich zu arbeiten.
Charlot, 21, die als Freiwillige mit Flüchtlingen arbeitet, erlebte Angst und Misstrauen ihrer eigenen Eltern: „Wenn ich mit Männern unterwegs war, sagte meine Mutter: Aber pass auf, wo ihr Euch trefft!“ Durch ihre Arbeit konnte sie auch die Vorurteile ihrer Familie langsam abbauen. Viele hier haben die Hoffnung, dass wir, die Jungen, es besser machen. Wir sind eine Generation, die in einer multikulturellen, globalisierten, liberalen Welt aufgewachsen ist. Können wir deshalb auch Angst und Diskriminierung anders entgegentreten?
„Extremisten und Populisten wollen, dass man Angst bekommt. Darauf muss man aufmerksam machen und gerade deshalb zusammenhalten.“, sagt Asma. Sie glaubt daran, dass junge Menschen mit dieser Angst vor dem Fremden vielleicht besser umgehen können: "Wir sind offener für Neues und noch nicht so festgefahren." Angst ist ein Begriff, der an diesem Tag häufig fällt. Das nahende Referendum in der Türkei, der Anschlag in London: Es passiert gerade vieles, das Vorurteile weiter wachsen lassen könnte. Über Erdogan spricht an diesem Tag niemand. Die ISK konzentriert sich auf das, was jetzt und hier möglich ist. Doch was ist das?
Die Veranstalter wollen nicht nur zum Reden, sondern besonders zum Machen auffordern. „Deswegen haben wir zum Beispiel auch Aktivisten und Aktivistinnen wie Kübra Gümüşay, Mareike Nieberding oder Hooria Mashhour eingeladen“, so eine der Organisatorinnen, Milena Jovanovic. Sie sollen Teilnehmer ermutigen, eigene Projekte auf die Beine zu stellen. Themen wie Toleranz, Rechtspopulismus und Zugehörigkeit werden in Workshops bearbeitet. Doch was passiert dort konkret?
Ahmed war vergangenes Jahr schon auf der Konferenz in NRW dabei. Ein Erlebnis hat ihn dort besonders berührt. Während eines Workshops stellten Teilnehmer in einer kleinen Gruppe Szenen der Alltagsdiskriminierung nach und versuchten sie bestmöglich aufzulösen – als Vorlage dienten eigenen Erfahrungen. Eine Teilnehmerin, die von einer Lehrerin an ihrem ersten Schultag vor der Klasse wegen ihres Kopftuchs diskriminiert wurde, spielte die Szene noch mal durch. „Am Ende weinte sie ein bisschen und umarmte jeden einzelnen von uns. Sie hat die Verletzung erst in diesem Moment wirklich verarbeitet. Es war schon besonders, da dabei zu sein“, sagt Ahmed.
"Muslim sein und homosexuell sein schließt sich überhaupt nicht aus"
Viele Teilnehmer schätzen besonders die Freundschaften, die auf der Konferenz entstehen. Oft stelle man fest, dass man am Ende ähnliche Werte teilt, egal wie anders man auf den ersten Blick sei. Wie Ahmed war auch Volkan, 24, schon vergangenes Jahr in NRW dabei: „Ich bin homosexueller Muslim. Die JIK hat mir mehr Selbstbewusstsein gegeben. Auch durch viele Gespräche ist mir klargeworden: Muslim sein und homosexuell sein schließt sich überhaupt nicht aus. Ich bin hier hundert Prozent ich selbst, mehr als ich das an manch anderen Orten sein kann.“
Die Pause ist fast vorbei. Auf den sauberen Glastischen mehren sich Brötchenkrümel, die Suppenteller sind schon fast ausgelöffelt. Eine Gruppe diskutiert an einem Stehtisch. Ein junger Mann tritt dazu, er hat einen Gesprächsfetzen aufgeschnappt und setzt zur Antwort an: „Man muss sich vorstellen, wie das für Flüchtlinge ist, die hier ankommen und komplett entwurzelt sind...“ „Halt!“, stoppt ihn eine Teilnehmerin, „davon reden wir gerade gar nicht!“ Alle lachen. Es ging gerade nicht um Flüchtlingspolitik, sondern um den Hollywoodfilm „Spilt“, der von einem Mann mit gespaltener Persönlichkeit handelt. Manchmal kann „Dialog“ eben auch bedeuten, sich ganz normal zu unterhalten.