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Deutschland entschuldigt sich bei Hartz-IV-Empfängern

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Das Geld reicht nicht. Die junge Mutter ist alleinerziehend, hat zwei Kinder, arbeitet 30 Stunden die Woche – und das Geld reicht einfach nicht. Also muss sie beim Jobcenter aufstocken. Als sie dort mal einen Termin nicht wahrnehmen konnte, weil sie arbeiten musste, wurde sie sanktioniert. Und hatte noch weniger Geld. Als sie das erzählt, muss sie beinahe weinen.

Schuld ist: die Agenda 2010. Das Gute ist: Deutschland tut das wahnsinnig leid! So sehr, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Joachim Gauck eine Kampagne gestartet hat: „Deutschland sagt Sorry!“ Mit einem Video, in dem auch die junge Mutter ihre Geschichte erzählt, geht das Ministerium nach vorne, bedankt sich bei den Leidtragenden der Arbeitsmarkreform, die zwischen 2003 und 2005 umgesetzt wurde und ohne die Deutschland wirtschaftlich schlechter dastehen würde, und bietet ihnen an, sich ein von Joachim Gauck persönlich signiertes Entschuldigungsschreiben zusenden zu lassen. 

Ist natürlich Quatsch. „Deutschland sagt Sorry!“ ist die neue Kampagne des Peng-Collective. Sie wollen auf die soziale Ungleichheit aufmerksam machen, die durch die Agenda 2010 entstanden sei. Auf der Kampagnen-Seite schreiben sie darüber, wie und wo die Reform dem Grundgesetz widerspricht, warum Menschen in Armut leben, obwohl sie arbeiten, und wie das Jobcenter mit Sanktionen Druck ausübt. Sie prangern an, dass Erwerbslose hierzulange stigmatisiert würden und dass am Ende die Wirtschaft auf Kosten der Arbeitslosen und der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Niedriglohnsektor profitiere.

Die Personen aus dem Video, die junge Mutter und der Fremdsprachenkorrespondent, der ebenfalls vom Jobcenter sanktioniert wurde, sind Schauspieler des Schauspiels Dortmund, mit dem das Collective kooperiert (als Agentur "Die Populistinnen"). Die Geschichten, die sie erzählen, sind allerdings echt, ebenso wie weitere, die man auf der Kampagnen-Seite lesen kann. „Teilweise sind es Geschichten von Leuten, die wir kennen“, sagt Lia Rer von Peng am Telefon, die wie alle der Aktivisten für öffentliche Stellungsnahmen ein Pseudonym verwendet. „Und teilweise wurden sie uns nach einem Aufruf im Vorfeld zur Verfügung gestellt.“ Anschließend wurden sie so weit anonymisiert, dass niemand erkannt werden kann. Auf der „Deutschland sagt Sorry!“-Seite wird auch dazu aufgerufen, weitere Geschichten einzusenden. In den vergangenen Stunden hat es schon einige Einsendungen gegeben, sagt Lia. „Am Ende soll die Seite eine Mischung aus Satire und einer Plattform sein, auf der Stimmen zu einem Thema gehört werden, das medial unterbelichtet ist.“

Der Zeitpunkt ist gut gewählt, denn durch die alles bestimmende Flüchtlings- und Integrationsdebatte geraten andere innenpolitische und soziale Themen ins Abseits. Wobei, sagt Lia, man das nicht trennen könne: „Man darf diese Themen auf keinen Fall gegeneinander ausspielen. Ich glaube, wenn es mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland gäbe, gäbe es auch weniger Konkurrenz und dadurch weniger Rechtsruck.“

Bundespräsident Gauck, der Schirmherr, der im Video schon mal ein Entschuldigungsformular unterzeichnet, hat sich noch nicht gemeldet. Dafür aber gleich heute Morgen das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, deren Logo auf der Seite prangt. Mit der Ansage, sie seien das Bundeministerium. Sie seien das auch, antworteten die Aktivisten. 

Ein Sprecher des Bundesministeriums sagte gegenüber jetzt.de, dass das Ministerium das politische Engagement der Aktivisten begrüße: "Es gab in den letzten Wochen eine lebhafte Debatte in unserem Land über das was Satire darf und was nicht. Das BMAS ist der Auffassung, dass Satire Teil des Rechts auf freie Meinungsäußerung ist." Dennoch habe man darum gebeten, das Corporate Design des Ministeriums nicht zu verwenden und "erkennbar zu machen, dass es sich um Satire handelt".* Gerade wird rechtlich geprüft, ob Peng das Logo und den Namen verwenden darf.

Eigentlich darf sich der Bund nicht beschweren – denn er hat die Kampagne quasi mitfinanziert. „Unsere Kooperation mit dem Schauspielhaus wird von der Kulturstiftung des Bundes gefördert“, sagt Lia. „Das ist für uns ein Zeichen, dass Satire weiterhin ein wichtiges und erwünschtes Mittel der Kritik in einer Demokratie ist.“

* Die Stellungnahme des BMAS erreichte uns erst nach Veröffentlichung dieses Textes. Er wurde am 27.04. um 16:00 aktualisiert.

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