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"Wir haben ein Boot gefunden"
Man kennt ja die Bilder der Schlauchboote, auf denen sich Menschen zusammen drängen. Aber als ich dann das erste Mal mitten auf dem Meer so ein Boot gesehen habe, fühlte sich das unwirklich an. Das war so: Ich habe gerade geschlafen, hatte keine Wache und bin geweckt worden mit den Worten „Wir haben ein Boot gefunden“. Wir sind meilenweit unterwegs gewesen, nirgendwo konnte man Land am Horizont sehen. Und dann waren dort,mitten auf dem Wasser, auf einmal so viele Menschen.
Auch heute haben wir Menschen auf einem Schlauchboot gerrettet. Es hatte 52 Männer, Frauen und Kinder an Bord - und trieb mit einem Motorschaden auf dem Meer. Seit Freitag waren es damit 587 Flüchtlinge, die wir wohl vor dem Ertrinken bewahrt haben. Während der Einsätze bin ich für die Funk-Kommunikation mit der Rettungsleitzentrale in Rom zuständig. Ich schilderte die Situation und wartete auf Anweisungen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Johannes Bayer auf der Sea Watch.
Wir sollten die Schiffbrüchigen zu einem Tanker bringen, der bereit war, die Flüchtlinge aufzunehmen. Das klingt simpel, aber auf der Brücke waren wir sehr angespannt. Unser Boot war zu klein, um die Leute aufzunehmen. Je nach Situation müssen wir prinzipiell gucken, ob es Sinn macht, Rettungsinseln ins Wasser zu lassen, den Menschen Rettungswesten zu geben. Oder ob wir das Boot der Flüchtlinge schleppen können. Je nach Wetter und Zustand des Boots ist das aber vielleicht auch gar nicht möglich.
Unsere größte Sorge bei Rettungsaktionen ist, dass wir die miserable Situation, in der sich die Leute befinden, noch verschlimmern. Wir könnten zum Beispiel für Panik sorgen, weil nicht sofort klar ist, wo wir herkommen und dass wir helfen wollen. Es könnte jemand ins Wasser fallen – und die Flüchtlinge können zu 90 Prozent nicht schwimmen. Jede Bewegung, jedes Winken könnte Panik auslösen. Die Boote sind oft schlechte Selbstbauten, wir vermuten, dass es Bausätze aus China sind. Alles muss sehr genau überlegt sein.
Mit einem Schnellboot, das wir immer dabei haben, näherten wir uns den Flüchtlingen und nahmen Kontakt auf. Ich blieb währenddessen auf der Sea Watch und kümmerte mich weiter um den Funkverkehr. Bisher haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Leute zuerst sehr ängstlich sind, aber auch kooperativ, sobald sie verstehen, wer wir sind und dass wir ihnen helfen wollen. Als wir näher kamen, befürchteten die Menschen, wir könnten ein libysches Boot sein und riefen: „Wir wollen lieber hier draußen sterben, als nach Libyen zurück!“ Die Menschen trieben dort schon seit 48 Stunden, ohne Sonnenschutz und bei Temperaturen bis zu 40 Grad. Wir entschieden uns, das Boot zu schleppen. Als der letzte Flüchtling die Leiter hoch auf den Tanker geklettert war, konnten wir aufatmen. Schleppen war die richtige Entscheidung – aber das weiß man eben erst hinterher.
Wir haben uns auf auf dem Boot umgesehen, nachdem alle Flüchtlinge von Bord waren, auch um einen Eindruck davon zu haben, ob es einen Kompass gibt, ein Funkgerät oder ähnliches. Aber es war nichts da. Ein paar persönliche Gegenstände und Unmengen von Benzin in undichten Behältern.
Unser Arzt, Frank Dörner, übrigens der ehemalige Generaldirektor von Ärzte ohne Grenzen, ist mit den Leuten mit auf den Tanker geklettert und hat uns später berichtet, dass viele Schwangere an Bord waren. Viele Frauen lagen unten im Bootsrumpf, wohl weil die Männer gehofft hatten, sie dort vor der Sonne und vor dem Überbordgehen zu schützen. Aber das ausgelaufene Benzin und das Salzwasser verätzten ihre Haut. Wenn ich das so erzähle, merke ich, das ich das alles noch nicht so ganz verarbeitet habe.
>>> Auch die Crew der Sea Watch kämpft mit vielen Problemen.
Für die Besatzung der Sea Watch ist die Situation auch krass. Es ist heiß, laut und sehr eng. Keine Privatsphäre. Wir sind zu acht unterwegs, Nautiker, Mechaniker, Ärzte, ein Journalist. Sobald es hell wird, sind wir in Alarmbereitschaft und suchen nach Booten oder warten darauf, von der Zentrale in Rom einen Auftrag zu bekommen. Wir sind ja keine Profis, die Sea Watch ist ein Privatschiff. Vor dem ersten Einsatz hatten wir uns viel überlegt und Gedanken gemacht, auch einen Einsatzplan geschrieben. Aber das war alles rein theoretisch. Und nun müssen wir gucken, wie wir die Sachen in die Praxis umsetzen.
Ich bin seit Februar dabei, hatte meinen Bachelor in Schiffbau gemacht und ein bisschen Zeit, bis das neue Semester anfangen sollte. Harald Höppner hatte kurz vorher dieses Boot gekauft und wollte es umbauen, um damit ins Mittelmeer zu fahren. Jemand erzählte mir davon und ich fuhr nach Hamburg, um mir das Schiff und die Leute anzugucken. Ich wollte zwei Wochen helfen, mittlerweile sind daraus fünf Monate geworden.
Da waren harte Zeiten dabei: Vor allem in der Bauphase, wo wir oft nur zu zweit auf dem Schiff waren. Aber auch auf der Überfahrt durch zum Teil sehr anspruchsvolle Seegebiete. Unser Boot ist nicht geeignet für viel Seegang. Wir haben auch unterwegs dauernd gearbeitet, weil wir beim Umbau des Schiffes viele Kompromisse machen mussten. Als dann die ersten größeren Spenden kamen, nach dem Auftritt von Harald bei Günther Jauch haben wir noch einmal viel Geld in das Schiff gesteckt. Vor allem um die Sicherheit an Bord zu verbessern.
Jetzt bin ich erschöpft. Ich bin noch bis Anfang August auf dem Schiff beziehungsweise auf Lampedusa, wo wir unser Basislager haben. Dann fahre ich zurück nach Stockholm, um meinen Master zu machen. Ich will das Projekt weiter begleiten und dabei helfen, aus einer sehr überstürzten und schnell gestarteten Initiative etwas zu machen, das auch die nächsten Jahre hält. Was ich auf jeden Fall hier gelernt habe ist, dass man, wenn man etwas wirklich will, es auch schafft. Dass wir so weit kommen würden, hatte am Anfang niemand geglaubt. Nun sind wir hier und glauben es selber fast nicht. Aber das mitzuerleben und Teil dessen gewesen zu sein, ist auf jeden Fall sehr inspirierend.
Text: anke-luebbert - Foto: Neugebauer