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Dokumentarfilm "Raving Iran"
Dann dreht Arash den Bass raus. Plötzlich sind Gläser zu hören und Stimmen und Körper, jemand pfeift, nur ein spitzes ticktickticktick kommt noch aus den Boxen. Ein nervöses Herzklopfen, sechzehn Takte kollektiver Sehnsucht nach dem Beat. Die Menge atmet einmal durch, nimmt Anlauf wie vor einem Sprung in kaltes Wasser an einem heißen Tag, gleich, jetzt . . . BOOM! BOOM! BOOM! Der Bass knallt wieder auf einszweidreivier, 125 Beats pro Minute, direkt in den Magen, der schickt einen Befehl an die Beine: sofort bewegen.
Arash grinst, Anoosh reißt die Hände hoch, die Tänzer mit ihm, ihre Körper springen, zucken, schwitzen, ein Mädchen lacht laut auf vor Glück. Es ist Sommer 2016, und auf der Tanzfläche des Zürcher Klubs „Klaus“ feiern sie die Musik, wie es fast überall auf der Welt freie Menschen tun. Weil sie es können.
In ihrem Heimatland würden Arash und Anoosh für diesen Auftritt verfolgt, eingesperrt, geächtet, verprügelt. Stockschläge statt Beats. In der Schweiz, wo sie Asyl gefunden haben, dürfen sie endlich: auflegen, feiern, Techno. Vielleicht endet in dieser Nacht die Geschichte zweier iranischer DJs, die geflohen sind, um ihre Musik machen zu dürfen. Oder beginnt sie erst?
Teheran, 2013, Arash und Anoosh betreten das Ministerium für Kultur und Islamische Führung in Teheran. Drinnen sieht es aus wie auf einem deutschen Amt um 1980. Der Unterschied: Die Kopftücher und Gewänder der Frauen lassen allein ihr Gesicht sehen. Die Männer tragen Bärte und Hemden. Arash trägt eine Kamera unter seinem Hemd.
„Wir bräuchten eine Bewilligung für Live-Auftritte“, sagt Anoosh zu einer Beamtin. „Wir haben eine Sängerin. Sie trägt Piercings.“
„Seid ihr noch ganz bei Trost?“, sagt die Beamtin. „Dann kann sie direkt zur Sittenpolizei.“
„Elektronische Musik ist generell verboten“, sagt ihr Kollege.
Anoosh will diskutieren, aber Arash will nur noch raus, die Aufnahmen retten. Niemand bemerkt die versteckte Kamera. Und das Risiko lohnt sich. An Arashs Brust hängen einzigartige Einblicke in einen absurden Staat.
Weil sie genau dieses Innenleben zeigen wollten, machten Arash und Anoosh mit, als die deutsche Regisseurin Sue Meures ihnen bei einem ihrer vielen Besuche in Teheran von ihrer Dokumentation über die iranische Techno-Szene erzählte. „Wir wollten, dass die Welt erfährt, wie es wirklich bei uns ist“, sagt Anoosh. Iran erscheint im Film wie die DDR auf Persisch. Höflich. Korrekt. Aber knallhart. „Man hat ja sonst nur Nachrichtenbilder vom Ayatollah“, sagt Meures. „Wir konnten das lächelnde Gesicht einer Diktatur zeigen.“
Der Mut, trotzdem zu feiern
Ihr Film „Raving Iran“, der am 29. September in die Kinos kommt, ist schon vor dem Start eine weltweite Sensation. Er lief in Toronto, München, Belgrad, Melbourne, Südafrika; auf Festivals auf der ganzen Welt. Und nicht nur die Techno-Community feierte ihn. Denn kaum jemand hat es geschafft, die Theokratie Irans so vorzuführen wie Meures und die beiden DJs – und dabei noch illegale Raves zu feiern.
So machte schon die Festivaltour des Films im Frühling Arash und Anoosh weltbekannt. Jeder wollte den zwei Dance-Dissidenten helfen, mit ihnen sprechen, wenigstens ihre Geschichte weitererzählen. Für die globale Techno-Gemeinschaft sind sie Helden. Wenn Arash und Anoosh sich kurz vor ihrem Auftritt bei einem Drink mit der Regisseurin an die Minuten im teheranischen Ministerium erinnern, lachen sie zwar, aber die Angst ist noch sehr gegenwärtig. „Alter, wir dachten jeden Moment, sie ficken uns“, sagt Arash. Stolz sind sie nicht. Sie sehen sich nicht als Aktivisten, als Helden schon gar nicht. Sie sind DJs. „Hätte man uns erwischt . . .“ Arash denkt lieber nicht weiter.
Dann wären sie jetzt nicht hier, in Freiheit, im Klub, sondern vermutlich in einem iranischen Gefängnis. In einem Loch, in dem Anoosh vor drei Jahren einmal steckte, als eine ihrer Partys von der Polizei gestürmt wurde. Der Apartment-Komplex in einem Reichenviertel stand komplett leer. „In allen sechs Wohnungen waren Partys“, sagt Sue Meures, die mit ihrer Kamera dabei war, „alles illegal, alles Techno.“ An den Plattenspielern: Arash und Anoosh, in der Szene bekannt für ihren Mut, trotzdem zu feiern.
„Es ist genauso eine Scheiße wie mit dem alten System“
Schon damals in Iran war Anoosh die treibende Kraft. Er mag wirken wie ein properes, fröhliches, immer lächelndes Kind. Rund und bärtig. Aber er will etwas. „Musik machen und neue Leute treffen. Nach Berlin.“ Das klingt banal und war doch zu viel in einem Land, in dem es schon verboten ist, Britney Spears zu hören. Auch unter Präsident Hassan Rohani, der vielen als moderater Reformer gilt, bleibt westliche Popkultur verboten. Damit auch Techno.
Arash ist zarter. Neben Anoosh sieht er aus wie ein dünner, persischer James Franco, mit seinem Flusenbart und den weichen Augen. Aber auch er meint es ernst. „Love what you Do“, sagt der Sticker auf seinem iPhone. „Wenn das klappt, laufe ich nackt zum Auto“, hat er damals vor laufender Kamera versprochen, als sie über ihren Traum redeten, in Europa aufzulegen. „Und ich nackt zur Moschee“, sagte Anoosh. „Beten, für unsere Musik.“ Wenn sie sich unbeobachtet fühlten, sagten die jungen Iraner der deutschen Filmemacherin, wie es war: „Es ist genauso eine Scheiße wie mit dem alten System“, flucht im Film einer ihrer Freunde. Trotzdem feierten sie Partys wie damals in den Apartments, Mädchen in Miniröcken und Jungs auf Pillen, die die Nacht durchtanzten. Scheiß aufs System. Und wenn die Polizei anrückte: Alle weg!
„Die Gefahr ist da. Immer. Weil die Polizei so willkürlich ist“, sagt Meures. Alle schmeißen Partys. Manche werden verwarnt, manche rettet ein Schmiergeld. Und manchmal werden einfach alle verhaftet, verprügelt, verknackt. „Man weiß nie, was passiert. Das macht dich psychisch fertiger, als wenn du weißt, was droht“, sagt Arash. „Mein Land hat keine logischen Regeln.“ Als die Polizei damals, auf dem Höhepunkt der Party, plötzlich das Licht anknipste und die Gäste auseinanderspritzten, versteckte er sich. Anoosh wurde geschnappt und mit ihm das Equipment. „Die Polizei weiß, dass es bei uns schwer und teuer ist, sich Mixer und Player zu beschaffen“, sagt Arash. „Nicht so wie hier.“
Party in der Wüste
Hier, das ist seit zwei Jahren die Schweiz, inzwischen Zürich, wo „Raving Iran“ auf dem iranischen Filmfestival läuft und die zwei hinterher auflegen. Im „Klaus“ begrüßen sie ihre schick angezogenen Freunde, die abwechselnd Persisch und Schwyzerdütsch sprechen. Handschlag und Umarmungen für die Boys, Küsschen für die Girls. Arash und Anoosh sind gut drauf, aber nervös, telefonieren, rauchen. Äußerlich unterscheiden sie sich nicht groß von den Zürcher Hipstern. Arashs schwarze Hose lässt seine Knöchel frei, drüber ein schwarzes Shirt, Dutt und Undercut auf dem Kopf, am rechten Trizeps ein Tattoo. Anoosh sieht fast zu gemütlich für einen Techno-DJ aus, eher wie ein Rapper mit seiner NY-Kappe, den Baggy-Pants und Inspektor Columbo auf dem Shirt. Im Klub schüttelt er unzählige Hände, immer ein Lächeln, immer gut drauf.
Und natürlich stehen schöne Frauen um das DJ-Pult herum. Direkt neben dem Pult tanzt eine große Blonde und versucht, die Aufmerksamkeit der DJs zu erhaschen. Nur Arosh lächelt schüchtern rüber. Die Musik ist erst mal wichtiger, sie müssen reinkommen, der Bass ist zu laut, alles wirkt überladen, zu viel Effekt. Der Veranstalter steht nebenan, schaut ihnen auf die Finger, Daumen hoch. Wird schon.
In Iran mussten sie die Partys selbst organisieren, von vorne bis hinten, mit allem Risiko. Vor einer Party in der Wüste standen tausendundeine Schwierigkeit, tagelang fuhren sie heimlich Equipment hin, dann flippten alle für ein paar Stunden aus. Als die Sonne aufging, lagen sie wie tot im Sand, weit weg von jeder Zivilisation. Wie jetzt unentdeckt zurück in die Stadt kommen? „So kann man keine Partys machen“, sagt Arash.
„Was ist das, ein DJ?“
Im Sommer 2014 aber, der Film war fast im Kasten, riefen tatsächlich ein paar Schweizer an, die von ihrem Kampf für den Rave gehört hatten, und luden sie ein, aufzulegen. Als Arash und Anoosh kurz darauf in Zürich zum ersten Mal an den Plattenspielern standen, endlich angekommen in ihrem Traum, tauchte die eine, alles entscheidende Frage auf: Wollen wir überhaupt zurück?
Iran war ihre Heimat. Die Schweiz konnte ihre Zukunft sein. Sie haderten, stritten. Und entschieden sich im letzten Moment. Fragt man sie heute danach, sagen sie nur: „Ganz glauben können wir es noch nicht.“ Dann schweigen sie.
Genauso still stehen die beiden im Sommer 2014 im „Empfangs- und Verfahrenszentrum Kreuzlingen“. Ihre Pässe haben sie in die Limmat geworfen, den Zürcher Stadtfluss. Sie wollen Asyl beantragen in der Schweiz.
„Warum wollt ihr hierbleiben?“, fragt ein Beamter. „Krieg, Verfolgung, Armut?“ „Musik“, sagen sie ehrlich, „wir können in Iran nicht als DJs arbeiten.“
Ob das ein Asylgrund ist, wissen sie nicht. Sie liefern sich der Schweizer Bürokratie aus, werden nach Chur in Graubünden geschickt, in ein Heim mit Hunderten Flüchtlingen. Sie wohnen zusammen mit eritreischen Kriegsdienstverweigerern, syrischen Kriegsopfern, mit Osteuropäern, Arabern und Afghanen. Als einer der Afghanen einen Blick in ihr Doppelzimmer erhascht, wo neben dem Stockbett ihr Equipment steht, Mixer und Midi-Controller und Laptop und so was, will er wissen: „Was ist das, ein DJ?“
Arash und Anoosh lachen. „Jemand, der Techno macht.“
„Was ist das, Techno?“
Sie lachen wieder. „Wir haben gesagt: Wir machen Musik auf Konzerten. Er sagte: Was ist ein Konzert? Und wir so: Ach, ist doch egal.“
Du kriegst die Jungs aus Iran, aber Iran nicht aus den Jungs.
Auch die Schweizer Polizei interessiert sich für ihre Sachen, schnüffelt herum, „die wussten nicht mal, was ein Mixer ist“. Am Ende konfiszieren die Beamten die 1000 Franken, die sie sich geliehen haben, um ihre Tracks vor der Veröffentlichung mastern zu lassen. Wieder ein Rückschlag.
„Wir gehörten nicht in dieses Heim“, sagt Anoosh. Sie wollen nicht undankbar sein. „Aber die anderen wollen einen Ort, wo keine Bomben fallen. Wir sind DJs, die nach Berlin wollen, nach Ibiza, in die Welt.“ Religion sei Privatsache, sagen sie. Sie sind zwar Muslime qua Geburt. Aber ihre Religion, die größte Religion, sagt Anoosh feierlich, ist „weltweite Menschlichkeit“.
Vom Schweizer Staat bekommen sie 176 Franken für zwei Wochen, manchmal auch für drei. Sie wollen das Geld nicht, sie sind keine Bettler, sagen sie. Sie wollen arbeiten. Und zwar nicht auf dem Bau als Hilfsarbeiter, wie man ihnen anbietet, für 3,50 Franken die Stunde. „Ein belegtes Brötchen kostet schon zwei Franken, wie soll man davon leben?“ fragt Anoosh. Zu Hause waren sie Mittelschichtkids, haben studiert, Arash hatte schon mal einen Klamottenladen. In der Schweiz fahren sie mit dem Bus zum Aldi und kaufen für zwei Wochen ein, nur das Nötigste: belegte Brötchen aus der Tüte, Cola, Bier, kleine iranische Zigaretten und Gauloises. Sie suchen immer nach Sachen, die sie zu Hause auch gegessen haben.
Sie merken: Du kriegst die Jungs aus Iran, aber Iran nicht aus den Jungs.
Gegen die Langeweile gehen sie wandern, spielen Fußball mit syrischen Kindern. Sie streiten sich wegen jeder Kleinigkeit, „um eine Zigarette, um fünf Rappen“. Ohne Vision, ohne Zukunft, ohne Musik, schon wieder, sinkt ihr Mut. Sie hoffen zwar darauf, dass der Film alles ändern wird. Aber sie haben auch Angst. Sie fühlen sich ausgeliefert. Der Winter in den Bergen ist hart, das Heimweh ist härter. „Ich glaube, auch zwei Deutsche oder zwei Schweizer wären durchgedreht ohne irgendwas zu tun“, sagt Anoosh. „Aber in Iran wäre es noch schlechter gewesen.“
Ihnen ist klar: Gehen sie zurück, ohne Pässe, ohne Erklärung, wird man sie sofort verhaften. Die Polizei wird Fragen stellen, mindestens. Wird sie zu Spionen machen, vielleicht sogar israelischen, wie sie es immer tut, wenn jemand unbequem wird. Also bleibt nur: durchhalten. Nur wie lange? Wenn der Film nun floppt, die Techno-Szene sich neue Helden sucht? Wenn die Schweiz nicht der Anfang ist, sondern das Ende ihres Traums?
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"Ihr habt Post. Gute Nachrichten."
Ihr Mut ist am Boden, als im April dieses Jahres „Raving Iran“ in Nyon am Genfer See gezeigt wird. Sie sind dabei, der Zuspruch ist riesig. Dann klingelt ihr Handy. Ein Mitarbeiter des Flüchtlingsheims ist dran. „Es ist verboten, euch davon zu erzählen“, sagt er, „aber ihr habt Post. Gute Nachrichten. Ihr könnt bleiben.“
Sie explodieren, schreien, tanzen. „Es war ein Geschenk des Himmels.“ Welche Rolle die Öffentlichkeit gespielt hat, ob es ohne den Film für sie Asyl gegeben hätte? Ist in diesem Moment völlig egal. Endlich können sie arbeiten, vielleicht bald reisen, auflegen! Dutzende Anfragen kommen nach den ersten Filmvorführungen. Ihr Pluspunkt im harten DJ-Wettbewerb bleibt ihre Geschichte, die sie weit bringen kann. Auf die „Fusion“ etwa, bei der 70 000 Menschen nördlich von Berlin „Freizeit-Kommunismus“ betreiben. In Sven Väths ehemaligen Klub, das „Cocoon“ in Frankfurt, und sogar nach Ibiza! Maceo Plex, einer der momentan größten DJs der Welt, hat angefragt.
Nicht alles klappt. Sie warten auf ihre Reisepässe, dürfen erst nicht aus der Schweiz raus, aber dann doch: ab nach Frankfurt! „Raving Iran“ wird gezeigt, Sven Väth ist da. „Nothing can make this fantastic night more perfect than seeing PaPa Sven Väth“, schreibt Anoosh unter ihr Foto mit der Legende auf Facebook. Ihre Vision ist jetzt klar: „Wir wollen auf der ganzen Welt spielen.“
Zurück können sie nach dem Film sowieso nicht mehr, der wird in Iran unter der Hand verbreitet. „Das ganze interessante Zeug in Iran passiert im Untergrund“, sagt Anoosh. „Film, Musik, Tanz, Party.“ Ihre Freunde lieben den Film. „Jetzt seid ihr auch noch Filmstars“, sagen sie.
Auftritte wie hier im Klaus sind erst einmal ihr Leben. Und das ist ein gutes. Der Laden ist voll. Die Leute tanzen. Der Sound ist kompatibel. In Europa spielen sie düsterer, härter. Zwar mischen sie immer wieder orientalische Klänge ein, ihre Helden aber sind alle Europäer und Amerikaner. Tale of Us, Deep Dish, Frank and Tony.
„That was pretty bad“, sagt die schöne Blonde, als Arash einen Übergang verhaut.
„Wir sind nervös, klar“, sagt Anoosh zwischen zwei Tracks, „aber das wird schon.“
Hier droht im schlimmsten Fall der Spott der Hedonisten, die jedes Wochenende einen anderen Star-DJ sehen können. In Iran drohte Gefängnis. Alles, was jetzt noch kommt, ist für sie ein Bonustrack.