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Martin Schulz - wie beliebt ist er bei jungen Menschen?
Vermutlich begann es vor einem Jahr. Ein griechischer Abgeordneter der rechtsextremen Partei „Goldene Morgenröte“ hetzt im EU-Parlament gegen Türken. Er bezeichnet sie pauschal als „Barbaren“ und „Dreckskerle“, die man nur „mit der Faust“ bekämpfen könne. Martin Schulz, damals noch Präsident des EU-Parlaments, wirft ihn daraufhin aus dem Saal. Schulz erklärt die harte Maßnahme damit, dass systematisch der Versuch unternommen werde, rote Linien zu überschreiten und den Rassismus salonfähig zu machen. "Mit mir nicht", sagt Schulz vor dem Parlament.
Bis dahin war der 60-Jährige vielen jungen Menschen kein Begriff. An diesem und dem nächsten Tag aber tauchte Schulz, vermutlich zum ersten Mal, in den Timelines abertausender junger Deutscher auf. Und zwar als eine Art Held. Als einer, der in der ganzen Ratlosigkeit, wie man mit Rechten umgeht, was genau es noch mal war, was eine Demokratie aushalten muss, aufsteht und Kante zeigt.
So wurde er zu einer Projektionsfläche für die Hoffnung alle jener, die spüren, dass Nationalismus und Hass sich langsam breitmachen, sich aber zu alleine und ohnmächtig fühlen, um aufzubegehren. Das Video des Rauswurfs verbreitete sich noch an diesem Tag rasend schnell im Netz, erreichte alleine auf Schulz Facebook-Seite 14 000 Likes und wurde rund 5000 Mal geteilt.
Seit am Dienstag bekannt wurde, dass Schulz nun Kanzlerkandidat der SPD ist, ist die Euphorie groß. Größer, als sie bei Sigmar Gabriel als Kanzlerkandidat je gewesen wäre. Doch gleichzeitg rätseln viele: Warum schneidet dieser Mann bei jungen Menschen so gut ab? Was hat er, was andere vielleicht nicht haben? Ist er überhaupt wirklich so beliebt? Oder wird da viel „herbeigeschrieben“, wie es in manchen Facebook-Kommentaren heißt, die jedoch oft von Menschen stammen, die niedliche Hunde, Anonymous-Masken oder Wikinger als Profilbilder haben.
Um ehrlich zu sein: Wir wissen es nicht. Wir können uns dem Phänomen aber nähern, in dem wir junge Menschen einfach danach fragen.
Lukas Westner, der wegen Martin Schulz nun Parteimitglied wird:
Lukas, 29, beantragte gestern seine Parteimitgliedschaft bei der SPD. Den Ausschlag dafür gab tatsächlich Martin Schulz mit seiner Kanzlerkandidatur.
Lukas trug den Gedanken schon länger mit sich herum, SPD-Mitglied zu werden. In seiner Heimat im bayerischen Pfaffenhofen hatte er sich letztes Jahr für eine Bürgerbeteiligung an Windrädern engagiert. Lukas sagt:
"Kommunaler Kleinkram ist mir eigentlich egal, wo etwa die nächste Ampel hingebaut wird oder Dinge dieser Art". Aber bei den Windrädern ging es für ihn auch um die große Politik. Er wusste, die werden so oder so gebaut, es war nur die Frage: Gehören die dann einem Konzern – oder den Bürgern?
"Das ist aber nicht alles. Nach dem Brexit, nach der Wahl Trumps und nach der Rede von Björn Höcke letzte Woche hatte ich Angst, dass die Vernünftigen in der Politik immer weniger werden." Warum er bislang zögerte, Mitglied zu werden: Für ihn war Sigmar Gabriel nicht die Person, die einen Wandel verkörperte. Schulz hingegen findet er charakterlich stark, nicht nur, weil der den griechischen Abgeordneten rauswarf oder über seinen überwundenen Alkoholismus offen spricht. "Ich habe Interviews mit ihm gesehen, in denen er die EU kritisiert, die Probleme der Globalisierung direkt anspricht, die Probleme bei der Digitalisierung ernst nimmt, Raubtierkapitalismus auch Raubtierkapitalismus nennt. Das macht ihn glaubwürdig, und ich denke, anderen jungen Menschen geht es dabei ähnlich wie mir".
Martin Fuchs, Social-Media- und Politikberater:
Martin Fuchs ist Blogger und berät verschiedene Parteien, Ministerien und Landesregierungen zu Internet-Themen. Er sagt: "Dieses Video war für viele junge Genossen und Nicht-Partei-Mitglieder eine Art Erweckungserlebnis, das der Bekanntheit von Martin Schulz noch mal einen Boost gegeben hat." Er sei aber auch schon vorher, spätestens seit seiner Spitzenkandidatur bei der EU-Wahl 2014 bekannt und beliebt gewesen, weil er mit seinem Lebenslauf für die klassische sozialdemokratische Geschichte steht, für jemanden, der sich nach oben gearbeitet hat. "Er ist dadurch eine Art Rolemodel für viele Junge, die Angst um ihre private und berufliche Zukunft haben."
Schulz war mit Mitte 20 alkoholabhängig, verspielte seinen Job als Buchhändler, verlor fast seine Wohnung. Ein paar Jahre später wurde er zum jüngsten Bürgermeister in der Geschichte seiner Heimatstadt, später EU-Parlamentspräsident. Jetzt ist er Kanzlerkandidat. Martin Fuchs sagt auch, dass Schulz derzeit der einzige ist, der in der SPD eine Vision glaubhaft verkörpert, und zwar die eines starken Europas. Dieses Charisma, gemeinsam mit der Tatsache, dass er zumindest bislang noch nicht mit Rückschlägen und Niederlagen der SPD in Verbindung gebracht wird, mache ihn stark.
Die Chefin der Jusos, Johanna Uekermann:
Johanna Uekermann, 29, ist seit drei Jahren Vorsitzende der Jusos. Mit Sigmar Gabriel hat sie sich oft öffentlichkeitswirksam gestritten, auf die Nachricht von der Kandidatur Martin Schulz’ reagiert sie am Telefon fast euphorisch: Sie sagt, Schulz habe bereits beim Europawahlkampf 2014 gezeigt, dass ihm die Anliegen junger Menschen wichtig sind. Sie glaubt, Schulz kommt bei jungen Menschen deshalb so gut an, weil er authentisch ist. "Man nimmt ihm ab, was er sagt. Er findet klare Worte, zum Beispiel als er die griechischen Rechtspopulisten aus dem Parlament geschmissen hat. Er ist ein glühender Europäer, das trifft das Lebensgefühl von vielen jungen Menschen."
Doch alleine auf diese Dinge will sie sich nicht verlassen. Sie sagt, die Jusos werden ihn auffordern, dass er sich für bezahlbaren Wohnraum einsetzt, die angemessene Bezahlung von Auszubildenden und gegen den Rechtspopulismus in Europa. "Junge Leute werden entscheidend sein, wenn es um das Ergebnis der kommenden Bundestagswahl geht. Und ich denke, wenn Martin Schulz ihnen konsequent zuhört und die Themen der jungen Leute spürt, unsere offene Gesellschaft verteidigt, hat er gute Chancen auf die Kanzlerschaft."
Junge Leute auf der Straße
Es gibt sie also, die jungen glühenden Fans von Martin Schulz. Oder zumindest die, die bereit sind, es zu werden und auch wissen, warum. Aber inwiefern stehen sie für die vorherrschende Meinung über den Kanzlerkandidaten in unserer Generation? Um das besser einschätzen zu können, sind wir in München losgezogen und haben Leute auf der Straße gefragt.