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Lang lebe der Übergangspartner!
Den Mann, den ich wegwerfen soll, habe ich auf einer Party getroffen. Nennen wir in Jakob. Wir waren früher mal ineinander verknallt, aber es wurde nichts daraus. Die alte Anziehung war noch da. Irgendwann gingen wir raus auf den Balkon. Er erzählte von seinem Job, seiner WG und seiner letzten Beziehung, die ein Jahr zuvor zu Ende ging. Dann fragte er mich, wie es mir geht. Mir stiegen Tränen in die Augen. Statt mich irritiert anzustarren, nahm Jakob mich in den Arm und hielt mich lange fest. Später küssten wir uns. Ich fand das wunderschön.
Seit meiner Trennung sagen mir meine Freunde, ich bräuchte dringend einen Übergangspartner wie Jakob. Eine Freundin, die ich sonst als moralisch einwandfrei bezeichnen würde, erklärte mir über ein paar Gläser Wein neulich den Begriff „Taschentuchpartner“: „benutzen, wegwerfen.“ Soweit, so asozial. Ich finde, mit dieser Definition stimmt einfach gar nichts.
- elf Stunden am Stück Jazz gehört
- ein gesamtes Kochbuch durchgekocht
- mich unter der Woche allein mit vergorenem Weißwein betrunken, bis ich mich übergeben musste
- mir ein Bad mit Rosenblättern eingelassen
- einen Vulkan bestiegen
- eine Bewerbung für Saisonarbeit auf einer schottischen Schafsfarm ausgefüllt
Ein Mensch, den ich auf dieser Liste wie ein „To-Do“ abhaken muss, gehörte bis jetzt nicht dazu. Denn bei all meinen Trennungsverarbeitungstricks sollte außer mir niemand anderes zu Schaden kommen.
Unter anderen Umständen wären wir vielleicht ein richtiges Paar
Der Übergangspartner, so sind sich alle einig, zieht eigentlich immer die Arschkarte. Er ist nicht mal die Silber- oder Bronzemedaille, sondern der in China gefertigte Trostpreis, der vorsorglich an alle verteilt wird. Das Problem von Begriffen wie „Taschentuchpartner“ ist, dass sie auf Einseitigkeit beruhen. Einer nutzt aus, der andere wird benutzt. Ich glaube nicht daran. Jakob ist, nach populärer Definition, mein „Übergangsmann“. Und ich bin seine „Übergangsfrau“. Wir telefonieren lang, wir sehen uns, wenn wir Lust haben. Und wir wissen beide, dass unsere Beziehung nur für eine gewisse Zeit halten wird. Aber während dieser Zeit sind wir füreinander da – gegenseitig.
Jakob ist offen, schlau, attraktiv und warmherzig. Unter anderen Umständen wären wir vielleicht ein richtiges Paar. Das wissen wir beide. Aber wir machen uns nicht vor, dass einer von uns gerade ernsthaft für eine Beziehung bereit ist. Jakob konzentriert sich gerade auf seinen Job, ein Grund, warum aus potentiellen Beziehungen häufig nichts wurde. Und so treffen wir uns irgendwo in der Mitte, in einem Halbzustand, zwischen Freunden und Langzeitpaar. Gerade dadurch sind wir uns ungewohnt nah. Selten musste ich zu Beginn einer Beziehung so ehrlich sein – zu mir, aber auch dem anderen. Was ist dieser Mensch für mich? Und was bin ich für ihn? Was will ich genau? Umgekehrt kann Jakob zum ersten Mal ohne Probleme formulieren, dass ihm seine Karriere wichtiger ist als eine langfristige Bindung. Das tut uns beiden gut. Keiner von uns muss eine Rolle spielen, wie man es bei manchen ersten Dates vielleicht sonst tut. Diese Offenheit werde ich in jede weitere Partnerschaft mitnehmen.
Die Übergangsbeziehung ist ein Balanceakt
Es gibt eine Phase, in der niemand den Partner ersetzen kann. Erst danach ist die Zeit für eine Übergangsbeziehung: dann, wenn man einen anderen Menschen richtig gut, aber noch nicht am allerbesten finden kann. Das heißt: Wer sich nur ausheulen muss, soll zur besten Freundin radeln. Wer nur Sex will, kann tindern. Das gilt besonders für die ersten Wochen nach der Trennung, in der man emotional so zurechnungsfähig ist wie Britney Spears anno 2007. In den ersten Wochen nach der Trennung habe ich mir beim Schlafen ein Kissen an den Rücken gelegt, um das Gefühl zu haben, mein Exfreund läge neben mir. Traurig, vielleicht, aber für mich wäre trauriger gewesen, ein beliebigen Fremden neben mir zu haben.
Egal, ob beide Übergangspartner sich gerade getrennt haben, oder nur einer: Die Übergangsbeziehung ist ein Balanceakt. Es ist sehr leicht, aus dem Gleichgewicht zu geraten, da zwei Menschen auf demselben, wackeligen Seil zwischen Beziehung und Freundschaft balancieren. Also: Feiert eure Übergangsbeziehung. Aber versprecht niemandem ewige Liebe, wenn ihr nachts noch wegen eines anderen in euer Kissen heult, redet euch nicht ein, jemand Frischgetrenntes wird ganz sicher der Partner fürs Leben. Macht es nicht zu mehr, als es ist – aber auch nicht zu weniger. Ablenkung gehört zum Heilungsprozess. Schmerz zulassen auch. Mit dem Übergangspartner muss beides möglich sein.
In der Übergangsbeziehung machen sich beide verletzlich
Dann kann die erste Beziehung nach der Trennung etwas Wunderschönes und Heilsames sein. Denn sie ist ein großer Vertrauensbeweis. Für eine Seite bedeutet es, zum ersten Mal wieder Nähe mit jemandem zuzulassen, vielleicht nach einer großen Verletzung, nach der man sich geschworen hat: „Nie wieder“. Umgekehrt macht sich auch der Übergangspartner verletzlich: Er weiß, dass er sich auf jemanden einlässt, der emotional nicht vollkommen verfügbar ist und ihm weh tun kann. Er muss darauf vertrauen, dass der andere reflektiert und ehrlich genug ist, seine Gefühle zu kommunizieren. Es ist schade, dass diese Beziehung zu emotionalem Naseschnäuzen degradiert wird: Etwas, was man reflexartig machen muss, um den Kopf freizukriegen.
Es stimmt. Zusammen tun Jakob und ich das, was nötig ist für neues Glück: sich verletzlich zu machen. Das muss aber nicht heißen, dass danach die große Liebe kommt. Statt in diesem Narrativ festzustecken, tut es gut, das Glück im Hier und Jetzt anzuerkennen. Jakob macht mich jedenfalls sehr glücklich. Jetzt.
*Um die Privatsphäre ihres Übergangsmanns zu respektieren, möchte die Autorin dieses Textes anonym bleiben.