- • Startseite
- • jetztgedruckt
-
•
Mit der Kraft des Scheiterns
Was haben Uli Hoeneß, Thomas de Maizière und Barack Obama gemeinsam? Sie scheitern. Hoeneß hat Probleme mit dem Finanzamt, die Obama-Regierung tappt in Fettnäpfchen von der Größe des Atlantiks, und de Maizière . . . ach ja, die Drohnen. Große Männer schreiben nicht nur Geschichte, sie machen auch viel Mist. Scheiter-Haufen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Immer mit dunklem Kapuzenpulli, immer bleich - Nico macht Stand-Up-Tragedy
Müssen wir alle scheitern? Und wenn ja, wie oft? Scheitern ist der neue Trend, sagt Nico Semsrott, und wenn es einer weiß, dann er. Denn wenn Scheitern eine Kunst ist, ist Semsrott ihr Philosoph. Der 27-jährige Kabarettist macht „Stand-Up-Tragedy“ und ist ziemlich erfolgreich damit. Auf seinem Twitterprofil prangt der Satz „Freude ist nur ein Mangel an Information“, in seinem Programm redet er über Wirtschaftskrise und Weltuntergang – und besonders gerne über Depressionen, „weil das ein Thema ist, an dem man sich gut aufhängen kann“.
Mit niemand anderem könnte ich mir also gewinnbringender die Ausstellung „Besser scheitern“ anschauen, die die Hamburger Kunsthalle gerade zeigt, mit Videoinstallationen über den Gegenpart des Erfolgs. Es ist ein Donnerstag, wir sind um 16.20 Uhr verabredet. Zum Glück regnet es. Der Termin wurde schon einmal verschoben, ich komme fünf Minuten zu spät und finde niemanden. Ich renne durch den Eingangsbereich, niemand da, das Handy ist zu leise, ein verpasster Anruf. Ja, wo denn nun?
Unvorhergesehenes Scheitern ist immer das Beste, wird Semsrott sagen und lachen, nachdem ich ihn, zehn Minuten später, endlich gefunden habe. Er trägt eine Brille, kurze Haare und einen dunklen Kapuzenpulli, ähnlich dem schwarzen, den er bei Auftritten immer anhat, im ZDF bei „Neues aus der Anstalt“ oder auf großen und kleinen Bühnen in ganz Deutschland. Unter einer Kapuze lässt es sich eben vortrefflich deprimiert dreinschauen, und es scheint, als mache sie ihn noch bleicher, als er ohnehin schon ist.
„Mir ist vorhin was eingefallen“, sagt Nico jetzt, während er seinen Kapuzenpulli in das Schließfach Nummer 13 legt. „Der 13. Januar 2014 – das ist ja gewissermaßen der 13.13.2013!“ Ja, denke ich, staune und pflichte bei.
Wecker nicht gehört, Duschwasser zu kalt, Handy vergessen. 200 Mal scheitern pro Tag? Kommt hin
Also hinein in die Welt des Scheiterns. Im ersten Raum der Ausstellung musiziert, lebensgroß auf eine Leinwand projiziert, ein Streichquartett. Nach und nach rutschen die vier Musiker einen Platz weiter; jeder spielt des anderen Instrument. Oder besser: versucht es. In den Händen des Ersten Geigers murrt das Cello wie ein Kater, den man gegen den Strich bürstet, die Bratsche knarzt quer durch alle Tonleitern. Scheitern als bildungsbürgerliche Fingerübung, zum Warmwerden. „Das ist ja noch harmloses Scheitern“, sagt Semsrott.
Das Scheitern, suggeriert die Ausstellung, lauert hinter jeder Ecke. Vor ein paar Jahren machte die Behauptung die Runde, ein Mensch lüge 200 Mal pro Tag. Das ist natürlich Unsinn. Das schaffen nicht mal Gebrauchtwagenhändler. Aber 200 Mal scheitern: kommt hin. Wecker nicht gehört, Duschwasser zu kalt, Brötchen labbrig. Handy vergessen, S-Bahn verpasst, Konzert ausverkauft. „Erfolg ist nicht die Regel, Erfolg ist die Perversion“, sagt Semsrott. Ihm schwebt eine Lotterie der Hoffnung vor. Dann, sagt er, könne er wenigstens Hoffnungslose verkaufen.
Aus dem Nachbarraum brüllt derweil ein Mann unverständliches Zeug. Semsrott folgt dem Lärm, betritt einen schwarzen Raum und sieht, dass sich dort ein glatzköpfiger Typ im Video um seine eigene Achse dreht und dabei „Help me! Hurt me! Sociology!“ schreit, von Beamern an die Wände projiziert. Rein textlich könnte das eine Hommage an ein frühes REM-Album sein. Ist es aber nicht. Aber was dann? Solche Installationen, denke ich, sind der Grund, warum viele Menschen Kultursubventionen ablehnen. „Solche Installationen sind der Grund, warum viele Menschen Kultursubventionen ablehnen“, sagt dann Nico Semsrott. Plötzlich hellt sich sein sonst ausdrucksloses Gesicht für einen Sekundenbruchteil auf. Semsrotts Mimik ist wie sein Bühnenprogramm: Für die Länge eines Witzes grinst er bis übers Zahnfleisch. Aber auch nicht länger. Danach ist sein Blick genauso ernst wie zuvor.
Manches in der Ausstellung ist ihm bisher zu halbgar, zu unentschieden. „Entweder man scheitert ganz, oder man scheitert gar nicht. So ein Zwischending ist nix“, sagt er. Besser scheitern, wie es der Titel verspricht, sei ja ein Widerspruch in sich.
Ganz anders ergeht es uns im nächsten Raum. Eine Frau erzählt dort aus dem Off Leben und Sterben ihrer alkoholkranken Zwillingsschwester nach. Ein Schwarz-Weiß-Film zeigt die Schwester kurz vor ihrem Tod an Leberzirrhose. „Tragisch“, sagt Nico Semsrott und hält kurz inne. „Aber das ist endlich mal bitter, da ist Trauer zu spüren.“ Das bisher einzige Exponat, das Wirklichkeit abbildet, ist auch das Berührendste: existenzielles Scheitern. Semsrott wirkt zufrieden.
Wenn Nico auf der Bühne steht – die schwarze Kapuze des Pullovers weit in die Stirn gezogen -, nimmt auch er die „Tragedy“ wörtlich. Im August beginnt er seine Tournee, triezt dort die Zuhörer schon mal mit „zehn Sätzen ohne Pointe und dann einem Witz“. Immer politisch, immer mit entschiedener Verzweiflung ob der menschlichen Dummheit. Dann erst kommt die Blondine zum Arzt.
Wir gehen zu einem der letzten Ausstellungsstücke. Das Video zeigt die britische Künstlerin Tracey Emin. Als Jugendliche wurde sie gemobbt. Nun tanzt sie ihren späten Triumph in die Kamera hinein, den Mobbern von einst entgegen. Nico ist das zu selbstbezogen, zu unpolitisch, wie so vieles in dieser Ausstellung. „Dem Scheitern in all seinen Aspekten nachgehen: spielerisch, lustvoll, tragisch, komisch, trauernd, überraschend“, kuratierdeutschte die Infotafel am Eingang. „Unpolitisch, unentschlossen haben sie noch vergessen“, moniert Semsrott. „Dabei wäre es doch naheliegend, politisch zu werden, wenn es ums Scheitern geht. Aber so? Das ist keine Kunst. Das ist künstlich.“
Irgendwann will Semsrott, der den Weg zum Kabarett über den Poetry Slam gefunden hat, ein eigenes Museum des Scheiterns eröffnen. Ein kleiner Saal mit ein oder zwei Exponaten, erzählt er, der Rest stünde in einem eigenen Raum mit der Aufschrift: „Installationen, die es nicht in die Ausstellung geschafft haben.“ Mit diesen Flausen im Kopf gehen wir aus dem Museum. Zum Glück regnet es. Es ist Donnerstag, der 13.
Text: jan-ludwig - Foto: Fabian Stürtz