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Ab 18 Uhr - Schriftstellerei: Der Autor Thomas von Steinaecker
Es klingt wie eine dieser üblichen Mythen aus dem Literaturbetrieb: Junger unbekannter Autor schreibt ein Buch, das Manuskript wird von vielen Verlagen abgelehnt und kommt schließlich doch groß raus. Manche dieser Autoren sind bekanntlich Eintagsfliegen, von den Medien ebenso schnell nach oben geschrieben wie kurze Zeit später wieder fallengelassen; vielleicht auch, weil sie sich selbst wiederholen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Das wird Thomas von Steinaecker nicht passieren. Sein Debütroman „Wallner beginnt zu fliegen“ sticht heraus aus der Fülle der Neuerscheinungen, und das liegt definitiv nicht am exklusiven Cover von Starfotograf Thomas Ruff: Dessen Bild hat gar nichts mit der Geschichte der Familie Wallner zu tun, die mit dem Tod Günter Wallners beginnt – ein Zugunglück. Sein Sohn Stefan hat ihn 17 Jahre nicht gesehen, und jetzt ist es zu spät. Wallners Sohn Costin wird als Sieger einer Casting-Show Popstar; dass er Vater einer Tochter ist, erfährt er erst kurz vor seinem Tod: Wendy Wallner will die Familie, die sie nie kannte, literarisch auferstehen lassen. Sie beginnt ihren Text mit Günter Wallners Tod. Der Leser ist wieder am Anfang angelangt, und doch ist alles anders. Ab 18 Uhr: Schriftstellerei Thomas von Steinaecker, geboren 1977, aufgewachsen im Bayerischen Wald, ist ein schlanker, überaus höflicher junger Mann in hellen Jeans und schwarzem Hemd. Bei einem Himbeertörtchen mit Sahne im Münchener „Café Jasmin“ erzählt er erst von einem Ausflug in die Alpen und später von seinem Buch. „Ich bin kein romantischer Schriftsteller, dem in der Dachkammer die Geschichte durchgeht“, sagt Thomas, „ich bin Strukturalist, was eher untypisch ist.“ Seine Wallner-Geschichte hat er zeitgleich mit seiner Dissertation geschrieben, „tags der Brotberuf, ab 18 Uhr die Schriftstellerei.“ Von 1996 bis 2006 war der Brotberuf sein Germanistik-Studium und die Promotion in München und Cincinnati/USA. Aufgebaut wie ein Storyboard - jedes der drei Hauptkapitel ist in bis zu 98 Unterkapitel aufgeteilt - liest sich der Roman fast schon als Drehbuch. Einmal lässt Thomas tatsächlich Bilder sprechen: Costins Erfahrung des Todes wird nicht in Worten beschrieben, sondern als Comic der Münchener Grafikerin Daniela Kohl gezeigt. „Eine kleine Verschiebung des Blickes schärft den Blick auf die Gegenwart“, sagt Thomas. Seinen Protagonisten gelingt das nicht immer: Obwohl sie sich immer wieder selbst dokumentieren - Stefan und Ana Wallner beim Sex, Sohn Costin reflexartig mit der Handy-Kamera, dessen Tochter Wendy wiederum bei Bildtelefonsex mit ihrer Freundin - schaffen sie es nur selten, ihr Leben zu gestalten. Vielleicht sind auch deshalb die positiven Momente der Liebe stärker als Zerrissenheit, Trauer und Frust der Figuren - Momente, in denen sie ganz bei sich sind. Die Welt der Wallners „ist eine Parallelwelt, eine Welt im Schwebezustand.“ Schon vor der Veröffentlichung seines Debüts bekam Thomas von Steinaecker renommierte Preise und Stipendien, unter vielen anderen das Autorenwerkstatt-Stipendium des Literarischen Colloquiums Berlin (2003), die Teilnahme am Literaturkurs in Klagenfurt (2006) und ein Stipendium des Deutschen Literaturfonds (2007). Die Geschichte der Wallners wollte jedoch zunächst kein Verlag drucken. Nach mehreren Absagen hatte Thomas „innerlich damit abgeschlossen.“ Dann rief Joachim Unseld, Chef der Frankfurter Verlagsanstalt, ihn an. Der Roman kam im Februar in den Handel; jetzt sind drei Viertel der Auflage verkauft und der Roman steht aktuell auf Platz 10 der SWR-Bestenliste (im Juli Platz 3). In den vergangenen eineinhalb Jahren hat Thomas von Steinaecker zwei neue Romane geschrieben: Eine Novelle mit Comics von Daniela Kohl erscheint im Herbst 2008. Ein historischer Roman über die deutsche Kolonie in Togo ist fast fertig. Für sein viertes Buch fehlt noch die Idee, aber Thomas weiß genau, was er nicht will: stehen bleiben. Es gebe schon zu viele Autoren, die immer wieder die gleichen Geschichten variierten und einmal bewährte Rezepte wiederholten: „Der vierte Roman sollte Arbeit an mir selbst erfordern. Sonst ist man als Schriftsteller gescheitert.“ Auch dieser Satz spricht dafür, dass Thomas von Steinaecker einer der spannendsten und anspruchsvollsten Autoren seiner Generation ist. Thomas von Steinaecker: „Wallner beginnt zu fliegen“, Frankfurter Verlagsanstalt (2007), 367 S., 19,80 Euro. Thomas von Steinaecker: „Meine Tonbänder sind mein Widerstand.“ Hörspiel. Bayern2Radio, 17.9.2007, 20.30 Uhr, und 18.9.2007, 15 Uhr Bild: Frankfurter Verlagsanstalt