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Sexismus in der Politik
Männer, die auf einen unerwiderten Kuss sagen „Keine Sorge, ich verwende das jetzt nicht gegen dich.“ Männer, die Frauen unter den Rock fotografieren. Männer, die ungebeten Nacktbilder von sich verschicken. Männer, die einer Frau auf die Frage „Wo kann ich sitzen?“ einen Platz auf ihrem Schoß anbieten.
Das alles sind keine Anekdoten vom Oktoberfest, sondern Geschichten, die man zu hören bekommt, wenn man junge Berliner Politikerinnen, sei es auf Bundes- oder Länderebene, nach ihren Erlebnissen mit Sexismus in ihren Parteien befragt. Meistens geht der Satz „Das kennen wir doch alle“ voran. Wenn es dann allerdings darum geht, die Parteikollegen konkret zu benennen oder die Vorwürfe mit dem eigenen Namen zu veröffentlichen, lässt die Offenheit schnell nach. „Man sieht doch, was gerade mit Jenna Behrends passiert“, sagen sie dann. Oder: „Ich weiß doch jetzt schon, was dann kommt. Entweder bin ich eine Denunziantin oder eine, die sich anstellt.“ Und wie soll man das auch beweisen, dass jemand versucht hat, einen zu küssen?
Angestoßen wurde die Diskussion über Seximus in der Politik von Jenna Behrends. Die 26-jährige Bezirksverordnete aus Berlin-Mitte veröffentlichte vor Kurzem einen offenen Brief auf Edition F, in dem sie den Sexismus innerhalb der CDU kritisierte. Der Berliner Innensenator Frank Henkel soll sie als „süße Maus“ bezeichnet und bei einem anderen Kollegen die Auskunft „Fickst du die?“ über sie eingeholt haben. Frank Henkel hat das nicht dementiert. Unter dem Hashtag #Sexismusinparteien wurde dazu aufgefordert, eigene Erfahrungen zu teilen – auch, um zeigen, dass Sexismus eben kein originäres Problem der CDU, sondern eines der gesamten Gesellschaft ist.
Das wirklich naheliegende Thema will keiner diskutieren: Wie steht es denn nun um Sexismus in der Politik?
Wenn man die Einträge unter dem Hashtag bei Twitter liest, ist die Resonanz allerdings anders als gedacht. Klar wird Jenna Behrends dort für ihren Mut gelobt. Andere zweifeln wiederum ihre Glaubwürdigkeit an. Aber zu dem wirklich naheliegenden Thema will sich keiner so richtig äußern: Wie steht es denn nun um Sexismus in der Politik? Gibt es den in allen Parteien auf allen Ebenen? Und wenn er existiert: Sollte man da nicht etwas tun?
Also mal konkret nachgefragt bei Politikerinnen in Jenna Behrends Altersklasse: „Haben Sie als junge Frau schon einmal im Politikbetrieb Sexismus erlebt? Wenn ja, in welcher Situation?“ Tatsächlich gibt es nur zehn weibliche Abgeordnete unter 35 Jahren im Bundestag. Bei insgesamt 630 Bundestagsmitgliedern. Fünf davon gehören der CDU an, vier den Grünen und eine der SPD.
Die CDU zeigt sich auf die Frage am auskunftsfreudigsten: Bereits am Sonntag sagte die Bundestagsabgeordnete Nadine Schön, 33, im Deutschlandfunk, den im offenen Brief beschriebenen Sexismus habe sie selbst nie erlebt. Trotzdem sei „das Thema Sexismus ein Thema, was gesamtgesellschaftlich diskutiert werden muss, nicht nur in Parteien oder nicht nur in der Politik.“
Ihre CSU-Kollegin Katrin Albsteiger, 32, ist da um einiges zurückhaltender: „Ich habe über die Jahre vereinzelt mal 'missglückte Komplimente' erlebt oder dass Leute sich unpassend benehmen oder sich auch mal zu Respektlosigkeiten hinreißen lassen. Das hielt ich aber weder für sexistisch noch für dramatisch und auch nicht auf den Politikbetrieb beschränkt“, schreibt Albsteiger, die 2011 als erste Frau zur Vorsitzenden der Jungen Union in Bayern gewählt wurde. Das „süße Maus“ von Henkel halte sie übrigens für ein „geflopptes Kompliment“, nicht für Sexismus.
Die Antwort zeigt deutlich, welches Problem das Thema hat: Was die eine als Grenzüberschreitung empfindet, ist für die andere ein misslungener Flirtversuch. Dieser Übergang ist schwer zu benennen in einer Umgebung, in der es notwendig ist, zu netzwerken und auch mal miteinander einen zu trinken. Und dann ist da noch die Frage, ob man so etwas nicht intern klären kann – das wurde zumindest Jenna Behrends vorgeworfen.
Aber was heißt das eigentlich, "intern klären"? Wer ist dafür zuständig? Eine Nachfrage bei den Pressestellen von CDU und SPD zeigt, dass man das selbst nicht so genau weiß, man müsse erst intern recherchieren, heißt es. Ergebnis: Es gibt bei beiden keine zentrale Anlaufstelle auf Bundesebene. Stattdessen solle man sich an den Mitgliederservice des Konrad-Adenauer-Hauses wenden oder an die Gleichstellungsbeauftragte des Willy-Brandt-Hauses. Weitere Anlaufstellen: die Frauenunion oder die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen. Erstere hatte auch Jenna Behrends in Berlin Mitte wegen ihrer Probleme kontaktiert. Nach dem offenen Brief veröffentlichte die Frauenunion eine Pressemitteilung, in der sie Behrends eine Affäre mit Peter Tauber unterstellte und ihr gleichzeitig vorwarf, die wahren Opfer von Sexismus zu verhöhnen.
Stellt man die Frage "An wen kann man sich bei Sexismus-Vorfällen wenden?" hingegen bei den Grünen, bekommt man eine Vielzahl von Ansprechpartnern genannt. Eine ist Gesine Agena, 29 und frauenpolitische Sprecherin der Partei. Im Gegensatz zu den grünen Abgeordneten aus dem Bundestag ist sie zu einem Gespräch bereit und sagt als erstes: „Sexismus gibt es in allen Parteien, weil Parteien ein Abbild der Gesellschaft sind“. Dabei schließt sie ausdrücklich die Grünen mit ein. Auch über sie sei schon gesagt worden, sie habe ihren Posten sicher nur wegen des Aussehens bekommen. Gleichzeitig seien die Grünen aber weniger eine Männerdomäne als die CDU und deshalb für das Thema auch sensibler: „Im Berliner Abgeordnetenhaus sind von der CDU 31 Männer und vier Frauen. Bei uns ist es 50/50. Das drängt Sexismus zurück und macht es einfacher für Frauen, sich zu vernetzen“, sagt Agena.
„Sexismus erlebt jede Frau. Nicht nur in der Politik, sondern überall, wo es um Macht geht“
Als Frau in der Politik mit konkreten Vorwürfen an die Öffentlichkeit zu gehen, sei allerdings auch aus ihrer Sicht schwer. „Als Politikerin steht man unter besonderer Beobachtung. Da bekommt man schon jede Menge Anfeindungen für politische Positionen. Wenn man dann private Erlebnisse teilt, stelle ich mir das noch massiver vor“, sagt Agena. Umso mehr habe sie Respekt davor, dass Jenna Behrends ihre Vorwürfe trotz Abraten von Kollegen veröffentlich habe.
Bleibt noch die SPD. Die Anfrage an die einzige Abgeordnete unter 35 bleibt unbeantwortet. Dafür meldet sich die Berliner Juso-Vorsitzende Annika Klose zurück. Parteikollegen sagen über die 24-Jährige, sie sei außergewöhnlich offen und kämpferisch. Beim Thema „Sexismus“ ganz konkret zu sprechen, ist allerdings auch für sie schwierig. „Sexismus erlebt jede Frau. Nicht nur in der Politik, sondern überall, wo es um Macht geht“, sagt Klose. Trotzdem würden Frauen, die sich öffentlich dazu äußern, direkt gebrandmarkt. „Das kann man jetzt auch bei Jenna Behrends beobachten, da geht es auch nur noch um ‚diese Frau vs. Henkel‘. Nicht mehr um Inhalte.“
Aus ihrer Sicht sei es dementsprechend wichtig, dass Parteien intern einen guten Umgang mit Sexismusvorwürfen finden. „Bei den Jusos gibt es dafür mittlerweile eine eigene Anti-Sexismus-Kommission“, sagt Klose. Tatsächlich müsse die jedes Jahr auch mehrere Fälle bearbeiten, zwei Mal kam es in den vergangenen zwei Jahren zu formalen Verfahren. Dass das Thema mit einem Generationenwechsel automatisch ausstirbt, ist also nicht in Sicht. Trotzdem hofft auch Klose, dass der durch Leute wie Jenna Behrends angestoßene Prozess weitergeht: „Es findet ein Umdenken statt. Das macht Hoffnung, dass Politik für junge Frauen eher attraktiver als unattraktiver wird. Weil die Menschen für das Thema Sexismus sensibler werden.“
Die Bestandsaufnahme muss also so lauten: Dreieinhalb Jahre nach dem #Aufschrei, bei dem Frauen im Netz ihre Erfahrungen mit Alltagssexismus teilten, hat sich zwischen den Fronten kaum etwas verändert. Dabei wurde auch der #Aufschrei durch Sexismus-Erfahrungen mit Politikern befeuert, unter anderem standen die Piratenpartei und der FDP-Politiker Rainer Brüderle in der Kritik. Es ist auch kein Zufall, dass einige der Aufschrei-Aktivistinnen aus dem Politik-Umfeld stammten, darunter auch die Sozialwissenschaftlerin Anna-Katharina Meßmer, 33 und ehemaliges SPD-Mitglied. „Jede Frau, die sich parteipolitisch engagiert und ein bisschen für das Thema sensibilisiert ist, kennt das Sexismus-Problem“, sagt Meßmer. Auch sie hat damit Erfahrungen gemacht, dementsprechend habe auch sie der offene Brief von Jenna Behrends inhaltlich nicht wirklich überrascht. Vor ein paar Jahren hätte sie sich detaillierter dazu geäußert und sicher auch etwas dazu getwittert. Heute nicht mehr. „Wenn man seine eigene Betroffenheit äußert, wird man danach ziemlich sicher mit Drohungen überzogen. Auf so einen Shitstorm haben viele keine Lust mehr – ich übrigens auch nicht“, sagt Meßmer.
Offenbar ging es vielen anderen auch so – nach innen bestärken, nach außen aus Angst vor den Konsequenzen lieber still bleiben. Die Berliner CDU hat mit Jenna Behrends jetzt am Montag beschlossen, dass man diese Themen zukünftig nur noch intern besprechen wolle. Sie selbst sagt, ihr sei es ja vor allem wichtig gewesen, eine Debatte anzustoßen und das sei ja wohl geglückt. Das heißt nicht, dass sich etwas ändert.